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Jeder stirbt für sich allein. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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waren die Persickes große Leute geworden, der Alte hatte alle möglichen Ämter bei der Partei, und die beiden ältesten Söhne waren bei der SS; Geld schien bei denen keine Rolle zu spielen.

      Um so mehr Grund, sich bei ihnen vorzusehen, denn alle, die so standen, mußten sich bei der Partei in Beliebtheit halten, und das konnten sie nur, wenn sie etwas für die Partei taten. Etwas tun, das hieß aber, andere angeben zum Beispiel melden: Der und der hat einen ausländischen Sender abgehört. Quangel hätte darum am liebsten schon lange die Radios aus Ottos Kammer verpackt in, den Keller gestellt. Man konnte nicht vorsichtig genug sein in diesen Zeiten, wo jeder der Spion des andern war, die Gestapo ihre Hand über alle hielt, das KZ in Sachsenhausen immer größer wurde. Er, Quangel, brauchte kein Radio, aber Anna war gegen das Fortschaffen gewesen. Sie meinte, das alte Sprichwort gelte noch: Ein reines Gewissen ist ein gutes Ruhekissen. Wo so was alles doch schon längst nicht galt, wenn es je gestimmt hatte.

      Mit solchen Gedanken ging also Quangel eiliger die Treppen hinab und über den Hof auf die Straße.

      Bei den Persickes aber haben sie darum so geschrien, weil das Licht der Familie, der Bruno, der jetzt Schirachs wegen Baldur heißt und, wenn’s Vater mit seinen Beziehungen schafft, sogar auf eine Napola soll – weil also der Baldur im «Völkischen Beobachter» ein Bild gefunden hat. Auf dem Bild sind der Führer und der Reichsmarschall Göring zu sehen, und unter dem Bilde steht: «Beim Empfang der Nachricht von der Kapitulation Frankreichs». So sehen die beiden auf dem Bilde auch aus: der Göring lacht über sein ganzes feistes Gesicht, und der Führer klatscht sich auf die Schenkel vor Vergnügen.

      Die Persickes haben sich auch wie die auf dem Bilde gefreut und gelacht, der Baldur aber hat gefragt: «Na, seht ihr denn nichts Besonderes auf dem Bilde?»

      Sie starren ihn abwartend an, so völlig sind sie von der geistigen Überlegenheit dieses Sechzehnjährigen überzeugt, daß keiner auch nur eine Vermutung laut werden läßt.

      «Na!» sagt der Baldur. «Überlegt doch mal! Das Bild ist doch von ʼnem Pressefotografen gemacht worden. Hat der wohl dabeigestanden, wie die Nachricht von der Kapitulation gekommen ist? Sie muß doch auch durchs Telefon oder durch ʼnen Kurier oder vielleicht gar durch einen französischen General gekommen sein, und von alledem sieht man auf dem Bilde gär nichts. Die beiden stehen hier ganz allein im Garten und freuen sich ... »

      Baldurs Eltern und Geschwister sitzen noch immer stumm da und starren ihn an. Ihre Gesichter sind vom gespannten Aufmerken fast dumm. Der alte Persicke würde sich am liebsten schon wieder einen neuen Schnaps genehmigen, aber das wagt er nicht, solange der Baldur spricht. Er weiß aus Erfahrung, der Baldur kann sehr unangenehm werden, wenn man seinen politischen Vorträgen nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt.

      Der Sohn fährt unterdes fort: «Also, das Bild ist gestellt, es ist gar nicht beim Eintreffen der Nachricht von der Kapitulation gemacht worden, sondern vorher. Und nun seht auch an, wie sich der Führer freut! Der denkt jetzt schon längst an England, und wie wir die Tommys drankriegen. Nee, das ganze Bild ist eine Schauspielerei, von der Aufnahme angefangen bis zum Händeklatschen. Das heißt, den Dummen Sand in die Augen gestreut!»

      Jetzt starren den Baldur die Seinen so an, als seien sie die Dummen, denen Sand in die Augen gestreut wird. Wenn’s nicht der Baldur gewesen wäre, jeden Fremden hätten sie für so ’ne Bemerkung bei der Gestapo angezeigt.

      Der Baldur aber fährt fort: «Seht ihr, und das ist das Große an unserem Führer: er läßt keinen in seine Pläne reingucken. Die denken jetzt alle, er freut sich über seinen Sieg in Frankreich, und dabei sammelt er vielleicht schon die Schiffe für eine Invasion auf der Insel. Seht ihr, das müssen wir von unserm Führer lernen: wir sollen nicht jedem auf die Semmel schmieren, wer wir sind und was wir vorhaben!» Die andern nicken eifrig; endlich glauben sie erfaßt zu haben, worauf der Baldur hinauswill. «Ja, ihr nickt», sagt der Baldur ärgerlich, «aber ihr macht’s ganz anders! Keine halbe Stunde ist es her, da habe ich Vatern vor der Briefträgerin sagen hören, die olle Rosenthal oben soll uns Kaffee und Kuchen spendieren ... »

      «Och, die olle Judensau!» sagt Vater Persicke, aber doch mit einem entschuldigenden Ton in der Stimme.

