Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
lieber Bruder!“
Sie trat vor, sie öffnete die Arme, damit er sich an sie lehnte, was er auch tat, die Stirn an ihrer Schulter. Sie behielt trockene Augen, die Prinzessin von Bourbon weinte weniger leicht als ihr königlicher Bruder; hatte auch nicht seine Phantasie, und die Lebensgefahr, die ihm von ihrer Heirat drohen sollte, erschien ihr als eine Erfindung ihrer Feinde. Um so unvergänglicher senkten sich in ihr Herz der Gram dieser Stunde; er, mit seinem feuchten Blick, nahm ihn nicht wahr auf ihrem gealterten Gesicht.
Nach diesem erinnerte sie ihn nur noch an einen alten Vorfall. Der hatte sich ereignet vor dem Ende seiner Gefangenschaft in Schloß Louvre, und eigentlich war er die Wendung vor der Flucht gewesen. Damals betraf er seine Schwester Catherine in einem leeren Saal mit seinem Doppelgänger, gleiches Gesicht, gleiche Gestalt, aber beides wurde erst wahr und wirklich dadurch, daß der Mann genau das gleiche Kleid trug wie Henri, und seine Schwester stützte sich auf ihn in derselben Art, wie auf Henri von je.
„Ich hatte ihn herausstaffiert, damit er dir ähnlicher sähe als von Natur.“ Dies sagte die Gealterte hier auf dem Meierhof. „Iß den Pfirsich. Ich sehe dir an, wie gerne du ihn äßest.“ Das tat er, in Nachdenken versunken über die Zusammenhänge unterhalb des Dahinlebens.
Warf den Kern fort. Sprach versunken: „Wie hätte ich denn sonst alle, die uns trennen wollen, mit dem Tode bedroht. Nicht meine Gewohnheit, die Bedrohungen mit dem Tode — und um des Thrones willen täte ich es nicht, nur deinetwegen.“
Beide vollführten hier denselben, geschwisterlichen Abschluß eines Gespräches, das ans Ziel gelangt war, obwohl es viele Zweifel ungelöst gelassen hatte. Sie wendeten ungewollt die Hand um, das Innere nach oben; bemerkten es, lächelten einander zu, und der Bruder brachte die Schwester über die Felder zurück.
Geheim, als hätte es auf der Landstraße erhorcht werdenkönnen, flüsterte Henri ins Ohr von Catherine: „Glaub nichts, Kathrin, was ich demnächst tu und sage.“
„Sie — wird nicht Königin?“
Diese dringende Frage, um derentwillen sie hergereist war den weiten Weg, beantwortete er ungenau, aber in einem Ton, daß dennoch kein Mißverständnis aufkam.
„Du bist die erste.“
Die Prinzessin befahl ihren Leuten, mit der Kutsche zu drehen. Der König schwieg, und man gehorchte, trotz allgemeinem Befremden. Darum so weit hergereist. Die Prinzessin stieg ein mit ihren Damen und mit ihrer Mohrin Melanie, der König rief dem Kutscher zu, er solle fahren, was Zeug hält. Er selbst sprengte zur Seite des Wagenschlags, neigte sich auch, griff hinein und hielt eine Weile die Hand der Prinzessin. Ein Wald kam, die Straße wurde enger, der König mußte zurückbleiben. Da stand er, sah der Kutsche nach, bis sie ganz klein war, und machte erst kehrt, als die Staubwolke sie eingeschlossen hatte.
Agrippa, noch einmal
Vielerlei auf einmal, man hätte leicht den Kopf verloren. Die Ständeversammlung in Paris, ein lieblicher Mischmasch von verrückten Sektierern und der unsinnigen Frechheit einer Weltmacht in vollem Niedergang, die bis zuletzt noch Königreiche schlucken will. Den Possen spielen die Herren vor Zuschauern, die lauter verhungertes Volk sind, und wohler wäre ihnen, ihr echter König verteilte unter sie das Brot des Landes, wie gern arbeiteten sie dafür! „Das meiste, wozu wir berufen sind, ist Farce.“ So spricht der alte Freund des Königs von Frankreich, jetzt hoch berühmt, Montaigne genannt; derselbe, der auch spricht: „Was weiß ich.“ Unvergeßlich war aber dem König sein Wort: „Ich bin kein Zweifler.“ Nein, gewisse Seiten der äußeren Welt machen uns die Unentschiedenheit verhaßt und zerbrechen unsere Milde. Wir müßten sie hart belagern und sehr blutig bezwingen, was die äußere Welt meistens zu verzeihen geneigt ist, wenigstens für einige Zeit. Oder wir tun, um der Staatsvernunft willen, uns selbst Gewalt an, treten über und schwören ab. Gott weiß, was danach kommt. Aber Er scheint es zu befehlen, und bleibt kein Ausweg, bald auch kein Rand am Abgrund und Anlauf mehr für den großen Todessprung.
