Der veruntreute Himmel. Franz WerfelЧитать онлайн книгу.
in dieses harrende Unglück, das nebelhaft und doch unbeweglich auf seiner Stelle thronte wie vom Beginn der Schöpfung her. Ich warf mich aufs Bett, um von diesem Unentrinnbaren, dem wir entgegensausten, nichts mehr zu wissen. Erst als es ganz finster geworden war, zersprang die Klammer um meinen Kopf. Nichts blieb übrig als das fadschmeckende Bewußtsein von der arktischen Einsamkeit meines ganzen bisherigen Lebens, eines somit heillos verpfuschten Lebens. Ich schlich mich feige aus dem Zimmer. Ich mußte lebendige Wesen sehen, die Bichlers, Teta, die Hunde . . .
Die Küche, in die ich ging, war schon ausgelöscht und leer. Da stieg ich in den Mansardenstock hinauf, wo das Hauspersonal wohnte. Die Angst war noch immer da. Mein Herz arbeitete schnell, und ich mußte mich überwinden, um mich nicht lächerlich zu machen und wie ein furchtsames Kind nach Teta zu rufen. Ich hatte das unsinnige Gefühl, niemand anderer könne mich sicherer vor dem Tode retten als die alte Magd mit ihren Vergißmeinnichtaugen und breiten Backenknochen. Am Ende des Ganges drang durch eine Türritze ein Strich von Licht. Ich klopfte zweimal an. Keine Antwort. Teta war nicht da. Ich öffnete die Tür. Ein echtes Mägdekämmerchen. Auf dem schmalen Bett lag eine Decke, auf der in farbiger Netzstickerei eine Schäferszene mit ausgeblaßten Rokokofiguren dargestellt war. Diese rührend vergilbte Decke bildete zweifellos das wohlbehütete Eigentum Tetas, wahrscheinlich ein Erbstück, das sie auf ihrer ganzen Lebensreise begleitete. Die Kammer war vollgeräumt mit Körben, Schachteln, Paketen aller Arten. Die beiden altertümlichen Strohkoffer, die fest versperrt waren, schienen nicht hinzureichen, um die Habseligkeiten und den Krimskrams der Köchin aufzunehmen. In einer Ecke häuften sich die getrockneten Kräuter in verschiedenen Hügeln. Der scharfe Geruch der Minze schlug mir entgegen. Auf dem Fensterbrett standen zwei Levkojenstöcke, auf dem Tischchen zwei Wassergläser mit Zyklamensträußen. Über dem Bett, wo ich eine Muttergottes vermutet hätte, hing unter Glas und Rahmen der Farbdruck eines jungen bildschönen Heiligen, der mitten in einem ungelenken Walde vor seiner Klause im Gebet versunken kniete, während sich das allzukörperliche Engelgedränge seiner Vision aus einer fast giftig lazuliblauen Himmelswunde auf ihn herabsenkte. Das Gesicht des Ekstatikers aber war jugendfrisch, überaus süßlich und stand in fröhlichem Widerspruch zu dem durch Entsagung erworbenen Heiligenschein. Unterhalb dieses anspruchsvollen Gemäldes hing ein zweites, aber bescheideneres Bild, ebenfalls unter Glas und Rahmen. Es war die Photographie eines jungen Geistlichen im Chorrock, der das Brevier in Händen hielt. Seine Augen blickten schwärmerisch und kurzsichtig in die Ferne, als hätten sie soeben erst von dem erbaulichen Texte aufgesehen. Diese Photographie im sogenannten Kabinettformat schien schon manches Jahr alt zu sein. Die pathetische Haltung des jungen Priesters bewies das, sowie die unnatürlichen Wolken, die hinter seinem Kopf zu einem ewig drohenden Wetter geronnen waren. Ähnliche Bilder mit solchen feierlichen Prospekten im Hintergrund werden noch heute von den Schnellphotographen der Jahrmärkte aufgenommen. Hinter dem Rahmen steckten ein paar drahtige Stengel von pelzigem Edelweiß. Ohne einzutreten besah ich mir lange das Zimmerchen, und derselbe Eindruck von merkwürdiger Abgeschlossenheit und Festigkeit wie vor zwei Tagen ergriff mich. Hier hauste jemand, der mittels ein paar armseliger Dinge einem engen Raum den Stempel seines Wesens aufzudrücken vermochte. Ich fuhr zusammen, als ich Tetas Stimme plötzlich hinter mir vernahm. Da sie in Filzschuhen ging, hatte ich ihr Kommen nicht bemerkt. Aus ihren Worten glaubte ich Mißtrauen und Unwillen herauszuhören: »Was wünscht der gnä’ Herr dahier?«
»Ich fühl mich nicht besonders wohl, Fräul’n Teta«, sagte ich verlegen, »vielleicht bekomm ich ein Fieber . . . Es wär nett von Ihnen, wenn ich einen Tee haben könnt . . . Ich hab Sie gesucht . . .«
Teta warf mir einen prüfenden Blick zu. Dann trat sie zu ihren Kräutern und begann in den Häuflein emsig zu wühlen:
»Da hab ich einen Tee«, ächzte sie während des Suchens, »der bringt jede Erkältung weg und Kopfweh und verdorbenen Magen in einer halben Stund wie ein Wunder . . .«
Und indem sie, noch immer gebückt, die Mischung bereitete, blinzelte sie zu mir herüber:
»Der Tee wird gleich fertig sein . . . Geh der gnä’ Herr nur in sein Zimmer . . . Wenn ich bittlich sein darf . . .«
Teta hatte mich nicht nur nicht aufgefordert, bei ihr einzutreten, sondern sie schickte mich fort. Vermutlich mochte sie es gar nicht leiden, wenn irgendwer ihrem Sanctissimum zu nahe kam.
