Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. AristotelesЧитать онлайн книгу.
seiner Innerlichkeit zeigen ein und dasselbe Bestreben. Er nimmt für sich selbst alles Gute und das, was ihm als das Gute erscheint, zum Ziel und setzt es auch ins Werk; denn daran erkennt man den guten Menschen, daß er alle seine Kraft an das Gute wendet. Er tut es um seinetwillen, im Dienste der in ihm lebenden Vernunft, die man als das eigentliche Selbst eines jeden betrachten muß. Er wünscht zu leben und wohlbehalten zu sein, und er wünscht es am meisten für das, was in ihm das denkende Teil ist. Denn für den Mann von sittlichem Charakter ist das Dasein ein Gut, und das Gute wünscht jeder für sich selbst; niemand dagegen wünscht, ein anderer zu werden, so daß dann das, zu dem er geworden wäre, alles Gute hätte. Denn auch Gott hat schon so alles Gute, aber deshalb hat er es, weil er ist, was er ist. Jeder aber, darf man sagen, ist [wie Gott] das, was in ihm denkende Vernunft ist, oder doch dies mehr als alles andere. So will denn auch ein solcher Mann sein Leben im Umgange mit sich selbst führen, denn darin findet er volle Befriedigung. Die Erinnerung an seine Vergangenheit ist ihm erfreulich; was er von der Zukunft erwartet, ist nur Gutes, und solches Hoffen ist Grund zur Freude. Er ist mit Gegenständen seiner Betrachtung in der Innerlichkeit seines denkenden Geistes reichlich ausgestattet. Was an Freud und Leid sein Inneres bewegt, das empfindet er als denkendes Selbst aufs stärkste mit; denn allen Seiten seines Wesens ist eines und dasselbe schmerzlich oder erfreulich, und nicht der einen dieses, der anderen jenes. Reue, darf man sagen, kennt er nicht. Indem nun bei einem Menschen von sittlicher Haltung alle diese Züge für das Verhältnis zu der eigenen Person gelten und er sich zu dem den er liebt verhält wie zu sich selbst, / ist doch der Freund sein anderes Selbst, / so darf man sagen: die Liebe zu anderen trägt eben diese Züge, und in Liebe verbunden sind die, bei denen sich diese Züge wiederfinden.
Die Frage nun, ob es ein Freundschaftsverhältnis zu der eigenen Person gibt, mag fürs erste auf sich beruhen. Doch darf man nach den obigen Ausführungen annehmen, daß ein solches Freundschaftsverhältnis insofern vorhanden ist, als man an einem Menschen zwei oder mehrere Seiten seines Innern unterscheidet, und daß die Freundschaft mit anderen in ihrem höchsten Sinne dem Verhältnis ähnlich ist, in welchem man so zu sich selbst steht. Nun zeigt sich allerdings, daß die bezeichneten Züge auch bei der großen Masse vorkommen, die doch von niedriger Art ist. Haben diese Menschen nun dadurch einen Anteil daran, daß sie selbstgerecht sich treffliche Menschen zu sein schmeicheln? Bei Menschen von völlig gemeiner und verworfener Art findet sich nichts davon, auch nicht der bloße Schein; aber auch bei Menschen von gewöhnlicher Art findet es sich kaum. Sie liegen mit sich selbst im Streit; ihre Begierde ist auf das eine, ihr Wille auf das andere gerichtet, gerade wie es bei denen der Fall ist, die sich nicht zu beherrschen wissen, die statt dessen was ihnen selbst als das Gute erscheint, das begehren, was ihr Gelüsten reizt, während es ihnen doch schädlich ist; andere wieder unterlassen aus Feigheit und Willenlosigkeit eben das ins Werk zu setzen, wovon sie doch überzeugt sind daß es für sie das Heilsamste wäre. Manche, die eine Menge von schändlichen Taten vollbracht und sich durch ihre Verworfenheit verhaßt gemacht haben, werden des Lebens überdrüssig und legen Hand an sich selbst.
