Die mentale Revolution. Steffen KirchnerЧитать онлайн книгу.
du jetzt darüber nachdenkst, auf welcher Ebene du am liebsten wärst, dann ist das wahrscheinlich die Bewahrungsebene. Da ist es ja so schön gemütlich – und laaaangweilig! Viel spannender ist doch die Entwicklungsebene. Hier sind wir kreativ, erschaffen etwas Neues, denken positiv und finden Lösungen, anstatt die Probleme der Bewahrungsebene zu wälzen oder die Aggression der Zerstörungsebene auszuleben.
In meinen Seminaren und bei meinen Vorträgen erlebe ich immer wieder, dass die meisten Menschen die Zerstörungsebene für die »schlimmste« halten. Ja, sie ist sicherlich die schmerzhafteste. Das ist ganz klar. Auf dieser Ebene geht es ja ums Loslassen und darum, sich von Altem zu trennen. Das fällt uns Menschen schwer. Auf der Zerstörungsebene geht immer etwas zu Ende. Das ist aber nicht wirklich gefährlich.
In Wahrheit ist die gefährlichste Ebene diejenige, auf der zu sein am wenigsten wehtut – die Bewahrungsebene. Hier spürst du keine oder kaum Schmerzen. Höchstens den Schmerz des Durchhaltenmüssens, des Nichtaufgebens und des Immer-weiter-Festhaltens, damit dir nichts aus den Fingern gleitet.
Wir sind zu viel auf der Bewahrungsebene und versuchen, Systeme festzuhalten, die uns schon längst nicht mehr guttun.
Ich halte die Bewahrungsebene für so gefährlich, weil wir auf ihr entgegen der Natur handeln und unsere Umgebung dabei ignorieren. Es gibt ein Naturgesetz: Alles, was nicht wächst, stirbt. Das mag hart klingen, aber so ist es doch. Schau dir mal das Leben einer Pflanze an. Vielleicht bist du ja ein Hobbygärtner und hast schon das ein oder andere gepflanzt, hast beobachtet, wie es wächst, und die Früchte geerntet – und gesehen, wie die Pflanze schließlich stirbt, bis es dann im nächsten Jahr wieder von vorne losgeht. Dann weißt du: Es ist ein Kreislauf, der bis zum Ende des Wachstums führt und dann mit den Samen wieder von Neuem beginnt – ganz natürlich. Ohne das Sterben gäbe es keinen Neuanfang.
Loslassen zu lernen ist elementar für ein glückliches Leben. Wie das geht, erfährst Du in meinem Video hier: https://die-mentale-revolution.de/bonusmaterial |
Auf uns Menschen übertragen heißt das: Wenn wir Menschen zu lange in Systemen oder im Denken stillstehen und nur das Bestehende bewahren, dann fehlt die Entwicklung – also das Wachstum. Konsequenterweise bedeutet das den metaphorischen Tod. Für Entwicklung brauchen wir diese Zerstörung. In der Medizin nennt man das zum Beispiel den »Heilungsschmerz«. Denn auch bei einer Verletzung nimmt der Schmerz erst einmal zu, weil Altes zerstört werden muss, um Neues entstehen zu lassen.
ÜBRIGENS: Auf der Bewahrungsebene haben die Menschen Angst davor, Rückschritte zuzulassen. Genau wie unsere Systeme. Die lassen oft keine Fehler und Rückschläge zu, weil sie scheinbar zum Erfolg verpflichtet sind.
Ein gutes Beispiel dafür ist das, wie ich es nenne, Bayern-München-Phänomen. Bei diesem Fußballclub ist Misserfolg einfach nicht vorgesehen. Es wird stets versucht, den Erfolg immer aufrechtzuerhalten. Oftmals ist das aber nur unter extremen Anstrengungen und Kosten überhaupt möglich. Oder die Bayern schaffen es gar nicht. Um in der deutschen Bundesliga Meister zu werden, reicht es zwar meist, aber die Champions League konnten sie vor 2020 sechs Jahre lang nicht mehr gewinnen.
Wir müssen uns diesem Schmerz stellen, also heute mehr denn je auf die Zerstörungsebene einlassen, um wieder zurück auf die Entwicklungsebene zu gelangen. Dafür müssen wir bereit sein, auch wirklich in die »Entwicklung« zu gehen. Wieder ein Grund mehr, warum wir eine mentale Revolution brauchen. Denn dadurch können wir uns der Erkenntnis öffnen, dass die Bewahrungsebene nicht gut ist, und die Bereitschaft entwickeln, vorübergehend die Zerstörungsebene zu ertragen. Dann sehen wir den Verlust von bestimmten Dingen nicht mehr als Schwäche, Fehler oder Krankheit. Stattdessen müssen wir ihn zulassen, um eine gesunde Fehlerkultur oder eine Kultur des Scheiterns zu etablieren. Denn wie sagt man so schön: Wir scheitern nach oben. Beim Scheitern wird man hoffentlich gescheiter.
