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Die Rabenringe - Gabe (Band 3). Siri PettersenЧитать онлайн книгу.

Die Rabenringe - Gabe (Band 3) - Siri Pettersen


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Vor Darkdaggar. Vor dem Schnabel.

      Er legte seine Kleider zusammen und packte sie oben auf den Rucksack. Der Schnee schmolz um seine nackten Füße. Er ließ sich vorsichtig ins Wasser hinab. Es brannte auf der Haut. Liebkoste ihn und bestrafte ihn. Rime schloss die Augen. Lag da zwischen Wärme und Kälte. Zwischen Wasser und Schnee.

      Hier hatte sie auch gelegen. In demselben Wasser. Das Mädchen, das die Welt auswrang wie einen Lappen. Das Mädchen, für das er so unglaublich viele Dummheiten begangen hatte. Das Mädchen, das er geküsst hatte.

      Sein Körper erwachte. Wurde hart. Er erinnerte sich. Ihre Lippen auf seinen. Ihre Hand, die ihm über den Nacken strich, auf der Jagd nach nackter Haut. Jetzt hasste sie ihn, aber das war nicht immer so gewesen.

      Leid und Lust vermischten sich in seinem Körper. Wurden zu einem Drang, der nach Linderung verlangte. Zu einer Forderung, die er erfüllen musste. Sie hatte ihn gewollt, damals. Wenn sie gekonnt hätten, hätten sie miteinander geschlafen, auf der Stelle. Er wusste es.

      Rime führte die Hand zum Schritt. Spürte ein Jucken im Hals.

      Im Hals …

       Graal!

      Aus dem Jucken wurde Schmerz. Ein ganz anderer Schmerz. Ein anderes Fordern. Sein Puls ging schneller. Ob deswegen, weil er hart oder entsetzt war, das wusste er nicht. Der Kontrast verursachte ihm Übelkeit. Er warf sich im Wasser herum, griff nach seinen Kleidern und fand die kleine Flasche von Damayanti. Blindenblut. Rabenblut. Und die Götter mochten wissen, was noch alles.

       Was soll ich sagen?

      Damayanti hatte sicher bereits von Darkdaggar erzählt und dass Rime keinen Stuhl mehr im Rat hatte. Es war sinnlos, das verheimlichen zu wollen. Wie wütend ihn das gemacht hatte, blieb abzuwarten.

      Rime biss die Zähne zusammen. Versuchte, sich gegen das Unausweichliche zu wehren. Sich selbst zum Aushalten zu zwingen. Eine Illusion von Kontrolle zu schaffen. Es war zwecklos. Je länger er wartete, desto schlimmer wurden die Schmerzen.

      Er umarmte. Öffnete den Mund. Ließ ein paar Tropfen in den Hals fallen und spürte, wie der Schnabel zum Leben erwachte. Das Ding bewegte sich wie ein Tier. Er bezwang seine Übelkeit. Spuckte Blut.

      »Graal …«

      Er zog sich aus dem Wasser. Verharrte auf allen vieren im Schnee. Die Worte pressten sich aus seinem Hals hervor, als wären es seine eigenen.

      »Wann ungefähr hattest du vor, es mir zu erzählen?«

      Rime stieß ein keuchendes Lachen aus. »Was denn? Such dir was aus, es ist genug da«, antwortete er.

      »Rime, ich bilde mir ein, dass ich nicht zur Schadenfreude neige, und es gibt unter diesen Umständen auch wirklich wenig, um sich darüber lustig zu machen. Aber was habe ich dir gesagt? Habe ich nicht gesagt, dass du mit jedem Tag, den du weg bist, an Macht verlierst? Habe ich nicht gesagt, dass du niemals hättest kommen dürfen?«

      Rime zwang ein tiefes Husten herauf, als könnte das die Qualen lindern. Er wusste nur allzu gut, dass er ihm ausgeliefert war. Nackt und machtlos im Schnee. Er war es gewohnt, kämpfen zu können. Auf das einschlagen zu können, was ihn bedrohte. Aber das hier war unmöglich zu besiegen. Dieses Gefühl war neu und es machte ihn wütend.

      »Schwer zu sagen«, erwiderte er. »Du bist jemand, der gern redet, und hast eine Menge gesagt.«

      »Das ist kein Spiel!«

      Der Schnabel öffnete sich. Rime griff sich an den Hals. Hustete Blut. Roter Regen im Schnee. Es blieb eine Weile still.

      »Rime … Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet. Dann wäre es einfacher. Aber so, wie es jetzt ist, möchte ich dich gerne schonen. Aus Respekt. Vor dir und vor ihr. Das hier muss nicht schwierig sein.«

      Rime fiel vornüber in den Schnee. »Respekt? So nennst du das? Aus Respekt vor ihr hast du sie zum Draumheim geschickt?«

      »Zu ihrem eigenen Volk, Rime. Das ist ihr Zuhause. Sie wird hohes Ansehen gewinnen. Wird unser Haus erheben. Sie wird es besser haben, als sie es an irgendeinem anderen Ort haben könnte. Und glücklicher werden, als du sie je machen kannst.«

      »Ansehen?« Rime lachte grimmig. »Du glaubst, das macht sie glücklich? Du kennst sie überhaupt nicht, ist dir das klar?«

      »Ich bin ihr Vater.«

      »Du bist ein Drecksack.«

      Rime wartete auf eine Welle von Schmerz, aber sie kam nicht. Er rollte sich auf den Rücken und legte den Arm übers Gesicht. Die Kälte begann, sich unter seine Haut zu fressen.

      »Sollen wir es später noch einmal versuchen, wenn du dich besser benehmen kannst, Rime?«

      Rime spürte seine Lippen zucken, aber er antwortete nicht. Seine Wut wurde von der Gabe angefacht. Wuchs mit jedem Herzschlag.

      Graal sprach weiter, als hätte er gesiegt. »Du hast deine Macht verloren. Damit machst du es mir schwerer. Jetzt musst du dafür sorgen, dass Darkdaggar nicht die Kontrolle über die Schwarzröcke gewinnt.«

      »Glaubst du, ich bin ein Idiot?« Rime schluckte Blut. Er war nicht überrascht, dass sie dasselbe Ziel hatten. Keiner von ihnen wollte den Schwarzröcken auf dem Schlachtfeld begegnen.

      Graal seufzte. Linderte den Schmerz wie eine kühle Brise. »Ohne mich wärst du zweifellos einer. Sei froh, dass du den Schnabel genommen hast. Ich kann dich wenigstens am Leben erhalten.«

      Rime kroch wieder hinunter zum Wasser.

       Am Leben … Wie lange? Bis der Krieg vorbei ist? Bis ich das getan habe, wozu du mich brauchst?

      Er war ein Werkzeug. Eine Waffe. Ein Sklave. Aber wenn Graal glaubte, er würde aus Furcht vor Schmerzen für die Blinden kämpfen, dann hatte er sich geschnitten.

      »Du hörst bald von mir«, sagte Graal. »Und dann erwarte ich, dass du die Schwarzröcke wieder unter deiner Kontrolle hast und dass sie bereit sind, gegen den Rat zu kämpfen.«

      Die Wahrnehmung von Graal verschwand. Rime war wieder allein. Er sank ins Wasser hinab. Holte sich die Wärme zurück in den Körper. Aber er konnte nicht aufhören zu zittern.

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