Gesammelte Beiträge von Max Weber. Max WeberЧитать онлайн книгу.
weil nicht er allein – wie im Orient – die ökonomischen Unterlagen des Heeres, seiner Equipierung und Verpflegung, und damit seines Kommandos, in der Hand hält. Das stets wechselnde Machtverhältnis zwischen einem Heerkönig und seinem Heer aber – die zwischen Autorität, Willkür, Abhängigkeit und Kompromiß schwankende Stellung Agamemnons, Alexanders und der ersten Diadochen, Chlodwigs und der ersten Merovinger zu ihren Heeren sind in diesem Punkte Abwandlungen gleichartiger Typen – verschiebt sich in der hellenischen Welt zuungunsten der Könige, sobald sich nicht mehr alles ökonomisch um den »Hort« und Tisch des Königs gruppiert, und das hieß: sobald Aktivhandel und kriegerische Seefahrten an die Stelle des Passivhandels mit dem Orient traten. Die persönliche Gefolgschaft des Königs, die im mykenischen Staat nicht gefehlt haben kann, tritt schon bei Homer – wo sie, jedenfalls anscheinend, durchweg aus Volksgenossen besteht – stark zurück und ist von einer »Gelegenheitsgefolgschaft« nach Art der von Tacitus erwähnten Aventiurenzüge der Germanenfürsten nicht zu scheiden. Neben dem König stehen jetzt außer seinen auf eigenen Burgen sitzenden Lehensmannen andere, ebenso wie er mit eigenen Schlössern und Grundbesitzungen neben ihm in derselben »Stadt« ansässige, »Geschlechter«, die auf eigene Kosten mit ihm in den Krieg ziehen, deshalb aber auch mit ihm beraten, die Beute teilen, als mitbeteiligt an der politischen Beherrschung des »Volkes« gelten. Die Bedeutung des alten Ratsadels steigert sich, während er im Orient schwindet und Beamten und Priestern Platz macht. Der »Stadt«begriff ist bei Homer, der verschiedenen Entstehungszeit der Gesänge entsprechend, flüssig, steht zwischen der alten Burg und der späteren synoikisierten »Polis« in der Mitte. Daß ihnen die »Adeligen« im allgemeinen als landsässig gegolten hätten, den Stadtbewohnern entgegengesetzt würden, folgt aus den von E. Meyer dafür angeführten Stellen (die z.T. von »Land« im Sinn von »Heimat«, nicht von »plattem Land« sprechen) m.E. nicht. Der Zustand ist vielmehr der: manche von den Gauhäuptlingen der Bauernzeit und andere reich gewordene Familien sind grund- und klientelbesitzender Adel geworden. Mit einem primus inter pares (dem dazu zusammengeschrumpften mykenischen Fronherrscher) als »König«, aber im übrigen koordiniert nebeneinander, sind sie in der »Stadt« ansässig, welche der ausschließliche Sitz der »Politik« ist. Sie pflegen nur zu Wirtschaftszwecken das Land, ihre Hirten, landbeliehenen Sklaven und Klienten zu besuchen. Wer, wie König Laërtes, dauernd sich auf das Land (als Altenteil) zurückzieht, verzichtet eben damit auf jeden Anspruch auf Herrscherwürde. Alle diese adligen »Geschlechter« haben aus Beuteanteilen und (zweifellos) Beteiligung am Handelsgewinnst Schätze aufgespeichert, sie haben mit Hilfe dieses Besitzes Boden akkumuliert – darüber später – und können eigene Klienten als Troß oder Fußkämpfer aufbieten. Der König ist jetzt nicht mehr als sie. Wenn schon in den vorwiegend am Seehandel beteiligten Küstenorten die königliche Macht im Sinken war, dann erst recht in denjenigen, welche mehr den Charakter von Binnenorten behalten hatten und wo die Entwicklung königlicher »Horte« und Gefolgschaften demgemäß sicherlich von Anfang an geringer war. Die sog. »dorische Wanderung«, ein Vordringen binnenländischer Stämme, trug sicherlich dazu bei, diesen Prozeß zu beschleunigen. Denn was sie im übrigen auch, der Sache nach, gewesen sein möge, jedenfalls schuf sie politische Gemeinschaften – namentlich: Sparta –, in welchen der Kriegerstand außerhalb des »Dienstes« nur noch einen Ehrenvorzug der, im Kriege zur Führung berufenen, Königsgeschlechter duldete, – und zwar nicht nur in der eigenen Polis, sondern nach Kräften auch bei den Nachbarn, wo, im Interesse der Sicherheit der eigenen Verfassung, überall zugunsten des kriegerischen Herrenstandes gegen die Versuche der Etablierung von »Monarchien« orientalischen Charakters interveniert wurde.
