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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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Straßen abgesperrt werden müssen.«

      Nein, das kam Agnes sehr ungelegen. Sie hatte in der Stadt Besorgungen gehabt, und wie sie zurück nach der Blücherstraße wollte, ging kein Omnibus mehr, und nirgends kam man durch. Sie war zurückgedrängt worden bis hierher. Es war kalt und naß, ihr Vater würde sich ängstigen; was sollte sie tun? Diederich verhieß ihr, er werde es schon machen. Sie gingen zusammen weiter. Er wußte auf einmal nichts mehr zu sagen und wendete den Kopf umher, als suchte er den Weg. Sie waren allein zwischen kahlen Bäumen und nassem alten Laub. Wo waren die männlichen Hochgefühle von vorhin? Diederich empfand Beklommenheit, wie auf seinem letzten Spaziergang mit Agnes, als er, von Mahlmann gewarnt, auf einen Omnibus sprang, ausriß und verschwand. Gerade sagte Agnes: »Sie haben sich aber sehr, sehr lange nicht bei uns sehen lassen. Papa hat Ihnen doch geschrieben?«

      Sein eigener Vater sei gestorben, sagte Diederich, betreten. Jetzt mußte Agnes zuerst ihr Beileid ausdrücken, dann fragte sie weiter: warum er damals plötzlich fortgeblieben sei, vor drei Jahren.

      »Nicht wahr? Es sind schon fast drei Jahre.«

      Diederich bekam Festigkeit. Das Verbindungsleben habe ihn völlig in Anspruch genommen. Dort herrsche nämlich eine verdammt strenge Zucht. »Und dann habe ich meiner Wehrpflicht genügt.«

      »Oh!« – Agnes sah ihn an, »was aus Ihnen alles geworden ist! Und jetzt sind Sie wohl schon Doktor?«

      »Das soll jetzt kommen.«

      »Sie haben sich fast gar nicht verändert.«

      Er sah unzufrieden geradeaus. Seine Schmisse, seine stattliche Breite, alle seine wohlerworbene Männlichkeit: für sie war das nichts? Sie bemerkte es gar nicht?

      »Aber Sie«, sagte er plump. In ihr blasses, so schmales Gesicht stieg eine ganz dünne Röte, bis auf den Sattel der kleinen eingedrückten Nase, mit den Sommersprossen.

      »Ja. Mir geht es manchmal nicht gut, aber es wird schon wieder besser werden.«

      Diederich bereute.

      »Ich meinte doch natürlich, daß Sie noch hübscher geworden sind«; – und er betrachtete ihr rotes Haar, das unter dem Hut hervorquoll, noch dicker als früher, weil ihr Gesicht so klein geworden war. Dabei erinnerte er sich seiner Demütigungen von damals und wie anders die Dinge jetzt lagen. Herausfordernd sagte er:

      »Wie geht es denn Herrn Mahlmann?«

      Agnes bekam eine wegwerfende Miene.

      »Denken Sie an den noch? Wenn ich den mal wiedersähe, wärs mir gleich.«

      »So? Aber er hat ein Patentbureau und könnte ganz gut heiraten.«

      »Wenn schon.«

      »Früher interessierten Sie sich doch für ihn.«

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Er schenkte Ihnen immer etwas.«

      »Ich hätte es lieber nicht angenommen; aber dann –« sie sah auf den Weg, auf das nasse Laub vom Vorjahr, »dann hätte ich auch Ihre Geschenke nicht annehmen dürfen.«

      Darauf schwieg sie erschrocken. Diederich fühlte, daß etwas Schweres geschehen war, und schwieg auch.

      »Das war doch nicht der Rede wert«, stieß er endlich heraus, »ein paar Blumen.« Und mit wiedergekehrter Entrüstung: »Mahlmann hat Ihnen sogar ein Armband geschenkt.«

      »Ich trage es niemals«, sagte Agnes. Er hatte auf einmal Herzklopfen, er brachte hervor: »Und wenn es von mir gewesen wäre?«

      Stille; er hielt den Atem an. Ganz leise kam es von ihr her:

      »Dann ja.«

      Darauf gingen sie plötzlich rascher und ohne mehr zu sprechen. Sie kamen vor das Brandenburger Tor, sahen die Linden bedrohlich von Polizei erfüllt, eilten vorbei und bogen in die Dorotheenstraße. Hier war es wenig belebt, Diederich verlangsamte den Schritt, er fing an zu lachen.

