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Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann


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der alte La Faye fing sie auf. Sein Blick blitzte streng, und Henri beantwortete ihn trostlos. Dann ging er. Zuletzt hatte er dem Pastor zugenickt, als ein Versprechen, daß alles geschehen sollte. Hierüber dachte er nach, während sein Schritt, in den Gängen des Hauses, immer langsamer wurde. ,Was hab ich getan, was kann ich noch retten. Dies ist das unverzeihlichste Beispiel meiner Gefühllosigkeit. Flüchtige Tränen, die ich weine, und bin jedesmal unterwegs zu der nächsten. Das ist auch mein Ruf, alle kennen ihn, ich selbst bemerke als letzter, wie es um mich steht.‘

      Ihm ging wahrhaftig ein Licht auf, und er staunte, was ihm zustieß. Er machte Opfer. Nach allen Regeln und seinem wirklichen Bewußtsein hätte er anders handeln müssen, da er die Mühen des Lebens aus eigenem sehr wohl kannte und der inneren Festigkeit immer bedurft hatte, sowohl in der Schule des Unglücks wie auf dem Weg zum Thron. Unsere gute Haltung wird aber bezahlt mit einigen geopferten Wesen. Henri erinnerte sich nochmals an Esther, weil ihm die Rente, die er ihr geben wollte, durchaus fehlte: er hätte denn um ebensoviel Gabriele, seine teure Herrin, kürzen müssen. Das hielt er für außer Frage und fürchtete sich davor, da sie gewiß nichts nachließ. Er brauchte nur das Bild zurückzurufen, wie ihre schöne Hand, auf der Lehne des Sessels, den Stein erglühen ließ, den Stein, den Herr d’Estrées gestohlen hatte.

      In Sorgen vertieft, betrat er ihre Gemächer ungewöhnlich leise. Aus dem Vorzimmer spähte er durch die offene Tür: da saß die Schöne an ihrem Frisiertisch. Sie schrieb. ,Eine Frau soll aber nicht schreiben, außer mir selbst. Welcher andere Brief wäre ganz unverdächtig.‘ Henri bewegte sich völlig geräuschlos, und jetzt nicht mehr infolge Vertiefung. Endlich blickte er der Schreibenden über die Schulter, ohne daß sie ihn bemerkte, obwohl alles, was beide taten, vor dem hellen Glas eines runden Spiegelchens geschah. Henri las: „Madame, Sie sind im Unglück.“

      Er erschrak, wußte sogleich, worauf dies hinaus wollte, und folgte dennoch mit angstvoller Spannung der Feder, die knirschte, sonst hätte man vielleicht seinen Atem gehört. Sein Atem trübte den Spiegel. Die Feder malte groß hin: „Madame, das ist unser Schicksal, wenn wir schönen Worten geglaubt haben. Wir müssen uns hüten, sonst gehen wir mit Recht zugrunde. Sie tun mir nicht leid, denn Ihr Verhalten ist klein, und Ihr Auftritt hier im Garten entehrt mein Geschlecht. Damit Sie verschwinden, will ich Ihnen Geld geben. Der Vater Ihres toten Kindes könnte es leicht vergessen.“ Es ging so fort, nur Henri hatte genug gelesen. Der Spiegel war von seinem Atem getrübt, sie fand darin kein Gesicht, als sie plötzlich aufsah. Alsbald verließ er rückwärts das Zimmer, überzeugt, daß sie wußte: er war da gewesen; und mehr für ihn als an die andere hatte sie geschrieben.

      Er entfernte sich auf mehrere Tage, ja, überlegte den Bruch mit Gabriele. Sie war hoch und schwierig. Durch den Brief hatte sie ihm bekanntgegeben, daß sie niemals verzeihen würde, wenn er der anderen half. In Wirklichkeit wagte er es nicht. Seine Geschäfte in mehreren Städten sollten dienen, daß er die Launen seiner Herrin vergäße. Er vergaß ihre Launen, aber nicht sie; und vor großer Sehnsucht nach Gabriele blieb ihm kein einziger Gedanke übrig für eine Arme. Am dritten Tag erfuhr er, daß seine Geliebte den Herzog von Bellegarde bei sich empfangen hatte.

      Er geriet in eine Hitze, anfangs ähnlich dem Fieber, das ihn während seiner ganzen Jugend nach außerordentlichen Anstrengungen befallen und niedergeworfen hatte — ein Versagen der selbstgewissen Natur, es öffnet sich das Nichts: daher diese Hitze. Der Vierzigjährige läßt sich von ihr nicht mehr überraschen. Den offenen Spalt seines Lebenswillens schließt er mit eigener Hand: das vermag dies gesicherte Lebensalter. Aufs Pferd und den Verrätern zu Leib! Er ließ seine Begleiter hinter sich, und stöhnte in den Wind hinein seine Klage, seine Rache. Handeln! Auf kein Bett sinken und verzweifeln, das kann nicht Vorkommen, aber die Strafe soll hereinbrechen über alle beide. Er jagte in voller Dunkelheit durch einen Wald, bis sein Tier stürzte und er auf dem dürren Laub saß. „Herr de Praslin!“ rief er, als die Edelleute eintrafen.