      «Na ja», gibt der Sohn zu, «viel Aufhebens wird von der nicht gemacht, wenn ihr mal was passiert. Aber wozu den Leuten so was erst erzählen? Sicher ist sicher. Guck dir mal ’nen Menschen an wie den über uns, den Quangel. Kein Wort kriegst du aus dem Manne heraus, und doch bin ich ganz sicher, der sieht und hört alles und wird auch seine Stelle haben, wo er’s hinmeldet. Wenn der mal meldet, die Persickes können die Schnauze nicht halten, die sind nicht zuverlässig, denen kann man nichts anvertrauen, dann sind wir geliefert. Du wenigstens bestimmt, Vater, und ich werde keinen Finger rühren, um dich wieder rauszuholen, aus dem KZ oder aus Moabit oder aus der Plötze, oder wo du grade sitzt.»

      Alle schweigen, und selbst ein so eingebildeter Mensch wie der Baldur spürt, daß dieses Schweigen nicht bei allen Zustimmung bedeutet. So sagt er noch rasch, um wenigstens die Geschwister auf seine Seite zu bringen: «Wir wollen alle ein bißchen mehr werden als Vater, und wodurch kommen wir zu was? Doch nur durch die Partei! Und darum müssen wir’s so machen wie der Führer: den Leuten Sand in die Augen streuen, so tun, als wären wir freundlich, und dann hintenrum, wenn keiner was ahnt: erledigt und weg. Es soll auf der Partei heißen: Mit den Persickes kann man alles machen, einfach alles!»

      Noch einmal sieht er das Bild mit den lachenden Hitler und Göring an, nickt kurz und gießt dann Schnaps ein, zum Zeichen, daß sein politischer Vortrag beendet ist. Er sagt: «Zieh bloß keinen Flunsch, Vater, weil ich dir mal die Meinung gegeigt habe!»

      «Du bist erst sechzehn und mein Sohn», fängt der Alte, noch immer gekränkt, an.

      «Un du bist mein Oller, den ich zu ville besoffen gesehen habe, als daß du mir noch groß imponierst», sagt Baldur Persicke rasch und bringt damit die Lacher, sogar die ständig verängstigte Mutter, auf seine Seite. «Nee, laß man, Vater, eines Tages werden wir noch im eigenen Auto fahren, und du sollst alle Tage Sekt zu saufen kriegen, bis du voll bist!»

      Der Vater will wieder etwas sagen, aber dieses Mal nur gegen den Sekt, den er nicht so schätzt wie seinen Kornschnaps. Aber Baldur fährt rasch und leiser fort: «Ideen hast du gar nicht so schlechte, Vater, bloß, du solltest mit keinem darüber reden als mit uns. Mit der Rosenthal ist vielleicht wirklich was zu machen und mehr als Kaffee und Kuchen. Laßt mich nur darüber nachdenken, das muß vorsichtig angefaßt werden. Vielleicht riechen andere den Braten auch, und vielleicht sind andere besser angeschrieben als wir!»

      Seine Stimme hat sich gesenkt und ist gegen den Schluß hin fast unhörbar geworden. Baldur Persicke hat es wieder fertiggebracht, er hat alle auf seine Seite gezogen, selbst den Vater, der erst eingeschnappt war. So sagt er denn: «Prost auf die Kapitulation von Frankreich!», und weil er sich dabei lachend auf die Schenkel klatscht, merken sie, daß er damit etwas ganz anderes meint, nämlich die alte Rosenthal.

      Sie lärmen durcheinander und stoßen an und trinken so manchen Schnaps, immer einen hinter dem andern. Aber sie vertragen auch was, dieser ehemalige Gastwirt und seine Kinder.

      3

       Ein Mann namens Borkhausen

      Der Werkmeister Quangel ist auf die Jablonskistraße hinausgetreten und hat vor der Haustür herumstehend den Emil Borkhausen getroffen. Es schien der einzige Beruf Emil Borkhausens zu sein, immer irgendwo rumzustehen, wo es was zu gaffen oder zu hören gab. Daran hatte auch der Krieg nichts geändert, der doch überall mit Dienstverpflichtungen und Arbeitszwang vorgegangen war: Emil Borkhausen stand weiter rum.

      Er stand da, eine lange, dürre Gestalt in einem abgetragenen Anzug, und sah verdrossen mit seinem farblosen Gesicht in die um diese Stunde fast menschenleere Jablonskistraße. Als er Quangels ansichtig wurde, kam Bewegung in ihn, er trat auf ihn zu und bot ihm die Hand. «Wo gehen Sie denn jetzt hin, Quangel?» fragte er. «Das ist doch noch nicht Ihre Zeit für die Fabrik?»

      Quangel übersah die Hand des andern und murmelte fast unverständlich: «Eiliger Weg!»

      Dabei ging er schon weiter, nach der Prenzlauer Allee zu. Dieser lästige Schwätzer hatte


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