Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. AristotelesЧитать онлайн книгу.
hat, ist abhängig von dem, der sie erwiesen hat; er aber liebt es, der Höherstehende zu sein. So will er auch gern in jenem Sinne bekannt sein und nur mit Verdruß in diesem. So erklärt es sich auch, daß Thetis dem Zeus nicht die Dienste vorhält, die sie ihm erwiesen, und ebenso die Lakonier nicht den Athenern, dagegen aber wohl die Gunst, die sie erfahren haben. Ein Zug im Charakter des Hochgesinnten ist auch der, daß er niemals oder doch nur widerstrebend andere um etwas bittet, dagegen bereitwillig Dienste erweist, und daß er sich Leuten von hoher Stellung oder in glänzender Lage stolz, Leuten in mittlerer Lage dagegen leutselig erweist. Denn jenen gegenüber sich als den Überlegenen zu gebärden, ist schwierig und brav, diesen gegenüber ist es leicht; und vor jenen sich stolz zu erweisen ist nicht unedel, es bei Niedrigstehenden zu tun ist ungebildet: es ist damit gerade so als wollte einer seine Kraft an den Schwachen auslassen. Er hat ferner nicht die Art, sich in Ehrenstellungen oder da wo andere die erste Rolle spielen, einzudrängen; hier zeigt er sich unbeweglich und zurückhaltend, sofern es sich nicht um hohe Ehrenstellung und große Aufgaben handelt. Er unternimmt nur weniges, aber dann Großes und Ruhmvolles. Selbstverständlich zeigt er auch offen seinen Haß wie seine Liebe; denn nur wer Furcht hat ist hinterhaltig und versäumt eher die Sorge für die Wahrheit als die für seinen Ruf. Er spricht und handelt offen; denn er ist freimütig, weil er die anderen Übersicht, und ein Wahrheitsfreund, soweit er sich nicht mit ironischer Verkleinerung äußert; solcher Ironie aber bedienter sich gegenüber dem großen Haufen. Er vermag nicht nach dem Sinne eines anderen zu leben als höchstens nach dem eines Freundes; denn jenes wäre Sklavenart. Deshalb sind die Schmeichler sämtlich Knechte, und gemeine Naturen sind Schmeichler. Auch zur Bewunderung ist er wenig geneigt, / denn in seinen Augen ist nichts groß, / und wenig zur Rachsucht; denn einem Hochgesinnten liegt es fremd nachzutragen, besonders erlittenes Unrecht; lieber sieht er darüber hinweg. Er spricht nicht gern von den Menschen; weder von sich noch von einem anderen erzählt er Geschichten; denn es liegt ihm nichts daran Beifall zu finden, und er liebt es auch nicht, daß von anderen geringschätzig gesprochen werde. Dagegen ist es wiederum auch nicht seine Art, andere zu rühmen, und darum auch nicht, sie schlecht zu machen, nicht einmal seine Feinde, es sei denn, daß man ihn dreist herausfordere. Am wenigsten läßt er sich herab, bei solchem was unausweichlich oder solchem was unbedeutend ist zu jammern oder zu flehen; denn das wäre das Benehmen eines Menschen, den dergleichen Dinge tiefer bewegen. Seine Neigung zieht ihn, lieber das Edle, das keinen praktischen Nutzen hat, als das Nützliche und Einträgliche zu erwerben; denn das ist die Gesinnung dessen, der sich selbst genügt. Die Bewegungen des Hochgesinnten sind langsam, seine Stimme tief, seine Sprache getragen. Denn wem wenige Dinge sehr am Herzen liegen, der hat keine Eile, und wer nichts für groß hält, der erhebt nicht den Ton. Raschheit der Bewegung und Erheben der Stimme haben aber gerade in jenen Dingen ihren Grund.