Die Freiheit, Fehler zu machen
An dieser Art von Kultur mangelt es jedoch – sowohl gesellschaftlich als auch in Firmen – ganz besonders im deutschsprachigen Raum. Das kennst du doch sicher auch: Wie fühlst du dich, wenn du einen Fehler machst? Ist dir das peinlich? Versteckst du den Fehler lieber, anstatt offen damit umzugehen und drüber zu sprechen? Wahrscheinlich sind dir Fehler sehr unangenehm. So geht es zumindest den meisten Leuten in Deutschland, wie eine Studie der Universität Hohenheim aus dem Jahr 2015 belegt. Allerdings ergab die Studie auch, dass jüngere Menschen im Alter »zwischen 18 und 29 Jahren unternehmerische Fehler deutlich positiver bewerten als Deutsche zwischen 60 und 67 Jahren.«4 Das lässt hoffen, dass sich die Einstellung dieser Generation zu Fehlern in der Gesellschaft und in Unternehmen schon bald durchsetzt.
Passivität verhindert jedes Wachstum.
Denn die Angst, zu scheitern, bremst unsere Neugier und Innovationslust. Sie macht uns passiv. Und das halte ich für gefährlich. Denn das Gegenteil von Erfolg ist nicht, wie viele annehmen, Misserfolg, sondern Passivität. Passivität bewegt einfach nichts und verhindert somit jedes Wachstum. Sie bedeutet Stillstand.
Wahrscheinlich ist die Angst vor dem Scheitern auch der Grund dafür, dass die Anzahl der Neugründungen in Deutschland rückläufig ist. Das Jahr 2018 war das Jahr mit der niedrigsten Zahl an Neugründungen seit langer Zeit.5 Ich bin überzeugt, dass das nicht daran liegt, dass den Deutschen nichts einfällt, sondern an einer Gesellschaft, deren Fehlerkultur kein Scheitern zulässt.
Dass es sich dabei um ein sehr deutsches Phänomen handelt, zeigen die Zahlen in anderen Ländern, die im Vergleich regelrecht explodieren.6 Das wirft nicht gerade ein gutes Licht auf unseren Innovationsmut. 2019 ist die Zahl der Gründungen zwar seit Langem zum ersten Mal wieder gestiegen. Trotzdem hält laut dem aktuellen Global Entrepreneurship Monitoring (GEM)7 die Angst vor dem Scheitern 42 Prozent der Deutschen vom Gründen ab. Damit belegt Deutschland international Platz 12 im Angsthasen-Ranking. In den USA zum Beispiel lassen sich nur 34,5 Prozent von dieser Angst vom Gründen abhalten. Besonders wenig Angst vor dem Scheitern haben die Südkoreaner. Nur 32,6 Prozent fürchten sich dort vor Fehlschlägen. Und das ist gut so. Denn solltest du mit einer Idee, einer Strategie oder einem Unternehmen scheitern, sagt das rein gar nichts über deine Qualitäten aus. Es heißt nur, dass du die Chance bekommst, aus deinen begangenen Fehlern zu lernen.
ÜBRIGENS: So machen es die Besten. Multimilliardär Richard Branson ist einer von ihnen. Er scheiterte zum Beispiel mit einem Studentenmagazin. Und an die »Virgin Megastores«, diese riesigen Platten- und CD-Läden, werden sich die jüngeren Leser wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern. Der wohl bekannteste stand mitten in London auf der Oxford Street. Aus Europa und den USA sind diese Stores alle verschwunden. Branson hat es aber geschafft, das Konzept an die Zeit und auch regional anzupassen. Heute gibt es mehr als 40 »Virgin Megastores«, die hauptsächlich im Mittleren Osten ansässig sind. Branson hat sie als Lifestyle- und Erlebnismarke für alle möglichen Interessen etabliert, die von Mode über Elektroartikel bis hin zu Musikinstrumenten reicht.
In Sachen Umgang mit Misserfolgen sind kleine Kinder die besten Vorbilder. Sie fallen einfach so lange hin, bis sie erst stehen und dann gehen können. Immer wieder landen sie dabei auf ihrem Hintern. Wenn die Eltern hinschauen, gibt’s meist auch Gebrüll. Aber irgendwann läuft es dann und von diesem Moment an sind sie kaum mehr zu bremsen und finden immer neue Wege.
Erfolg ist ein Abfallprodukt von Fehlern und Misserfolgen.
Schau dir mal Start-ups an. Die Idee kann noch so gut sein, wenn sich die Leute nicht um Vermarktung, aber auch um Buchhaltung und das Bilden von Rücklagen kümmern, kommen sie nicht weit. Doch die wenigsten schaffen das alles auf Anhieb. Die meisten übersehen etwas, machen Fehler, scheitern, fangen wieder bei null an … Und erst dann klappt’s. Der Erfolg ist also das Ergebnis einer Aneinanderreihung mehrerer Misserfolge. Also verlass die Bewahrungsebene und mach Fehler! Dann kommt der Erfolg von allein. Ich sage das, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Misserfolge zu jedem Erfolg dazugehören. Stück