Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
war rechts von Henri. Links aber erhob sich eine klare und strenge Stimme:
„Ihr Könige, Knechte eures Wahnes,
Habt Felder oft mit Mord bedeckt,
Damit die Grenze eures Planes
Sich um ein Haarbreit weiter streckt.
Ihr Richter, die auf heiligen Plätzen
Das öffentliche Wohl verkauft,
Soll euer Sohn ein Erbe schätzen,
Um das ihr euch wie Diebe rauft?“
„Freund Du Bartas“, sagte Henri, „wie kommt es nur, daß ein Hahn deiner Güte so bittere Worte findet. Die Mädchen werden dir davonlaufen!“
„Ich spreche sie auch nicht zu ihnen. Zu dir, lieber Prinz, spreche ich sie.“
„Und zu den Richtern. Du Bartas, vergiß die Richter nicht! Sonst bleiben dir nur noch deine bösen Könige.“
„Böse aus Blindheit seid ihr und sind wir Menschen alle. Man muß anfangen, sich zu bessern. Noch nicht die Mädchen, das kann ich noch nicht, aber die galanten Verse will ich mir völlig abgewöhnen. Ich mache in Zukunft nur geistliche.“
„Willst du denn schon sterben?“ fragte der junge Henri.
„Ich will einst fallen in einer Schlacht für dich, Navarra, und für das Reich Gottes.“
Henri schwieg infolge dieser Worte. Ihretwegen behielt er auch das Gedicht im Kopf: „Ihr Könige, Knechte eures Wahnes“, und in aller Stille beschloß er, niemals sollten Menschen tot auf Fluren liegen und ihm sein vergrößertes Gebiet bezahlen.
„Du Bartas“, verlangte er plötzlich, „richte dich so hoch auf, wie du kannst!“ Das tat der lange Edelmann, und sein Prinz blickte zu ihm hinan, ironisch, aber auch bewundernd.
„Siehst du von dort oben schon die liebe Madame Catherine mit ihrem großen Freudenhaus? Ihre schönen Ehrenfräulein erwarten euch.“
„Dich nicht?“ fragte Agrippa d’Aubigné und blinzelte anzüglich. „Ach nein, du bist ein ehrsamer Bräutigam. Aber wie man dich kennt —“ Hier lachten alle. Henri am meisten.
Von hinten rief einer: „Vorsicht, ihr Herren! Die Liebe am Hofe von Frankreich hat schon manchem etwas eingetragen, daß er’s bis an sein selig Ende spürte.“
Das erzeugte noch mehr Gelächter. Jemand aber drängte sein Pferd zwischen die anderen und das Tier des Prinzen. Er beachtete es nicht, daß sie aufbegehrten, sofort bereit, Streit anzufangen. Dieser zeigte von allen das bewegteste Gesicht, das aber klein erschien, die hohe Stirn drückte es zusammen. Die Augen hatten viel gelesen, sie waren schon traurig im vierundzwanzigsten Lebensjahr des Herrn Philipp Du Plessis-Mornay, und vierundsiebzig sollte er leben.
„Soeben habe ich Befehl von Gott erhalten!“ kündigte er dem Prinzen an. „Eine Rede von mir wird Karl den Neunten bewegen, die Glaubensfreiheit zu errichten und die Sache der Niederlande gegen Spanien zu führen.“
„Gib deine Rede dem Herrn Adm|ral!“ riet Henri ihm. „Er wird sich Gehör verschaffen. Uns fürchten sie noch nicht. Aber ich hoffe, wir bringen es bald dahin.“
Dies konnten sie vertraulich verhandeln, weil ihre ganze Umgebung vollauf beschäftigt war mit der Herzählung der Genüsse, die bei Hof auf sie warteten. Auch die Gefahren wurden laut ausgesprochen und Beispiele angeführt. Der Name der gefürchteten Krankheit fiel: da kam in Philipp Mornay ein jäher Aufruhr alles Wesens; er stieß hervor:
„Mag ich sie bekommen! Karl der Neunte aber soll Glaubensfreiheit geben!“
„Scheußlich wirst du aussehen!“
„Wir sind zuweilen scheußlich: was tut es angesichts der Ewigkeit. Ist nicht auch Jesus es, ein scheußlicher Mensch, gekreuzigter Gott, und an ihn glauben wir! Glauben an seine Jünger, den Auswurf der Menschheit, sogar der Juden! Was hat er denn hinterlassen als ein elendes Weib, verächtliches Andenken, und hieß ein Narr in seinem Stamm. Wenn die Kaiser gegen seine Lehre gekämpft haben mit dem Schwert und dem Gesetz, wie dann erst jedermann im eigenen Innern gegen sich selbst! Das Fleisch gegen den Geist! Dennoch haben die Völker sich unterworfen dem Wort weniger Männer, und die Reiche beten an: einen gekreuzigten Jesus. Jesus!“ rief Mornay mit einer Macht, daß alle aufhorchten und sich umsahen, auf welcher Seite der Gerufene sichtbar würde. Denn keiner von ihnen zweifelte, daß er erscheinen und sich zu ihnen gesellen könnte, wann immer seine Stunde schlug.
