Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund FreudЧитать онлайн книгу.
Esel zu gelangen und damit wieder zu einem Hohn auf einen akademischen Lehrer. Außerdem übersetze ich mir – ich weiß nicht, ob mit Recht – Huflattich mit »pisse-en-lit«. Die Kenntnis kommt mir aus dem Germinal Zolas, in dem die Kinder aufgefordert werden, solchen Salat mitzubringen. Der Hund – chien – enthält in seinem Namen einen Anklang an die größere Funktion (chier, wie pisser für die kleinere). Nun werden wir bald das Unanständige in allen drei Aggregatzuständen beisammen haben; denn im selben Germinal, der 223 mit der künftigen Revolution genug zu tun hat, ist ein ganz eigentümlicher Wettkampf beschrieben, der sich auf die Produktion gasförmiger Exkretionen, flatus genannt, bezieht. Und nun muß ich bemerken, wie der Weg zu diesem flatus seit langem angelegt ist, von den Blumen aus über das spanische Verslein, die Isabelita, zu Isabella und Ferdinand, über Heinrich VIII., die englische Geschichte zum Kampf der Armada gegen England, nach dessen siegreicher Beendigung die Engländer eine Medaille prägten mit der Inschrift: Flavit et dissipati sunt, da der Sturmwind die spanische Flotte zerstreut hatte. Diesen Spruch gedachte ich aber zur halb scherzhaft gemeinten Überschrift des Kapitels »Therapie« zu nehmen, wenn ich je dazu gelangen sollte, ausführliche Kunde von meiner Auffassung und Behandlung der Hysterie zu geben.
Von der zweiten Szene des Traumes kann ich eine so ausführliche Auflösung nicht geben; und zwar aus Rücksichten der Zensur. Ich setze mich nämlich an die Stelle eines hohen Herrn jener Revolutionszeit, der auch ein Abenteuer mit einem Adler gehabt, an incontinentia alvi gelitten haben soll u. dgl., und ich glaube, ich wäre nicht berechtigt, hier die Zensur zu passieren, obwohl ein Hofrat (Aula, consiliarius aulicus) mir den größeren Teil jener Geschichten erzählt hat. Die Reihe von Zimmern im Traum verdankt ihre Anregung dem Salonwagen Seiner Exzellenz, in den ich einen Moment hineinblicken konnte; sie bedeutet aber, wie so häufig im Traum, Frauenzimmer (ärarische Frauenzimmer). Mit der Person der Haushälterin statte ich einer geistreichen älteren Dame schlechten Dank für die Bewirtung und die vielen guten Geschichten ab, die mir in ihrem Hause geboten worden sind. – Der Zug mit der Lampe geht auf Grillparzer zurück, der ein reizendes Erlebnis ähnlichen Inhaltes notiert und dann in »Hero und Leander« (des Meeres und der Liebe Wellen – die Armada und der Sturm) verwendet hat.
224 Auch die detaillierte Analyse der beiden übrigen Traumstücke muß ich zurückhalten; ich werde nur jene Elemente herausgreifen, die zu den beiden Kinderszenen führen, um derentwillen ich den Traum überhaupt aufgenommen habe. Man wird mit Recht vermuten, daß es sexuelles Material ist, welches mich zu dieser Unterdrückung nötigt; man braucht sich aber mit dieser Aufklärung nicht zufriedenzugeben. Man macht doch sich selbst aus vielem kein Geheimnis, was man vor anderen als Geheimnis behandeln muß, und hier handelt es sich nicht um die Gründe, die mich nötigen, die Lösung zu verbergen, sondern um die Motive der inneren Zensur, welche den eigentlichen Inhalt des Traums vor mir selbst verstecken. Ich muß also darum sagen, daß die Analyse diese drei Traumstücke als impertinente Prahlereien, als Ausfluß eines lächerlichen, in meinem wachen Leben längst unterdrückten Größenwahns erkennen läßt, der sich mit einzelnen Ausläufern bis in den manifesten Trauminhalt wagt (ich komme mir schlau vor), allerdings die übermütige Stimmung des Abends vor dem Träumen trefflich verstehen läßt. Prahlerei zwar auf allen Gebieten; so geht die Erwähnung von Graz auf die Redensart »Was kostet Graz?«, in der man sich gefällt, wenn man sich überreich mit Geld versehen glaubt. Wer an Meister Rabelais’ unübertroffene Schilderung von dem Leben und Taten des Gargantua und seines Sohnes Pantagruel denken will, wird auch den angedeuteten Inhalt des ersten Traumstücks unter die Prahlereien einreihen können. Zu den zwei versprochenen Kinderszenen gehört aber folgendes: Ich hatte für diese Reise einen neuen Koffer gekauft, dessen Farbe, ein Braunviolett, im Traum mehrmals auftritt (violettbraune Veilchen aus starrem Stoff neben einem Ding, das man »Mädchenfänger« heißt – die Möbel in den Regierungszimmern). Daß man mit etwas Neuem den Leuten auffällt, ist ein bekannter Kinderglaube. Nun ist mir folgende Szene aus meinem Kinderleben erzählt worden, deren Erinnerung ersetzt ist durch die Erinnerung an die Erzählung. Ich soll – im Alter von zwei Jahren – noch gelegentlich das Bett naß gemacht haben, und als ich dafür Vorwürfe zu hören bekam, den Vater durch das Versprechen getröstet haben, daß ich ihm in N. (der nächsten größeren Stadt) ein neues, schönes rotes Bett kaufen werde. (Daher im Traum die Einschaltung, daß wir das Glas in der Stadt gekauft haben oder 225 kaufen mußten; was man versprochen hat, muß man halten.) (Man beachte übrigens die Zusammenstellung des männlichen Glases und des weiblichen Koffers, box.) Der ganze Größenwahn des Kindes ist in diesem Versprechen enthalten. Die Bedeutung der Harnschwierigkeiten des Kindes für den Traum ist uns bereits bei einer früheren Traumdeutung aufgefallen. Aus den Psychoanalysen an Neurotischen haben wir auch den intimen Zusammenhang des Bettnässens mit dem Charakterzug des Ehrgeizes erkannt.
