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Der letzte Mensch. Mary ShelleyЧитать онлайн книгу.

Der letzte Mensch - Mary Shelley


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Versöhnliches. Ich sah, dass er in seinem Herzen diejenigen verachtete, die aus anderen als weltlichen Motiven handelten. »Jeder Mann«, sagte er, »träumt von etwas, von Liebe, Ehre und Vergnügen. Sie träumen von Freundschaft und opfern sich für einen Wahnsinnigen auf, nun, wenn das Ihre Berufung ist, dann haben Sie zweifellos das Recht, ihr Folge zu leisten.«

      Eine Erinnerung schien ihn zu peinigen, und der Schmerz, der für einen Moment sein Gesicht erschütterte, gebot meiner Empörung Einhalt. »Glücklich sind die Träumer«, fuhr er fort, »so sie nicht erweckt werden! Könnte ich nur träumen! Doch der ›helle und grelle Tag‹ ist die Wirklichkeit, in der ich lebe; ihr blendender Schein kehrt die Szene für mich um. Selbst der Geist der Freundschaft ist von mir gewichen, und ebenso die Liebe.« Er brach ab; ich konnte nicht erraten, ob die Verachtung, die seine Lippen kräuselte, gegen die Leidenschaft oder gegen sich selbst gerichtet war, weil er ihr Sklave war.

      Dieser Bericht kann als ein Beispiel meiner Unterredungen mit Lord Raymond genommen werden. Ich wurde vertraut mit ihm, und jeder Tag bot mir Gelegenheit, mehr und mehr seine starken und vielseitigen Begabungen zu bewundern, die zusammen mit seiner Beredsamkeit, die elegant und gewitzt war, und seinem jetzt gewaltigen Reichtum, dafür sorgten, dass er gefürchtet, geliebt und verhasster als jeder andere Mann in England wurde.

      Meine Abstammung, die Interesse weckte, wenn sie nicht gar Respekt erheischte, meine frühere Verbindung mit Adrian, die Gunst des Botschafters, dessen Sekretär ich gewesen war, und jetzt meine Vertrautheit mit Lord Raymond ermöglichten mir leichten Zugang zu den eleganten und politischen Kreisen Englands. In meiner Unerfahrenheit erschien es mir zunächst, als stünden wir am Vorabend eines Aufstands; jede Partei war aufgebracht, erbittert und unnachgiebig. Das Parlament war in drei Fraktionen unterteilt, Aristokraten, Demokraten und Royalisten. Nach Adrians erklärter Vorliebe für die republikanische Regierungsform war die letztere Partei fast führerlos gewesen, doch als Lord Raymond als ihr Führer hervortrat, belebte sie sich wieder mit doppelter Kraft. Einige waren Royalisten aus Prinzip und alter Neigung, und es gab viele Gemäßigte, welche die launische Tyrannei der Volkspartei und den unbeugsamen Despotismus der Aristokraten gleichermaßen fürchteten. Mehr als ein Drittel der Mitglieder reihte sich unter Raymond ein, und ihre Zahl nahm ständig zu. Die Aristokraten bauten ihre Hoffnungen auf ihren überwiegenden Reichtum und Einfluss; die Reformer auf die Macht der Nation selbst. Die Debatten waren aufgebracht, und noch aufgebrachter waren die Reden der einzelnen Politiker, als sie sich versammelten, um ihre Maßnahmen zu organisieren. Schmähreden wurden verbreitet, Widerstand sogar mit dem Tod bedroht, Versammlungen der Bevölkerung störten die stille Ordnung des Landes; wo außer im Krieg sollte dies alles enden? Gerade als die zerstörerischen Flammen bereit waren auszubrechen, sah ich sie einlenken, beschwichtigt durch die Abwesenheit des Militärs, durch die Abneigung, die alle gegenüber jeder Gewalt empfanden, außer in der Sprache, und durch die herzliche Höflichkeit und sogar Freundschaft der feindlichen Führer, wenn sie sich in privater Gesellschaft trafen. Ich sah mich aus tausend Gründen dazu veranlasst, dem Verlauf der Ereignisse minutiös zu folgen und jede Wendung mit großer Neugierde zu beobachten.

      Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Perdita Raymond liebte; mich dünkte auch, dass er die schöne Tochter Verneys mit Bewunderung und Zärtlichkeit betrachtete. Doch ich wusste, dass er seine Ehe mit der mutmaßlichen Erbin der Grafschaft Windsor vorantrieb, kühn die Vorteile erwartend, die ihm daraus erwachsen würden. Die Freunde der einstigen Königin waren alle auch seine Freunde; keine Woche verging, in der er nicht in Windsor Beratungen mit ihr abhielt.