Das wäre das Bild des Hochgesinnten. Wer hinter dem Maß darin zurückbleibt, ist blöde, und wer es überschreitet, aufgeblasen. Auch diese Leute gelten keineswegs für schlechte Menschen, / denn sie tun keinem etwas zuleide, / aber doch für Menschen auf falschen Wegen. Denn ein blöder Mensch, der wohl zu Großem berufen wäre, beraubt sich selber dessen was ihm nach Fug und Recht zukommt, und man möchte meinen, er hätte doch irgendwie einen Schaden an sich, weil er sich selbst des Guten nicht für würdig hält, und zugleich, er verkannte sich selbst. Denn sonst würde er nach dem streben, zu dem er berufen ist, da es sich doch um wertvolle Dinge handelt. Indessen muß man solchen Leuten nicht sowohl Mangel an Verstand, als Schwäche des Willens zuschreiben; eine solche Selbstbeurteilung aber zieht allerdings die Menschen mit der Zeit auch wohl innerlich herab. Denn jeder strebt nach dem was ihm zukommt; sie aber stehen auch von edlen Taten und Bestrebungen ab, weil sie sich dazu für untauglich halten, und verzichten damit gleichermaßen auch auf die äußeren Güter. Dem gegenüber fehlt es den aufgeblasenen Menschen wirklich an Verstand und Selbsterkenntnis, und sie tragen das auch ausdrücklich zur Schau. Sie drängen sich, ohne doch die Fähigkeit zu besitzen, zu den Ehrenstellen, um dann ihrer Unzulänglichkeit überführt zu werden. Sie treten auf in schönen Kleidern, in stolzer Haltung und behängt mit sonstigen Äußerlichkeiten; sie möchten, daß ihre glücklichen, äußeren Verhältnisse allgemein bekannt werden, und lassen davon ein großes Gerede machen, um daraufhin zu Ansehen zu gelangen. Den eigentlichen Gegensatz aber zu hochstrebender Gesinnung bildet doch eher die Blödigkeit als die Selbstüberschätzung. Sie kommt häufiger vor und ist das schlimmere Übel.
b) Die bescheidene Gesinnung
Die hochstrebende Gesinnung also hat, wie wir dargelegt haben, hohe Ehren zum Ziele. Das gleiche Ziel nun darf man als noch für eine andere Art von sittlicher Gesinnung geltend bezeichnen, wie wir gleich im Anfang bemerkt haben, die zur hochstrebenden Gesinnung in einem ähnlichen Verhältnis stehen möchte, wie die vornehme Gesinnung in Geldsachen zur Großherzigkeit steht. Jene vornehme Gesinnung und die, die wir jetzt im Auge haben, verzichten beide auf das Große und setzen, uns dafür zum mäßig Großen und zum Geringen in das rechte und geziemende Verhältnis. Wie es aber im Abgeben und Entgegennehmen von Geldwerten eine rechte Mitte, ein Zuviel und ein Zuwenig gibt, so gibt es auch im Streben nach Ruhm, dem was recht ist gegenüber, ein Mehr und ein Weniger, und das in bezug sowohl auf die Mittel wodurch, als auf die Art und Weise wie man Ruhm erstreben soll. Den Ehrgeizigen tadelt man, weil er mehr als recht ist und mit unrechten Mitteln nach Ruhm strebt, den Mann ohne Ehrgeiz, weil er auch nicht durch edle Taten Ehre zu erwerben sich zum Ziele setzt. Es kommt vor, daß man dem Ehrgeizigen seine Achtung gewährt als einem mannhaft gesinnten und für das Edle begeisterten, und dem Mann ohne Ehrgeiz als einem gemäßigten und besonnenen Mann, wie wir schon oben bemerkt haben. Offenbar hat das Wort Ehrgeiz (philotimon), da wir das Wort, das in der Zusammensetzung die Neigung zu etwas ausdrückt, in verschiedenem Sinne gebrauchen, auch nicht immer die gleiche Bedeutung; wir billigen ihn, wenn wir dabei an ein höheres Streben als das der Mehrzahl, und tadeln ihn, wenn wir an ein eifrigeres Streben als das sittlich angemessene denken. Da aber für die Bezeichnung der rechten Mitte ein besonderer Ausdruck nicht geprägt ist, so macht es den Eindruck, als stritten sich die beiden Extreme um den dadurch leer gelassenen Platz. Wo es aber ein Zuviel und ein Zuwenig gibt, da gibt es auch eine rechte Mitte. Man strebt nach Ruhm mehr oder weniger als recht ist; also gibt es auch ein Streben im rechten Maß. Diese letztere Haltung als festgewordene Gesinnung ist es, die sich Hochachtung erwirbt; es ist die rechte Mitte in dem Streben nach Ruhm, für die es ein eigenes Wort nicht gibt. Dem Ehrgeiz gegenüber nimmt sie sich aus als Gleichgültigkeit gegen die Ehre, solcher Gleichgültigkeit gegenüber als Ehrgeiz, und beiden gegenüber als wäre sie das eine und das andere. So nun verhält es sich eigentlich auch bei den anderen Arten von sittlicher Gesinnung; nur daß hier die beiden Extreme allein den Gegensatz zu bilden scheinen, weil es für die rechte Mitte an einem eigenen Ausdruck fehlt.
3. Verhalten zu den anderen Menschen im Umgang
a) Gelassenheit
Mit Gelassenheit pflegt man ein mittleres Verhalten da zu bezeichnen, wo es sich um zornige Erregung handelt, und zwar teilt man, weil es für die rechte Mitte und eigentlich auch für die beiden Extreme keinen