      »Das ist eigentlich hochkomisch. Was Mahlmann Ihnen nämlich schenkte, war mit meinem Geld bezahlt. Er nahm mir ja alles ab, ich war noch ein ganz grüner Junge.«

      Sie blieb stehen. »Oh!« – und sie sah ihn an, ihre goldbraunen Augen zitterten. »Das ist schrecklich. Können Sie mir das verzeihen?«

      Er lächelte überlegen. Das seien alte Geschichten, Jugendtorheiten.

      »Nein, nein«, sagte sie verstört.

      Die Hauptsache, meinte er, sei jetzt, wie sie nach Hause komme. Hier ging es schon wieder nicht weiter. Omnibusse waren auch nicht zu sehen. »Es tut mir leid, aber Sie werden sich meine Gesellschaft noch länger gefallen lassen müssen. Übrigens wohne ich gleich hier. Sie könnten mit hinaufkommen, da wären Sie wenigstens im Trockenen. Aber natürlich, eine junge Dame darf das nicht.«

      Sie hatte noch immer diesen flehenden Blick.

      »Sie sind so gut«, sagte sie, stärker atmend. »Sie sind so edel.« Und da sie schon das Haus betraten: »Zu Ihnen kann ich doch Vertrauen haben?«

      »Ich weiß, was ich der Ehre meiner Korporation schulde«, erklärte Diederich.

      Sie mußten an der Küche vorbei, aber es war niemand darin. »Legen Sie doch solange ab«, sagte Diederich gnädig. Er stand da, ohne Agnes anzusehen, und trat, während sie den Hut abnahm, von einem Fuß auf den andern.

      »Ich muß die Wirtin suchen, damit sie Tee macht.« Er wandte sich schon nach der Tür, zuckte aber zurück: Agnes hatte seine Hand ergriffen und küßte sie! »Aber Fräulein Agnes«, murmelte er, furchtbar erschrocken, und legte ihr, wie tröstend, den Arm um die Schulter; da sank sie gegen die seine. Er drückte seinen Mund in ihr Haar, ziemlich tief, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. Unter seinem Druck bebte und flog ihr Körper, als würde er geschlagen. Er fühlte sich in der dünnen Bluse lau und feucht an. Diederich ward es heiß, er küßte Agnes auf den Hals. Und plötzlich kam ihr Gesicht auf ihn zu: mit offenem Mund, halb geschlossenen Augen und mit einem Ausdruck, den er nie gesehen hatte und der ihm schwindlig machte. »Agnes! Agnes, ich liebe dich«, sagte er wie aus tiefer Not. Sie antwortete nicht, aus ihrem offenen Mund kamen kleine warme Atemstöße, und er fühlte sie fallen, er trug sie, die zu zerfließen schien.

      Dann saß sie auf dem Divan und weinte. »Sei mir nicht bös, Agnes«, bat Diederich. Sie sah ihn an mit ihren nassen Augen.

      »Ich weine doch vor Glück«, sagte sie. »Ich hab so lange auf dich gewartet.«

      »Warum?« fragte sie, da er ihre Bluse schließen wollte.

      »Warum deckst du es schon zu? Findest du es schon nicht mehr schön?«

      Er verwahrte sich. »Ich bin mir der übernommenen Verantwortung vollkommen bewußt.«

      »Verantwortung?« sagte Agnes. »Wer hat die? Ich habe dich drei Jahre lang geliebt. Du wußtest es ja nicht. Es war wohl das Schicksal!«

      Diederich, die Hände in den Taschen, bedachte, daß dies das Schicksal der leichtsinnigen Mädchen sei. Andrerseits empfand er das Bedürfnis, sich ihre Versicherungen wiederholen zu lassen. »Also wirklich mich, nur mich hast du geliebt?«

      »Ich sah, daß du mir nicht glaubtest. Es war schrecklich, als ich merkte, du kamst nicht mehr und es war aus. Es war ganz schrecklich. Ich wollte dir schreiben, ich wollte zu dir gehen. Jedesmal verlor ich den Mut, weil du mich doch nicht mehr mochtest. Ich kam so herunter, daß Papa eine Reise mit mir machen mußte.«

      »Wohin denn?« fragte Diederich. Aber Agnes antwortete nicht, sie zog ihn wieder an sich.

      »Sei lieb mit mir! Ich hab nur dich!«

      Diederich dachte verlegen: »Dann hast du nicht viel.« Agnes schien ihm verkleinert und sehr im Wert gesunken, seit er den Beweis hatte, daß sie ihn liebte. Auch sagte er sich, einem Mädchen, das so etwas tat, dürfe man nicht alles glauben.

      »Und Mahlmann?« fragte er höhnisch. »Ein bißchen war doch wohl los mit ihm.« – »Na laß nur«, sagte er, da sie sich


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