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Florentiner Novellen. Isolde KurzЧитать онлайн книгу.

Florentiner Novellen - Isolde Kurz


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Bernardo hatte sein bewundertes Töchterlein zu Pferd durch die gaffende Menge nach Hause begleitet. Ihr reiches Festkleid lag schon wieder im Schrein, und Lucrezia war in die einfache Haustracht geschlüpft, die ihr nicht minder lieblich stand. Der Tag war nicht erschöpfend gewesen, denn die Sonne hatte sich wie aus Mitleid mit den eisenbeschwerten Reitern während des Turniers verborgen gehalten, dennoch brannten Lucrezias Wangen, und ihre Augen strahlten einen Glanz aus, vor dem sie im Spiegel selber erschrak. Eine Stimme lag ihr in den Ohren, die sie heute zum ersten Male gehört hatte, aber nie wieder vergessen zu können glaubte, deren Klang sie noch in der Einsamkeit wie mit körperlicher Gegenwart umschwebte.

      »Möchte es nicht das letzte Mal sein, daß meine Augen Euch erblicken!« murmelte sie vor sich hin, und suchte den fremdartigen Ton der Stimme nachzuahmen, die diese Worte gesprochen hatte. Sie mußte sich dabei ein bräunliches, wohlgeformtes Gesicht vorstellen, das unter dem hohen Helm mit Rehgeweih zuversichtlich zu ihr aufblickte. Sie hörte wieder das Stampfen und Wiehern der Pferde, sah das funkelnde Waffengewühl und den Staub der Arena und folgte unverwandt jenem Helme mit Rehgeweih, der blitzartig da und dort auftauchte, alle anderen Helmzeichen weit überragend. Es waren schlankere, schönere Gestalten auf dem Kampfplatz als dieser Fremdling und Halbbarbar, dessen herkulischer Kraft auch von den eigenen Landsleuten keiner ganz gewachsen war, aber die Menge schien den blonden Deutschen vor allen anderen zu bevorzugen, denn sie grüßte sein Erscheinen immer mit hellem Jubel. Lucrezia wußte selber nicht, warum ihre Augen suchend umherliefen, sobald das Rehgeweih verschwand, und wie es kam, daß sie keinem Gang mit rechter Aufmerksamkeit folgen konnte, an dem der Träger dieses Zeichens nicht beteiligt war. Wenn er als Sieger vor ihr erschien und seine Augen fest auf die ihrigen heftend leise sagte: »Nicht zum letzten Male, Madonna!« so wünschte sie ihn beklemmt und unruhig weit hinweg, sobald er sich aber vom Kampfplatz entfernte, hatte das ganze Schauspiel seinen Reiz verloren. Für die Artigkeiten ihrer Landsleute, die wie immer mit übertriebenen Huldigungen nicht kargten, hatte sie heute nur eine Regung der Ungeduld, weil ihr dadurch der Magnet ihrer Augen entzogen ward.

      Als nun endlich der letzte Gang, das große und nicht gefahrlose Lanzenrennen begann und sie auch den Rechberger wieder in die Schranken reiten sah, siegesgewiß den Hals seines starken Tieres klopfend, da wartete sie mit solcher Unruhe auf die Entscheidung, als wäre sie selbst als letzter und höchster Kampfpreis gesetzt. Sie hatte keinen Sinn für all den Aufwand von Waffenkunst, der vor ihren Augen entfaltet wurde, sie nahm keinen Teil an der brennenden Frage, ob die Barbaren ihren Landsleuten an Stärke überlegen seien, und ob die Florentiner wiederum jene an Gewandtheit überträfen, es beschäftigte sie nicht einmal, daß der fremde Graf mit der dunklen Kleidung und dem ernsten Gesicht sich diesmal selbst mit einem der Florentiner Herren maß; sie verfolgte immer das Rehgeweih und den Schild mit den züngelnden Rechbergischen Löwen. Sie meinte noch in der Erinnerung die Gewalt der Stöße, das Splittern der Schäfte, das grausame Aufeinanderprallen der Pferde zu vernehmen und das ängstliche Klopfen ihres eigenen Herzens, bis der Herold als Sieger den blonden Deutschen mit dem unaussprechlichen Namen verkündete und die Bühne von dem Jauchzen, Stampfen und Tücherschwenken der Menge wankte. Ihre Blicke hatten sich umflort und ihre Hände gezittert, als sie ein Kränzlein lebendiger Rosen mit goldenen Blättern an der Lanzenspitze des Junkers befestigte, und es war ihr, als habe sie mit diesem Kränzlein das eigene Ich hinweggegeben. Er aber lächelte siegesfroh, blickte ihr mit den guten blauen Augen fest ins Gesicht und sagte mit seinem fremden Akzent: »Madonna, ich hoffe, Euch wiederzusehen.«

      Ein Florentiner hätte sich schwungvoller und zierlicher ausgedrückt, aber die stete Wiederholung der schlichten Worte, als ob der Sprecher nichts zu denken noch zu sagen vermöge als nur das eine, den Wunsch, sie wiederzusehen, hatte sie erschüttert und erschreckte sie zugleich mit der Ahnung, daß diese unwiderstehlich starken Arme nun auch sie ergreifen und nicht wieder freigeben würden. Doch während sie sich gegen diesen Zwang zu wehren suchte, freute sie sich selbst im stillen, daß heute abend der unaussprechliche Name des Fremdlings in aller Munde war, als ob sie selber an seinem Triumph einen Teil hätte.