»Da mach ich Ihnen wieder einmal Mühe«, entschuldigte ich mich.
»Mit Erlaubnis, das ist keine Müh, bitte . . . Der gnä’ Herr sind ja immer allein und studieren so viel bis in die Nacht . . . Und die gnä’ Herrschaft hat befohlen, daß ich auf den gnä’ Herrn schaun tu . . . Ich werd auch eine Wärmflasche heiß machen . . .« »Fräul’n Teta«, sagte ich, »unsere gemeinsame Wirtschaft geht jetzt zu End. Übermorgen kommen die Herrschaften zurück, ich hab Nachricht bekommen . . . Da möcht ich mich Ihnen erkenntlich zeigen . . .«
Ich zog einen Geldschein aus der Tasche und drückte ihn ihr in die Hand, hatte aber dabei die peinliche Empfindung, etwas Unangemessenes zu tun. Sie jedoch schloß die Faust ziemlich gierig um das Geld und ließ es schnell in ihrer Schürzentasche verschwinden, wobei sie sich mit einem Lächeln zierte:
»Aber was tun der gnä’ Herr da . . . Nein, so was . . . Das wär ja gar nicht nötig . . .«
Ich mußte ihr die Hand entziehen, die sie nach Art alter Mägde zu küssen versuchte. Nur um einen Abschluß zu finden, deutete ich auf den Farbdruck des Heiligen über dem Bett hin:
»Ein schönes Bild haben Sie da hängen, Fräul’n Teta . . .«
Sie nickte mehrmals, während sie tief aufseufzte:
»Ja, das Bild ist eine Pracht . . .«
Mein Blick aber blieb lange an der Photographie des jungen Geistlichen mit dem Brevier hängen. Zwischen Teta, dieser Photographie und mir ging etwas Undeutliches vor. Ich fühlte, daß mich Teta von der Seite verstohlen ansah, als fürchte sie eine Frage, die zu beantworten sie nicht gesonnen war. Ich aber fragte nichts.
Zweites Kapitel
EIN LEBENSPLAN
Livia hatte von den Festspielen erzählt, von der buntgemischten, erregten Welt jenseits des Toten Gebirges, die nur eine kleine Autostunde und zugleich sternenweit von unserem Grafenegg entfernt lag. Nach Tisch war ein gewaltiges Alpengewitter niedergegangen. Nun aber hatte sich eine durch den Aufruhr entkräftete Augustsonne hervorgekämpft und umspülte angenehm die Terrasse, auf der wir saßen und in den erschöpften und reingeweinten Park hinaussahen. Wir waren allein.
»Und du, Theo«, fragte Livia, »warst du gut aufgehoben und hast anständig gearbeitet all die Tage? . . .«
»Aufgehoben war ich herrlich wie immer bei euch und gearbeitet hab ich . . . ganz anständig . . .«
Ich log. Livia nämlich legte stets großen Wert darauf, daß ich in ihrem Hause mit gutem Gelingen arbeite. Es war ihr Ehrgeiz. Ich sah sie an. Die Frau, die mir so viel bedeutete, war schön wie eh und je. Sie hielt die wie aus mattem Selenit geschnittene Stirn gesenkt, denn ihre Hände waren mit einer Stickerei in Grellgrün beschäftigt. Mir ging mein eigenes Schicksal durch den Kopf. Als geistiges Wesen nahm man mich ernst, erwies mir Achtung, schrankenlose Freundschaft und Sympathie. Als Mensch aber war die letzte Tür immer vor mir zugefallen, und ich hörte den Riegel knirschen. Ich schien der geborene Gast zu sein, ein abseitiger Gefährte, dem man vertraute, weil er als Gegenspieler in der gierigen Partie des Lebens nicht in Betracht kam. Lag es an den andern? War’s eine verborgene Schwäche und kühle Teilnahmslosigkeit meines eigenen Wesens? Oder hatte es nur Livia so weise verstanden, mich genau an der Grenze ihres Bannkreises zu halten, damit das Schöne zwischen uns allen nicht in Brüche gehe? Gleichviel, heute in meinem fünfundvierzigsten Jahr glaubte ich, gewisse Bitterkeiten endlich überwunden zu haben, und nahm eine Stunde wie diese als ein Geschenk hin. Livia sah von ihrer Arbeit auf.
»Du hast noch niemals einen so guten Stoff gehabt, Theo . . . Ich glaub, mit diesem Buch wirst du dein Glück machen . . .«
»So optimistisch bin ich leider nicht, liebste Livia . . . Im Gegenteil, ich wünsche diesen und alle historischen Stoffe zum Teufel . . .«
»Es