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Aristoteles. Eine Einführung. Wolfgang DetelЧитать онлайн книгу.

Aristoteles. Eine Einführung - Wolfgang Detel


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Figuren. Wenn wir beispielsweise genauer erklären wollen, warum Sokrates junge Leute einer gezielten Befragung unterzog, damit sie über ihr Leben nachzudenken beginnen, dann könnte eine Antwort sein, dass Sokrates die gezielte Befragung dazu benutzte, um die Auffassungen der jungen Leute einem Konsistenztest zu unterziehen und sie auf Widersprüche in ihren Meinungen aufmerksam zu machen, und dass er dies wiederum als [18]Mittel für eine Hinführung zur Selbstreflexion benutzte. Auf diese Weise können wir die ursprüngliche – latent komplexe – Mittel-Zweck-Relation in zwei einfachere Mittel-Zweck-Relationen auflösen und damit besser durchschauen. Und eine Erklärung der ursprünglichen Mittel-Zweck-Relation bestünde im Wesentlichen darin, sie aus den einfacheren Mittel-Zweck-Relationen wieder zusammenzusetzen (NE III 3). Oder wenn wir auf eine geometrische Figur schauen, etwa auf das Dreieck im Halbkreis, dann brauchen wir nur ein oder zwei geeignete weitere Hilfslinien zu ziehen, die das gegebene Diagramm feiner analysieren, um den Beweis für den Thales-Satz zu erkennen, der behauptet, dass alle Dreiecke im Halbkreis rechtwinklig sind (Metaph. IX 9, 1051a). Allgemein ist das Beweisverfahren der euklidischen Geometrie ein paradigmatischer Fall des analytisch-synthetischen Verfahrens. Denn Kreis und Gerade galten als einfachste Elemente des geometrischen Kontinuums, und deshalb mussten euklidische Beweise mit Zirkel (=Kreis) und Lineal (=Gerade) geführt werden: Was sich mit Zirkel und Lineal effektiv konstruieren ließ und sich damit als aus Kreis und Gerade zusammengesetzt erwies, galt als euklidisch beweisbar und geometrisch existent.

      Die Syllogistik ist ein weiterer wichtiger Fall von Analytik, wie sich an ihren wichtigsten Elementen zeigt (APr. I, 1–6):

      Ein syllogistischer Satz hat eine der vier folgenden Formen: (i) Das A kommt allen Bs zu (abgekürzt AaB); (ii) das A kommt keinem B zu (abgekürzt AeB); (iii) das A kommt einigen Bs zu (abgekürzt AiB); (iv) das A kommt einigen Bs nicht zu (abgekürzt AoB). Dabei sind A und B Variablen für [19]einstellige universelle Begriffe und a, e, i, o die syllogistischen Relationen, also die entscheidenden logischen Konstanten der Syllogistik.

      Ein syllogistischer Schluss ist ein Schluss, der genau zwei syllogistische Sätze als Prämissen und einen syllogistischen Satz als Konklusion enthält, derart dass die beiden Prämissen einen universellen Begriff teilen und der syllogistische Schluss eine der drei folgenden Formen hat:

      (1) AxB, BxC ⇒ AxC

      (2) BxA, BxC ⇒ AxC

      (3) BxA, CxB ⇒ AxC

      Dies sind die drei syllogistischen Figuren. Dabei ist B der gemeinsame Begriff oder Mittelbegriff, während A und C Außenbegriffe sind. Der Mittelbegriff ist entweder Subjekt der ersten und Prädikat der zweiten Prämisse (wie in (1)) oder Prädikat beider Prämissen (wie in (2)) oder Subjekt beider Prämissen (wie in (3)).

      Wenn wir in den syllogistischen Figuren für die Variable x die vier syllogistischen Relationen (a, e, i, o) in allen möglichen Kombinationen einsetzen, erhalten wir 192 (= 3 × 4 × 4 × 4) syllogistische Schlüsse. Die entscheidende Frage lautet dann: Welche der 192 syllogistischen Schlüsse – auch einfach Syllogismen genannt – sind syllogistisch gültig? Diese Frage zu beantworten ist die Aufgabe der Syllogistik, und die Antwort, die Aristoteles fand, bestand in der Entwicklung der ersten formalen Logik der Weltgeschichte.