Verworfene Menschen sehen sich nach anderen um, um mit ihnen zu leben, während sie sich selbst entfliehen möchten. Sind sie sich selbst überlassen, so überfällt sie eine Menge von quälenden Erinnerungen und von Zukunftsvorstellungen der gleichen Art; in Gesellschaft anderer suchen sie das Vergessen. Da sie selber nichts an sich haben was Zuneigung zu erwecken vermöchte, so haben sie kein Gefühl der Zuneigung für sich selbst. Solche Menschen haben auch kein Mitgefühl für das Leid und die Lust, die sie selbst empfinden. Ihr Gemüt ist in Aufruhr wider sich selbst; die eine Seite ihres innern empfindet es schmerzlich, wegen ihrer Verworfenheit gewisser Dinge entbehren zu müssen; die andere Seite hat ihre Lust daran; das eine zieht sie hierhin, das andere dorthin und zerrt sie gleichsam auseinander. Ist es aber nicht möglich Unlust und Lust zugleich zu empfinden, so ärgert man sich dafür nach kurzer Frist darüber daß man vergnügt gewesen ist, und gönnt sich selber die Lust nicht, die man genossen hat. Von Verdruß über das Durchlebte stecken solche niedrigen Naturen ganz voll. Ein Mensch von niederer Gesinnung hat also offenbar deshalb kein Gefühl der Zuneigung zu sich selbst, weil er nichts an sich hat, was Zuneigung zu erwecken vermöchte. Ist dies nun ein überaus unseliger Zustand, so ist es doppelt geboten mit Anspannung aller Kräfte das Böse zu fliehen und zu versuchen die Eigenschaften zu erwerben, die dem Menschen geziemen. Dann wird es ihm gelingen, sein eigner Freund und der Freund anderer Menschen zu werden.
5. Freundschaftsähnliche Verhältnisse
a) Wohlwollen
Das Wohlwollen hat mit der Freundschaft Ähnlichkeit, ohne doch Freundschaft zu sein. Wohlwollen kann man auch für Unbekannte hegen und ohne daß sie es wissen: das ist bei der Freundschaft nicht möglich. Wir haben oben davon gehandelt. Wohlwollen ist auch keine tätige Zuneigung; denn es enthält keine Willensregung und kein Streben, was doch mit tätiger Zuneigung untrennbar verbunden ist. Solche Zuneigung ferner erfordert eine Gewohnheit des Zusammenlebens, das Wohlwollen dagegen kann auch plötzlich hervortreten; so das für einen Wettkämpfer, dem man seine Gunst zuwendet und den Sieg wünscht, ohne doch dazu irgendwie mitzuwirken. Denn wie gesagt, solches Wohlwollen ist eine plötzliche Regung und eine ganz flüchtige Neigung. Dagegen läßt es sich wohl als Ausgangspunkt für die Freundschaft bezeichnen, wie es die Freude am Anblick des anderen für die Liebe ist. Niemand liebt, ohne vorher an der äußeren Erscheinung Freude empfunden zu haben; aber die bloße Freude am Anblick macht doch noch nicht den Verliebten; dazu gehört noch, daß man sich nach dem Entfernten sehnt und die Gegenwart des Geliebten herbeiwünscht. So ist es nun auch unmöglich Freund zu sein, ohne Wohlwollen gehegt zu haben; aber Wohlwollen macht noch keine Freunde. Denen, für die man Wohlwollen hegt wünscht man alles Gute; aber man tut nichts dazu und übernimmt für sie keine Anstrengungen. Darum darf man es in übertragenem Sinne eine Freundschaft ohne tätige Bezeugung nennen, die aber, wenn sie eine Zeitlang dauert und zur Gewohnheit des Zusammenlebens führt, in wirkliche Freundschaft übergeht, eine Freundschaft nicht um des Vorteils oder der Annehmlichkeit willen; denn solche Gründe sind dem Wohlwollen fremd.
Wer eine Wohltat empfangen hat, der erwidert für das was er erfahren hat mit seiner wohlwollenden Gesinnung und tut damit nur was gerecht ist. Wer aber wünscht, daß es jemandem wohlergehe, weil er von jenem Förderung für sich erhofft, von dem gilt nicht, daß er für den anderen, sondern eher daß er für sich selbst Wohlwollen hegt, ebenso wie auch der, der sich dem andern um des Nutzens willen gefügig erweist, nicht die Gesinnung eines Freundes zeigt. Überhaupt, Wohlwollen erwächst auf Grund verdienstlicher und sittlicher Eigenschaften, wo jemand den Eindruck macht, mit edler Gesinnung, mit festem Mute oder sonstigen Vorzügen ausgestattet zu sein, wie in dem oben erwähnten Beispiel des Wettkämpfers.
b) Eintracht
Als eine Art der Befreundung stellt sich ferner auch die Eintracht zwischen Mitbürgern dar. Sie bedeutet deshalb nicht bloße Gleichheit der Ansichten, diese kann auch zwischen solchen stattfinden, die einander persönlich unbekannt sind. Man spricht von Eintracht auch nicht bei solchen, die über irgendeinen beliebigen Gegenstand, z.B. über astronomische Fragen, gleicher Meinung sind; gleiche Ansichten in diesem Punkte zu haben hat mit freundschaftlicher Zuneigung