      Gleichzeitig ereignete sich der seltsame Fall, daß des Vaters Gedanken nicht minder lebhaft mit dem anziehenden Fremdling beschäftigt waren als die der Tochter; freilich aus sehr verschiedenem Grund. Seit er die Nachricht von jenen vergrabenen Bücherschätzen auf Schloß Stauffeneck erhalten hatte, war in Bernardos Seele die fast abenteuerlich kühne Hoffnung aufgekeimt, daß der verschwundene Kodex vielleicht mit in jener Truhe liege. Es war zuerst nur eine Eingebung des roten Lutz gewesen, die der Gebieter selbst belächelte; aber in langer Nacht hatte er die Ortsnamen, die fest in seinem Gedächtnis hafteten, mit den Angaben über den letzten Verbleib des Manuskriptes verglichen, und zu seiner eigenen Überraschung stimmten sie wunderbar. In seinen schlaflosen Grübeleien hatte er noch dem Zweifel Raum gegönnt, aber am Morgen, als die freudigen Lichtfluten durch das Fenster strömten, öffnete er sein Herz der frohen Überzeugung, daß es der Schatten des großen Römers selber sei, der aus dem Munde eines barbarischen Kriegsknechts um Erlösung flehe.

      Herr Bernardo war vor allen Dingen Humanist, und die Leidenschaft für das klassische Altertum erstickte in ihm jede andere menschliche Empfindung. Darum konnte auch Lucrezia kein Herz zu ihrem Vater fassen, obwohl sie me ein ungütiges Wort von ihm zu hören bekam, aber er schien ihr glatt und kühl wie ein Aal, und wenn er einmal zärtlich wurde, so hatte sie den Eindruck, als sei es ihm nur um die wohltönenden Reden zu tun, die leicht und elegant von seinen Lippen strömten.

      In seinem Studierzimmer saßen an den Winterabenden die Mitglieder der Platonischen Akademie unter einer Marmorbüste Ciceros beisammen, der Herr Bernardos stärkster Heiliger war und dem er ein ewiges Lämpchen unterhielt, wie sein Freund Marsilio Ficino dem Plato. Jahraus jahrein arbeiteten die besten Meister der Goldschmiedekunst an seinem berühmten, den antiken Mustern nachgebildeten Tafelgeschirr; er selbst trug im Hause statt des Florentiner Lucco eine römische Toga und bewegte sich mit dem Anstand, der diesem Gewande entsprach. Er redete niemals mit Heftigkeit, noch ließ er je eine Erregung des Gemütes blicken, so daß er zu jeder Stunde an jene römischen Senatoren gemahnte, die in ihren kurulischen Stühlen sitzend das Herannahen des Galliers erwarteten. Sein Sprechen war so gewählt, daß er nie einen Satz unvollendet ließ, und daß jede seiner abgerundeten Perioden für eine vollkommene Stilübung gelten konnte. Im Latein, das dazumal die höhere Umgangssprache war, legte er sich lieber den Zwang auf, seinen Gesprächsstoff zu beschränken, als ein Wort zu gebrauchen, welches nicht durch die Autorität Ciceros gedeckt war. Und diesem Manne, der so hoch und sicher im Leben stand, dessen Söhne die ersten Ehrenposten des Staates bekleideten, fehlte nur eines zur Zufriedenheit, dieses eine aber fehlte ihm so sehr, daß es ihm fast die anderen Güter entwertete, nämlich jener uralte, ciceronianische Kodex, dessen Trugbild ihm soeben aufs neue zwischen den Händen zerronnen war.

      Dieser Kodex hatte im Haus der Rucellai schon eine schicksalsschwere Rolle gespielt. Zuerst war es Donato Rucellai, Bernardos älterer Bruder, gewesen, der vor mehr als dreißig Jahren bei einem Besuch auf der Insel Reichenau den kostbaren Fund getan. Der damalige Abt befand sich häufig in Geldverlegenheiten und wäre gerne bereit gewesen, das Buch zu verkaufen, aber er tat, als er das Entzücken des Entdeckers sah, eine so ungeheure Forderung, daß der Italiener mit leeren Händen abziehen mußte, denn eine Abschrift zu nehmen wurde ihm nicht gestattet.

      Doch sein Verzicht ließ Herrn Donato keine Ruhe. Er verkaufte ein Landgut, legte die Summe bei einem deutschen Bankhaus nieder und begab sich wieder auf die Fahrt. Unterdessen hatte aber das Manuskript den Besitzer gewechselt, da es pfandweise in ein württembergisches Kloster übergegangen war. Landfremd, der Sprache nur zur Not kundig, und im ärmlichsten Aufzug, um keinem Wegelagerer zur Beute zu fallen, verfolgte der weichliche Humanist unter schweren Mühen und Entbehrungen die Spuren eines Schatzes, die ihn bis tief in den Schwarzwald führten.

      Dort stand unter endlosen finstern Tannenwäldern, die dem lichtgewohnten Sohne des Südens wie die Pfade der Unterwelt erschienen, das ehrwürdige Kloster Hirsau – in italienischem Munde Irsava gesprochen. In dieser Abtei war Donato zum letzten Male gesehen worden, denn ein anderer italienischer Manuskriptensammler hatte ihn dort getroffen, als der Unermüdliche eben im Begriffe stand, nach einem Klösterlein des heiligen Blasius im Osten des Landes, nicht gar weit von der alten Staufenfeste, aufzubrechen, wohin ein Hirsauer Bruder den kostbaren Kodex verschleppt haben sollte.

      Dies


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