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Kirchengeschichte(n) für Neugierige. Fabian VogtЧитать онлайн книгу.

Kirchengeschichte(n) für Neugierige - Fabian Vogt


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immer wieder hin und her wechselt, zeigt, dass sie bis heute keine befriedigende Antwort auf diese Herausforderung hat.

       Kirche versus Welt

      Es ist nicht lange her, da hat der deutsche Papst Benedikt XVI. gefordert, die Kirche müsse endlich wieder „entweltlicht“ werden. Offensichtlich hatte er den Eindruck, die Gemeinden passten sich seit längerem zu sehr dem Zeitgeist an. Nun, damit sind wir mittendrin in einem der schwierigsten Muster der Kirchengeschichte. Von Anbeginn an kämpfen in den Gemeinden nämlich zwei Lager miteinander: Die einen finden, dass die Kirche eine Art „Gegenwelt“ zur „normalen Gesellschaft“ sein soll, ein heiliger Rückzugsraum, der so ganz anders sein soll als der Alltag – während die anderen nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Kirche sich doch gerade in der Welt verwirklichen muss: So wie Gott in die Welt kam, sollen die Christen – ihrer Meinung nach – mitten in die Welt gehen und sie mit der Liebe Gottes erfüllen. Also was nun? Ist die Kirche eine Gegenkultur – oder hat sie die Pflicht, sich zu „inkulturieren“? Auch das ist keine simple Unterscheidung, weil an dieser starken Divergenz wiederum ganz viele praktische Fragen hängen. Nur einige aktuelle Beispiele: Soll in Gottesdiensten weiterhin ein Instrument wie die Orgel gespielt werden, das privat kaum jemand hört – oder tut es dem Miteinander der Christen gut, wenn es die Musik von „draußen“, also Rock und Pop übernimmt? Ist die sprachlich brillante, aber schon bald 500 Jahre alte „Luther-Übersetzung“ der Bibel der Maßstab oder kommt es vor allem darauf an, dass die Menschen die Bibeltexte in der heute gesprochenen Sprache hören? Darf die Kirche sich auf die veränderte Lebenssituation vieler Bevölkerungsgruppen einlassen (Homosexuelle, Patchwork-Familien, Singles, uneheliche Lebensgemeinschaften, Atheisten usw.) oder soll sie mit ihrem Wertesystem ein eventuell auch verhasstes Gegenüber bleiben? Und wieder erleben wir in der Gegenwart ein Muster, das die Menschheit seit Ewigkeiten begleitet und dessen radikale Vertreter abwechselnd die Epochen der Kirchengeschichte geprägt haben.

       Gott versus Christ

      Aus welchem Blickwinkel betrachtet man die Bibel, die Kirche und den Glauben? Geht es zu allererst um Gott, den Erhabenen, den Heiligen, den Schöpfer des Himmels und der Erden, den oft so Fernen – oder geht es in erster Linie um den Fleisch und Mensch gewordenen Jesus, der sein Gegenüber immer wieder liebevoll fragte: „Was willst du, was ich dir tun soll?“ Kurz: Steht Gott im Zentrum der Kirche – oder der von Gott geliebte Mensch? Die Entscheidung kann in der konkreten Praxis massive Auswirkungen haben. Zum Beispiel verbirgt sich dahinter auch die die uralte Diskussion: Für wen feiern wir eigentlich Gottesdienst? Für Gott? Oder für den Menschen? Banal gesagt: Wem muss er eigentlich gefallen? Oder feiert gar Gott für und mit uns? Tatsächlich gibt es bis heute starke kirchliche Strömungen, denen das Ritual selbst wichtig ist. Denen es dann auch selbstverständlich erscheint, dass man die Liturgie in Latein, in Kirchenslawisch oder in mittelalterlichem Deutsch feiert, selbst wenn keiner der Anwesenden ein Wort versteht. Schließlich ist das Heilige größer als Worte. Und: Wer ein solches Gottesdienstverständnis hat, will natürlich auch nichts daran ändern: „Der Gottesdienst ist für den Herrn.“ Andere dagegen sagen verärgert: „Was dem Menschen nicht dient, kommt nicht von Gott. Was für ein Interesse könnte Gott denn daran haben, dass wir uns im Gottesdienst langweilen oder seine Elemente nicht verstehen?“ Und manchmal zerfleischen sich dann die Anhänger der verschiedenen Richtungen in Podiumsdiskussionen wegen irgendwelcher zweitrangiger Stilfragen und merken gar nicht, dass sie sich hier in eine schon seit Jahrtausenden existierende Problematik einklinken.

      Sie werden es gemerkt haben: Bei kaum einem dieser Muster-Paare lässt sich spontan sagen „Diese Position ist eindeutig richtig – und diese ist eindeutig falsch.“ Vielleicht empfinden Sie eine gewisse Sympathie für diese oder jene Anschauung (was ja an sich schon lehrreich sein kann), aber eine endgültige Klärung lässt sich nicht so leicht herbeiführen. Ja, mehr noch: Sie wäre wahrscheinlich sogar falsch. Abgrundtief falsch. Denn was wäre das für eine Kirche, in der beispielsweise nur noch gebetet und nicht mehr gearbeitet würde? Oder andersherum: in der nur noch gearbeitet und nicht mehr gebetet würde? Beide Alternativen führten in ihrer Reinform in die Katastrophe. Es gilt also, bei allen Mustern auf Dauer ein gesundes Gleichgewicht zu finden – und niemals aufzuhören, um ein zeitgemäßes und heilvolles Verstehen zu ringen.

      Die Krux in historischen Zusammenhängen besteht nun vor allem darin, dass es fast nie gelungen ist, eine solche „Muster-Waage“ im Gleichgewicht zu halten. Im Gegenteil. Meist schwankte der Zeiger immer wieder deutlich von links nach rechts, von rechts nach links und wieder von links nach rechts. Was vor allem am Prinzip von „Aktion und Reaktion“ liegt. Das meint (wenn wir mal das letzte Beispiel nehmen): Immer dann, wenn die Kirche zu viel arbeitete, trat eine leidenschaftliche Bewegung für mehr Gebet auf. Und um ihr Anliegen auch erfolgreich durchsetzen zu können, waren die Anhänger dieser Richtung meist so extrem, dass der Zeiger der Waage – anstatt schön gerade nach oben in den Himmel zu zeigen – sofort in die andere Richtung ausschlug. Schade, aber verständlich.

      Insofern kann man beim Betrachten der Kirchengeschichte auch nicht einfach forsch behaupten: Immer wenn die Kirche in diese oder jene Richtung tendierte, war sie auf dem Holzweg. Sie ist nur beim Versuch, einen Missstand auszugleichen, wieder einmal völlig über das Ziel hinausgeschossen. Und so wird es in den meisten der genannten Muster noch viele Schwankungen geben. Darüber kann man sich ärgern. Aber uns, als Zeitreisenden in Sachen Kirche, kommen sie jetzt zugute. Denn möglicherweise hilft uns diese kleine Übersicht, die nun folgenden Besuche bei ganz unterschiedlichen, historischen Persönlichkeiten ein wenig besser einordnen zu können.

      Und jetzt geht es los!

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