      Ich hatte die Schwester Adrians nie gesehen. Ich hatte gehört, dass sie reizend, liebenswert und faszinierend sei. Warum sollte ich sie sehen? Es gibt Zeiten, in denen wir ein unbestimmtes Gefühl der bevorstehenden Veränderung zum Guten oder Schlechten haben, die aus einem Ereignis entstehen wird; und sei es nun zum Guten oder Schlechten, wir fürchten die Veränderung und versuchen das Ereignis zu verhindern. Aus diesem Grund mied ich diese hochgeborene Jungfrau. Für mich war sie alles und nichts; ihr Name, der von einem andern erwähnt wurde, ließ mich zusammenfahren und zittern; die endlosen Gespräche über ihre Verbindung mit Lord Raymond empfand ich als eine wahre Qual. Mich dünkte, dass ich nun, da Adrian sich aus dem aktiven Leben zurückgezogen hatte und diese schöne Idris wahrscheinlich ein Opfer der ehrgeizigen Pläne ihrer Mutter wurde, vortreten sollte, um sie vor übermäßigem Einfluss zu bewahren, sie vor Unglück zu beschützen und ihr die Entscheidungsfreiheit zu sichern, das Recht eines jeden Menschen. Doch wie sollte ich dies bewerkstelligen? Sie selbst würde meine Einmischung ablehnen. Darum musste ich ihr gegenüber gleichgültig oder verächtlich sein und sie besser, am allerbesten meiden, statt mich vor ihr und der höhnischen Welt der Möglichkeit auszusetzen, das verrückte Spiel eines närrischen, törichten Ikarus zu spielen.

      Eines Tages, einige Monate nach meiner Rückkehr nach England, verließ ich London, um meine Schwester zu besuchen. Ihre Gesellschaft war mein wichtigster Trost und meine Freude; und meine Stimmung hob sich immer in der Erwartung, sie zu sehen. Ihre Unterhaltung war voller kluger Bemerkungen und Einsichten; in ihrer angenehmen Laube, die mit schönen Blumen verziert und mit prunkvollen Statuen, antiken Vasen und Kopien der feinsten Bilder von Raffael, Correggio und Claude, die sie selbst gemalt hatte, geschmückt war, fühlte ich mich wie in einem märchenhaften Schlupfwinkel, der unberührt von und unzugänglich für die lauten Streitigkeiten von Politikern und die frivole Beschäftigung mit der Mode war. Bei dieser Gelegenheit war meine Schwester nicht allein, noch konnte ich umhin, ihre Gefährtin zu erkennen: Es war Idris, der bis jetzt unsichtbare Gegenstand meiner närrischen Schwärmerei.

      In welchen passenden Begriffen der Bewunderung und des Entzückens, in welchen gewählten Ausdrücken und sanftem Fluss der Sprache kann ich die Schönste, Weiseste, Beste beschreiben? Wie mit der ärmlichen Auswahl von Worten den Glorienschein, die tausend anmutigen Reize, die sie umgaben, vermitteln? Das Erste, was einen beim Anblick dieses bezaubernden Antlitzes beeindruckte, war seine vollkommene Tugendhaftigkeit und Offenheit. Freimut sprach aus ihrem Gesicht, Schlichtheit aus ihren Augen, himmlische Güte aus ihrem Lächeln. Ihre große, schlanke Gestalt war anmutig wie eine Pappel in der Brise, und ihr göttlicher Gang war wie der eines geflügelten Engels, der soeben von der Höhe des Himmels herabgestiegen war. Die perlengleiche Makellosigkeit ihres Antlitzes war mit einer zarten Röte überhaucht, ihre Stimme ähnelte dem leisen, gedämpften Ton einer Flöte. Am einfachsten ist es vielleicht, dies im Gegensatz zu beschreiben. Ich habe die Vollkommenheit meiner Schwester ausführlich beschrieben; und doch war sie Idris völlig unähnlich. Perdita war, selbst wo sie liebte, zurückhaltend und schüchtern; Idris war offen und vertrauensvoll. Die eine schreckte in die Einsamkeit zurück, um sich dort vor Enttäuschung und Verletzung zu verschanzen; die andere ging frei heraus und glaubte, dass ihr niemand etwas antun würde. Wordsworth hat eine geliebte Frau mit zwei schönen Gegenständen in der Natur verglichen; doch seine Zeilen schienen mir stets eher ein Gegensatz als eine Ähnlichkeit zu sein:

       Ein Veilchen bei dem moosgen Stein

      Vom Auge kaum gesehn,

      Schön wie ein Sternlein, das allein

      Am Himmelsdom darf stehn.

      Solch ein Veilchen war die süße Perdita, die selbst davor erzitterte, sich der Luft auszusetzen, die vor der Betrachtung zurückschrak, aber von ihren Vorzügen verraten wurde; und denen, die sie auf ihrem einsamen Pfad aufsuchten, mit tausendfacher Anmut die Mühe vergalt. Idris war wie der Stern, in einzigartiger Pracht in der trüben Dämmerung des milden Abends strahlend; bereit, die Welt zu erleuchten und zu erfreuen, jeden Makel verhütend durch ihre unendliche Entfernung von allem, was nicht wie sie dem Himmel gleich war.

      Ich fand diese Vision von Schönheit vor Perditas Hütte, in ernsthafte Unterhaltung mit deren Bewohnerin vertieft. Als meine Schwester mich sah, erhob sie sich, nahm meine Hand und sagte: »Er ist hier, gerade auf unseren Wunsch; dies ist Lionel, mein Bruder.«

      Idris erhob sich ebenfalls, wandte mir ihre himmlisch blauen Augen zu und sagte anmutig: »Sie brauchen kaum vorgestellt zu werden; wir haben ein von meinem Vater hoch geschätztes Bild, das Ihren Namen sofort erklärt. Sie werden diese Verbindung anerkennen, Verney, und ich fühle, dass ich Ihnen als Freund meines Bruders vertrauen darf.«

      Dann, mit einer unter den Lidern zitternden Träne und bebender Stimme, fuhr


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