Der so entstehende »Staat des griechischen Mittelalters«, wie ihn E. Meyer nennt, hat sozial ein höchst verschiedenartiges Gepräge, auch wenn man Sparta als sui generis beiseite läßt. Gemeinhellenisch ist die Erscheinung jener ritterlichen Gesellschaft, welche den kriegerischen Sport und die nationalen Turniere organisiert, den Boden für den Helden- und später den Minnesang bildet, welche nach mittelalterlicher Art den »Comment« der ritterlichen Fehden zu regeln unternimmt (angebliche Versuche, ein Verbot von Fernwaffen zu vereinbaren: charakteristisch genug für die zugrunde liegende kriegstechnische Entwicklung!) und nach Art des mittelalterlichen: »Messieurs les Anglais, tirez les premiers« Courtoisie in der Schlacht übt. Nach Art der »Guelfen« und »Ghibellinen« (z.B. im »lelantischen Kriege«) spaltet sie sich international in zwei Lager, liegt aber auch innerhalb der einzelnen Gemeinde in steten Geschlechterfehden, – bis auch hier schließlich, wie im Mittelalter, einzelne Geschlechter auf den Gedanken verfallen, sich – als »Aisymneten« oder »Tyrannen« (beides ist nicht scharf zu scheiden) – durch einen Bund mit dem »Volk« zur Signoria aufzuschwingen. Die Möglichkeit eines solchen Bundes mit dem »Volk« setzte nun aber, hier wie in Italien, naturgemäß ein bündnisfähiges »Volk« voraus. In Hellas entstand dies durch eine Entwicklung, welche an folgenden Hauptmomenten orientiert scheint: 1. eiserne Nahwaffen statt der bronzenen Wurfspeere und Pfeile der mykenischen Zeit, – damit 2. steigende Bedeutung der Disziplin (schon Homer bekannt) und des geschlossenen Kampfes, speziell des Fußkampfes in geschlossener Hoplitenphalanx (ein bekannter Ausspruch des Brasidas schrieb die Disziplin den Hellenen im Gegensatz zur Kampfart der Barbaren zu), – infolgedessen 3. bei denjenigen Staaten, welche entweder politisch expansiv sind oder werden (Sparta: Eroberung Messeniens, – Athen: Eroberung von Salamis), Verschiebung der militärisch-politischen Macht auf die Träger dieses Hoplitenheeres, – 4. endlich, damit parallel gehend, Entwicklung des »bürgerlichen Erwerbes«, der die Schicht der ökonomisch panhopliefähigen Existenzen verbreiterte.
Die »Burg« der Frühzeit ist umgeben von den Ansiedelungen der Händler und Gewerbetreibenden. Die homerische Zeit kennt bereits Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Wagner, Goldschmiede, Erzarbeiter, Hornarbeiter, Lederarbeiter, Töpfer. Alle diese kommen freilich nur in den jüngeren Teilen der Epen vor. Daß aber die Handwerker in Hellas jemals alle unfreie Arbeiter des Burgadels gewesen seien, ist für Griechenland ebenso unwahrscheinlich, wie die gleiche Ansicht für das frühe Mittelalter, welche früher geglaubt, heute dagegen aufgegeben ist. Und es ist auch nicht wahrscheinlich zu machen, daß sie – nach Art ostasiatischer Dorfhandwerker – in noch früherer Zeit Angestellte des Dorfes oder, nach der Polisentwicklung, Sklaven der Polis gewesen seien. In Epidamnos, wo der Handel von der Oligarchie gemeinwirtschaftlich organisiert war, wird auch die eventuelle Verbreitung ähnlich erfolgt sein, und derartiges mag öfter existiert haben. Als Regel ist es unerweislich. Fronden auch der Handwerker hat sicherlich der mykenische Staat, ganz ebenso wie seine orientalischen Muster, gekannt: wie der Pharao und der mesopotamische Stadtkönig, so wird auch der (genügend bemittelte) althellenische Stadtfürst auch Handwerker gegen Uebernahme von Roboten um die Burg herum angesetzt haben. Das (zu vermutende) königliche Oikenhandwerkertum der mykenischen Zeit ist aber, – soweit es bestand –, mit dem Sinken der Grundlagen der mykenischen Kultur verfallen (wie schon die Wandlung der Technik zeigt). Es mögen auch noch später gewerbelose Städte in Form des Imports geschulter Sklaven als Staatssklaven eine Art von »Merkantilismus« getrieben haben. Aber das weitaus wahrscheinlichste ist, daß die Erscheinungen, welche zuweilen auf ursprüngliche Staatsanstellung oder -sklaverei aller »δημιουργοί« gedeutet werden, der militärischen Organisation der Polis angehören. Daß, wie die »fabri« in Rom, so die Handwerker in Staatsbedarfsartikeln organisiert und mit Leiturgien belastet wurden, ist wohl auch für die ältere hellenistische Zeit als häufig anzunehmen. (Der Ausdruck: »δημιουργός« greift von jeher viel weiter als unser »Handwerk«, er umfaßt allen Erwerb aus Dienst für eine unbestimmte Vielheit, auch den der Aerzte, Sänger, Wahrsager usw.) –
Diese plebejischen Ansiedelungen um die Burg herum sind unbefestigt: Egbatana im Orient war es ebenso, wie Athen es noch bis in die historische Zeit blieb. In Sparta ist die königliche Burg gänzlich »gebrochen«, die Polis ein offenes Heerlager geworden. Allein die Regel ist, daß die Polis eine Festung behält oder zur Festung wird, wie die orientalischen Städte, aber nun zu einer Festung, über welche die zu einem Bunde zusammengeschlossenen Heeresgenossen, und nicht der König, verfügen. Dieser Vorgang des »Synoikismos« bedeutet also die Konstituierung der Kriegerklasse als Herrin des Stadtstaates. Daß er tatsächlich in den meisten Fällen eine effektive Zusammensiedelung bedeutet hat, daran ist, auch abgesehen