Dann gab es aber einmal einen anderen häuslichen Anstand, als ich sieben oder acht Jahre alt war, an den ich mich sehr wohl erinnere. Ich setzte mich abends vor dem Schlafengehen über das Gebot der Diskretion hinweg, Bedürfnisse nicht im Schlafzimmer der Eltern in deren Anwesenheit zu verrichten, und der Vater ließ in seiner Strafrede darüber die Bemerkung fallen: Aus dem Buben wird nichts werden. Es muß eine furchtbare Kränkung für meinen Ehrgeiz gewesen sein, denn Anspielungen an diese Szene kehren immer in meinen Träumen wieder und sind regelmäßig mit Aufzählung meiner Leistungen und Erfolge verknüpft, als wollte ich sagen: Siehst du, ich bin doch etwas geworden. Diese Kinderszene gibt nun den Stoff für das letzte Bild des Traumes, in dem natürlich zur Rache die Rollen vertauscht sind. Der ältere Mann, offenbar der Vater, da die Blindheit auf einem Auge sein einseitiges Glaukom bedeutet, uriniert jetzt vor mir, wie ich damals vor ihm. Mit dem Glaukom mahne ich ihn an das Kokain, das ihm bei der Operation zugute kam, als hätte ich damit mein Versprechen erfüllt. Außerdem mache ich mich über ihn lustig; weil er blind ist, muß ich ihm das Glas vorhalten und schwelge in Anspielungen an meine Erkenntnisse in der Lehre von der Hysterie, auf die ich stolz bin.
226 Wenn die beiden Urinierszenen aus der Kindheit bei mir ohnedies mit dem Thema der Größensucht eng verbunden sind, so kam ihrer Erweckung auf der Reise nach Aussee noch der zufällige Umstand zugute, daß mein Coupé kein Klosett besaß und ich vorbereitet sein mußte, während der Fahrt in Verlegenheit zu kommen, was dann am Morgen auch eintraf. Ich erwachte dann mit den Empfindungen des körperlichen Bedürfnisses. Ich meine, man könnte geneigt sein, diesen Empfindungen die Rolle des eigentlichen Traumerregers zuzuweisen, würde aber einer anderen Auffassung den Vorzug geben, nämlich daß die Traumgedanken erst den Harndrang hervorgerufen haben. Es ist bei mir ganz ungewöhnlich, daß ich durch irgendein Bedürfnis im Schlaf gestört werde, am wenigsten um die Zeit dieses Erwachens, drei Viertel drei Uhr morgens. Einem weiteren Einwand begegne ich durch die Bemerkung, daß ich auf anderen Reisen unter bequemeren Verhältnissen fast niemals den Harndrang nach frühzeitigem Erwachen verspürt habe. Übrigens kann ich diesen Punkt auch ohne Schaden unentschieden lassen.
Seitdem ich ferner durch Erfahrungen bei der Traumanalyse aufmerksam gemacht worden bin, daß auch von Träumen, deren Deutung zunächst vollständig erscheint, weil Traumquellen und Wunscherreger leicht 227 nachweisbar sind – daß auch von solchen Träumen wichtige Gedankenfäden ausgehen, die bis in die früheste Kindheit hineinreichen, habe ich mich fragen müssen, ob nicht auch in diesem Zug eine wesentliche Bedingung des Träumens gegeben ist. Wenn ich diesen Gedanken verallgemeinern dürfte, so käme jedem Traum in seinem manifesten Inhalt eine Anknüpfung an das rezent Erlebte zu, in seinem latenten Inhalt aber eine Anknüpfung an das älteste Erlebte, von dem ich bei der Analyse der Hysterie wirklich zeigen kann, daß es im guten Sinne bis auf die Gegenwart rezent geblieben ist. Diese Vermutung erscheint aber noch recht schwer erweislich; ich werde auf die wahrscheinliche Rolle frühester Kindheitserlebnisse für die Traumbildung noch in anderem Zusammenhange (Abschnitt VII) zurückkommen müssen.
Von den drei eingangs betrachteten Besonderheiten des Traumgedächtnisses hat sich uns die eine – die Bevorzugung des Nebensächlichen im Trauminhalt – durch ihre Zurückführung auf die Traumentstellung befriedigend gelöst. Die beiden anderen, die Auszeichnung des Rezenten wie des Infantilen haben wir bestätigen, aber nicht aus den Motiven des Träumens ableiten können. Wir wollen diese beiden Charaktere, deren Erklärung oder Verwertung uns erübrigt, im Gedächtnis behalten; sie werden anderswo ihre Einreihung finden müssen, entweder in der Psychologie des Schlafzustandes oder bei jenen Erwägungen über den Aufbau des seelischen