      In das hingehaltene Ohr sprach er Aufträge, nie im Leben hätte er sie zu geben gedacht. Bellegarde sollte sterben. „Führen Sie es aus! Sie haften mir mit Ihrem eigenen Kopf.“ Praslin liebte den Großstallmeister wenig, er hätte ihn im Zweikampf wohl getötet: nur glaubte er dem König nicht. Das ist kein König für Meuchelmörder, hat nie einen persönlichen Feind zum Tode befördert, mit seinem Feuillemorte wird er nicht anfangen. Praslin antwortete vernünftig: „Sire! Wir wollen es Tag werden lassen.“

      Der König fuhr auf. „Sie denken, ich wäre von Sinnen. Ich will aber, was ich Ihnen befehle. Nicht nur Bellegarde. Sie sollen nicht ihn allein töten, wenn Sie beide beisammen treffen.“

      „Im Dunkeln hör ich schlecht“, sagte Herr de Praslin. „Sire! Sie sind überall berühmt für Ihre Güte, sind der Fürst einer neuen Menschlichkeit und des Zweifels, den die Philosophen fruchtbar nennen.“

      „War das?“ fragte Henri rauh. „Weiß nichts mehr davon. Beide sollen sterben — die Frau noch eher, sie zuerst.“ In einem Aufschrei: „Ich kann das nicht sehen“ — und er verhüllte die Augen vor seinen inneren Bildern.

      Der Zeuge der dunklen Stunde trat fort soweit als möglich, damit er ihr nicht länger beiwohnte. Zuletzt schwang der König sich wieder in den Sattel. Bei der Ankunft in Saint-Denis graute der Morgen. Henri rast die Treppe hinan, er verlangt Einlaß, muß eine Weile draußen stehen, und durch die unbewegliche Tür erkennt er, wie wenn er drinnen wäre, alle die Vorgänge eines überstürzten Aufbruchs. Eine Angst quält ihn: die drinnen können keine größere erleiden. Das Schloß springt endlich auf, seine liehe Herrin steht vor ihm — eine Wiedergekehrte, er bemerkt auf einmal, daß er sie verloren gegeben hatte. Sein Blut schießt zum Herzen, weil er sie zurück hat. Sie ist angekleidet wie zur Reise, eine völlig angekleidete Frau beim grauenden Tag, angesichts des Fensters, das geklirrt hat, als es aufgerissen worden ist. Auch der Sprung in den Garten war zu hören gewesen.

      „Erklären Sie das alles, Madame.“

      Sie trug den Kopf hoch und antwortete gelassen.

      „Jemand, der bei Ihnen in Ungnade gefallen ist, bat um meine Fürsprache.“

      „Er ist aus dem Fenster gesprungen. Man soll ihn aufhalten.“

      Sie vertrat ihm den Weg. „Sire! Ihre Feinde von der Liga haben ihm Anträge gemacht; er aber hat Sie nicht verraten.“

      „Mit der Liga und mit Ihnen! Madame, wie kommt es, daß Sie angekleidet sind und Ihr Bett ist zerwühlt? Fürsprache! Beim Tagesgrauen und einem zerwühlten Bett.“

      Sie stellte sich mit ihrem breiten Rock davor. „Was Sie befürchten, ist nicht geschehen“, sagte sie in aller Ruhe.

      Er stampfte auf, damit der Verlauf weniger nüchtern würde. „Verteidigen Sie sich! Sie wissen noch nicht, daß ich gekommen bin, um Sie fortzujagen.“

      Sie sah ihm prüfend in die Augen, wie wenn bei einem das Fieber im Anzug ist. „Setzen Sie sich“, verlangte sie — tat es auch selbst und gab den Blick auf das zerwühlte Bett frei. Dann sprach sie:

      „Sire! Sie beleidigen mich nicht das erstemal. Sie haben Herrn d’Estrées mißachtet. Ferner würdigten Sie mich herab, als Sie dort unten jene Frau empfingen. Sie verreisten ohne Abschied, ich beging die Schwäche, einem verläßlicheren Freund auf seinen Brief zu antworten. Er erschien bei mir vor Tag, was Sie zartfühlend nennen sollten. Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn das erwachte Haus uns beobachtet hätte?“

      Er hörte dies mit Anstrengung zu Ende, er klammerte sich an die Armlehnen, um nicht vom Sessel aufzuspringen. Statt dessen zog er ihn nahe vor sie hin und sprach ihr Wort für Wort ins Gesicht:

      „Er sollte dich holen: darum bist du angekleidet. Ihr wolltet fort. Ihr wolltet euch heiraten.“

      „Mit Ihrer Erlaubnis“, erwiderte sie — hielt das Gesicht erhoben, entfernte es aber nicht von dem seinen.

      „Die geb ich niemals“, murmelte er. „Der Mutter meines Kindes“, sagte er plötzlich laut. Bei dem Wort schlug sie zweimal schnell mit den Wimpern — sonst nichts, dann eine Pause. Beide Knie an Knie, beinahe Kinn an Kinn, und eine atemlose Pause. Ihm war zuerst kalt geworden, auf einmal trockneten ihm Mund und


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