      Die entscheidende Idee ist zu sagen, dass und warum eine kleine Zahl von syllogistischen Schlüssen perfekt und damit formal gültig ist. Hier sind die vier perfekten [20]Syllogismen (samt ihren mittelalterlichen mnemotechnischen Namen), die Aristoteles angibt (der Pfeil steht für eine gültige Deduktion):

      A1 AaB, BaC ⇒ AaC (Barbara)

      A2 AeB, BaC ⇒ AeC (Celarent)

      A3 AaB, BiC ⇒ AiC (Darii)

      A4 AeB, BiC ⇒ AoC (Ferio)

      Diese Syllogismen sind perfekt oder gültig aufgrund unseres Verständnisses der a-Relation und der e-Relation. AaB verstehen wir beispielsweise so, dass es kein B-Ding gibt, das nicht auch ein A ist (APr. I 4, 25b 39–40, vgl. 24a 18 und 26a 27). Wenn es nun kein C-Ding gibt, das nicht auch B ist, und kein B-Ding, das nicht auch A ist, dann kann es auch kein C-Ding geben, das nicht auch A ist. Denn angenommen, es gäbe mindestens ein C-Ding, das nicht A ist – nennen wir es C* –, dann folgt, dass wenn C* gemäß der zweiten Prämisse in A1 auch B ist, es mindestens ein B-Ding gibt, das nicht A ist, im Widerspruch zur ersten Prämisse in A1. Somit muss A1 schon aufgrund unseres Verständnisses, und damit aufgrund der Bedeutung der a-Relation, gültig sein. Aristoteles erwähnt übrigens die o-Relation und die i-Relation hier nicht, weil, wie er selbst zeigt, A1 und A2 theoretisch ausreichen: A3 und A4 können mittels A1 und A2 bewiesen werden. (APr. I 7)

      Ferner ist aufgrund der Bedeutung der syllogistischen Relationen klar, dass gilt (der Doppelpfeil steht für »wechselseitig logisch gültige Deduktion« und »¬« für »es ist nicht der Fall, dass«):

      [21]L1 AeB ⇔ ¬ (AiB)

      L2 AaB ⇔ ¬ (AoB)

      Und schließlich setzt Aristoteles das Prinzip des indirekten Beweises (das er Prinzip der zum Unmöglichen führenden Deduktionen nennt) voraus, z. B. in der folgenden Form:

      PI Seien R, S, T syllogistische Sätze, dann gilt:

      Wenn die Deduktion ¬ T, S ⇒ ¬ R gültig ist,

      dann auch die Deduktion R, S ⇒ T.

      Es gibt in den logischen Schriften keine Rechtfertigung von PI, aber weil PI aus dem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten (»p oder nicht-p« gilt für jeden Satz p) folgt und dieses Prinzip in Buch IV der Metaphysik ausführlich gerechtfertigt wird, können wir auch PI als begründet ansehen.

      Die Annahmen A1, A2, L1, L2 und PI sind eine hinreichende Grundlage für die nächste Herausforderung, die von der Syllogistik zu bewältigen ist: syllogistisch zu beweisen, welche weiteren Syllogismen formal gültig sind. Dazu musste Aristoteles zunächst bestimmen, was ein guter syllogistischer Beweis eigentlich ist. Und genau für diese Bestimmung griff er erneut auf die Idee des analytisch-synthetischen Verfahrens zurück.

      Die grundlegende Idee ist, dass ein syllogistischer Beweis eines nicht-perfekten Syllogismus R, S ⇒ T darin besteht, ihn in perfekte oder bereits bewiesene gültige Syllogismen zu zergliedern oder zu analysieren. Diese Analyse muss dann konkret darin bestehen, die Kluft zwischen den Prämissen R, S und der Konklusion T mit perfekten oder [22]bewiesenen Syllogismen anzufüllen, so dass wir von R und S allein aufgrund bekannter gültiger Syllogismen zu T gelangen. Das allgemeine Beweisschema der syllogistischen Analyse einer Deduktion D (R, S ⇒ T) ist also die Beweisformel

      P R, S: D1 (R, S ⇒ X1) – D2 (X2, X3 ⇒ X4) – … – Dn (X n–1, Xn ⇒ T): T

      Dabei sind D1, D2, …, Dn perfekte oder bewiesene Syllogismen. Der erste benutzte Syllogismus D1 beginnt mit den Prämissen des zu beweisenden Syllogismus D, und alle weiteren benutzten gültigen Syllogismen verwenden als Prämissen zwei syllogistische Sätze, die vor ihrem Einsatz in der Reihe R, S, Xi auftauchen, bis T erreicht ist. Auf diese Weise wird in der Tat der zu beweisende Syllogismus D in die gültigen Syllogismen D1 – Dn analysiert und wieder zusammengesetzt.

      Die ersten syllogistischen Deduktionen, die Aristoteles auf diese Weise beweist, sind nicht syllogistische Schlüsse im definierten formalen Sinn, sondern einfachere syllogistische Deduktionen mit nur einer Prämisse – die sogenannten Konversionsregeln (APr. I 2, 25a 14–25):

      K1 AeB ⇒ BeA; K2 AiB ⇒ BiA; K3 AaB ⇒ BiA.

      Nach Aristoteles sind von den 188 nicht perfekten Syllogismen, die es insgesamt gibt, lediglich vierzehn syllogistisch


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