Beeile dich daher! Was tat hier Henri? Er zog seinen d’Aubigné an sich, seinen gepanzerten Feldprediger, sein tapferes Gewissen, immer die Psalmen im Mund und den Kopf erhoben und das überlegene Lächeln des Frommen. Der kleine Mann äußerte: „Ich stehe hoch in Gunst und kann mich vor Geschäften nicht retten“, aber hinter seinem kühnen Gesicht war ihm schmerzlich bekannt, dies sei das letztemal. Das letztemal, Agrippa, daß dein König von Navarra dich kennt. Nachher sein Todessprung hinüber, und diesseits bleiben seine alten Freunde, die aus den Schlachten, die aus der Armut, die von der Religion.
Nach seiner einfachen Art benutzte Agrippa den Vorteil, daß er zu dem König sprechen durfte; sagte alles gleich heraus, begann auch wie gewohnt, daß er kein Geld habe. Und habe doch nachweislich fünf- oder sechsmal dem König das Leben gerettet. „Sire! Ihre Finanzen verwaltet ein übler Abenteurer, und gerade dieser d’O bearbeitet Sie, damit Sie katholisch werden. Sagen Sie selbst, was dabei herauskommen kann!“
Agrippa denkt: ,Wenn es geschehen sein wird, gibt es kein Wort von mir, das er noch hören kann. Welch ein fürchterlicher Abstand zwischen Geschehen und Nichtgeschehen. Jetzt hält er den Kopf vor mir gesenkt. Jetzt spricht er.‘
Henri: „Totus mundus exercet histrionem.“
Agrippa: „Der Papst, ich seh es wohl, bekommt einen schlechten Sohn. Uns aber verlassen Sie, und machen sich verhaßt bei Leuten, deren Mut und Treue Ihnen sicher war.“
Henri: „Kommt allein darauf an, wie vernünftig einer ist. Mein Rosny rät mir zu.“
Agrippa: „Der hat aber auch fayenceblaue Augen und eine Haut, die aussieht wie gemalt. Dem geht es nicht nahe, daß Sie in die Hölle steigen.“
Henri: „Und mein Mornay! Mornay oder die Tugend. Wir haben disputiert. Sind alle beide gegen das Fegefeuer. An dem Widerspruch halt ich fest gegen alle Pfaffen, verlaß dich. Aber das wirkliche Blut des Herrn, das trinken wir beim Abendmahl, und hab es damit immer gehalten.“
Agrippa: „Disputieren ist gut und der Seele dienlich, solange sie die Wahrheit noch kennen will. Der ehrliche Mornay glaubt an Sie. Ihn können Sie leicht täuschen und ihm ein großes Konzil versprechen — Theologen beider Bekenntnisse, versammelt zur Erforschung des echten Glaubens. Wenn aber der echte nicht der nützliche ist, welchen Zweck hat das große Konzil?“
Henri: „Ich sag, es hat Zweck. Denn schon mehrere Pastoren haben zugestanden, daß in der einen so gut wie in der anderen Konfession die Seele gerettet werden kann.“
Agrippa: „Wenn das Fleisch solcher Pastoren schwach ist, sie haben auch keinen willigen Geist.“
Henri: „Mein Seelenheil ist mir wahrhaftig teuer.“
Agrippa: „Herr, das glaub ich wohl. Jetzt bitte und beschwör ich Sie, daß Sie die Ihren nach Verdienst erkennen. Wir sind nicht alle kalt und erzverständig wie Rosny. Wir haben nicht alle die Unschuld Ihres Diplomaten Mornay. Aber einer Ihrer besten Kriegsmänner, Turenne, hat gefragt, warum man Sie nicht sollte verraten dürfen: fingen Sie doch selbst damit an.“
Jetzt läßt der König wieder den Kopf sinken, so sieht Agrippa.
Henri: „Verrat. Ein Wort.“
Er denkt an sein Gespräch mit der Schwester. Die Nächsten verraten einander, werden dessen nachträglich inne und bemerken, daß sie, um nicht zu verraten, niemals hätten leben dürfen. Da hört er den Namen des Pastors Damours.
Agrippa: „Gabriel Damours. Bei Arques, als Sie verloren waren, stimmte er den Psalm an, da waren Sie gerettet. Bei Ivry sprach er das Gebet: Sie siegten. Eine Zeit ist angebrochen, da er von der Kanzel gegen Sie wettert. Sonst züngelte giftiges Gewürm nach Ihnen und blieb ohnmächtig. Diese rauhe Stimme ist die Wahrheit, wird aber dem Schuldigen zum Gift. Die Gemeinde der Frommen sieht von ihm weg.“
Es ist wahr: der Pastor hat dem König geschrieben: „Wollten Sie auf einen Gabriel Damours hören, anstatt auf eine Gabriele!“
Henri: „Welches ist meine größte Schuld?“
Aber