Für sie alle waren seine Wunden frisch und bluteten noch, die Tränen der Marien rannen unversiegt. Golgatha — sie erblickten es von hier mit ihren leiblichen Augen, ein kahler, bleicher Hügel, dahinter schwärzliches Gewölk. Sie bewegten sieh dahin zwischen seinen eigenen Öl- und Feigenbäumen, hatten übrigens mit auf der Hochzeit von Kana gesessen. Seine Geschichte floß zusammen mit ihrer Gegenwart, sie zuerst erlebten ihn wie sich selbst. Er war einer von ihnen, nur daß er sie übertraf an Heiligkeit und auch, wie Du Plessis-Mornay auszusprechen gewagt hatte, an Abscheulichkeit. Angenommen, der Menschensohn bog aus dem nächsten Prospekt von Felsen, um sich an ihre Spitze zu setzen, dann war sein Reittier natürlich kein lächerlicher Esel, sondern ein kriegstüchtiges Pferd, er selbst trug Koller und Harnisch, und sie hätten ihn umringt und ihm zugerufen: Sire! Das vorige Mal sind Sie Ihren Feinden unterlegen und mußten sich kreuzigen lassen. Diesmal, mit uns, werden Sie siegen. Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!
So hätten die Gewöhnlichen und Einfachen unter diesen Hugenotten gerufen beim körperlichen Auftreten Jesu. An die Stelle der ehemaligen Juden oder Kriegsknechte hätten sie ihre zeitgenössischen Papisten gesetzt und vor allem daran gedacht, sich auf deren Kosten zu bereichern. So leicht indessen war es dem Prinzen Henri nicht gemacht, und auch seinen nächsten Freunden nicht. Diese wurden bedrängt von Zweifeln für den Fall des Erscheinens des Herrn. Du Bartas fragte die andern, ob man Jesus, wenn er wiederkehrte und seine Geschichte von vorn begänne, eigentlich raten dürfte, sich der Kreuzigung zu entziehen, da sie ihm doch bestimmt und das Heil der Welt wäre. Er krümmte seine lange Gestalt, denn von niemand bekam er Antwort. Du Plessis malte noch greller als zuvor aus, was er die Scheußlichkeit des Gekreuzigten nannte, und eben darin beständen seine Macht und sein Ruhm. Du Plessis-Mornay war ein Geist, der zum Äußersten neigte, trotz seinem sokratischen Antlitz, und sich dabei so wohl befand, daß er es bis zu vierundsiebzig Jahren brachte. Den armen Du Bartas kränkten die Blindheit und Schlechtigkeit der Menschen, sowie die Unmöglichkeit, etwas zu bessern, etwas auch nur zu wissen; und so sollte er früh dahingehen, wenn auch im Lärm einer Schlacht. Was Agrippa d’Aubigné betraf, hatte sich seiner eine überstürzte innere Tätigkeit bemächtigt, und dies in dem Augenblick, als Du Plessis so stark nach Jesus gerufen hatte. Seit der Minute dichtete Agrippa und war auch schon so gut wie fertig und bereit, Jesus, sobald er sichtbar wurde, in Versen zu begrüßen. Alles, was Agrippa verfertigte, war geboren aus der Stunde und aus der Leidenschaft. Es machte ihn von Grund auf glücklich, und dadurch gefiel er seinem Prinzen. Andererseits wurde Henri angezogen von Du Bartas und seinem treubekümmerten Sinn. Du Plessis mit seiner Neigung zum Äußersten riß ihn hin.
Bei sich selbst wußte Henri am genauesten von allen, daß an die wirkliche Gesellschaft des Herrn Jesu für ihn und die Seinen kaum zu denken war. Sie hatten nach seiner Meinung nicht mehr Aussicht auf eine solche Auszeichnung, als wenn sie katholisch gewesen wären. Ihm war nicht bewiesen, daß der Herr sie bevorzugte, obwohl sie ihn wahrscheinlich mehr liebten. Unabhängig von dieser Geistesart, die nur seine eigene war, beteiligte er sich an allen Gefühlen des berittenen Haufens. Seit der geschehenen Anrufung Jesu hatte Henri die Augen voll Tränen. Indessen war es nicht sicher, daß sie wirklich dem Herrn galten. Während sie die Brust hinanstiegen: wohl noch. Als sie in die Lider traten: nicht mehr. Da war das Bild Jesu verdrängt durch den Anblick der Königin Jeanne, und Henri weinte, weil seine Mutter seinem inneren Auge blaß erschien wie noch niemals. Seit langer Zeit war sie mit ihren Pastoren, die predigten, durch das Land gereist, ohne zu haben, wohin sie ihr Haupt legte, wie Jesus, war gehaßt und verachtet worden gleich ihm, hatte auf sich genommen Kampf, Wechsel des Kriegsglücks, Unruhe und Flucht: sie,