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Die Unterwerfung der Frauen. John Stuart MillЧитать онлайн книгу.

Die Unterwerfung der Frauen - John Stuart Mill


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dann seinen richtigen Verlauf nimmt, wenn man es seinem eigenen Urteil überlässt, und dass jede darauf gerichtete Einwirkung einer Obrigkeit nur von Übel sein kann, ausgenommen, sie ist notwendig, um die Rechte anderer zu schützen. Diese Auffassung, zu der man nur sehr allmählich kam und die man nicht eher annahm, als nachdem man beinahe jede mögliche Anwendung der entgegengesetzten Theorie scheitern gesehen hatte, ist gegenwärtig (in Bezug auf die Industrie) die in den am weitesten fortgeschrittenen Ländern vorherrschende und die am meisten verbreitete in Ländern, die in der einen oder anderen Hinsicht an Fortschritt interessiert sind. Natürlich ist es nicht so, dass man annimmt, dass alle Verfahren gleich gut oder alle Menschen für jeden Beruf gleich geeignet sind. Man nimmt jedoch an, dass nur die Freiheit der individuellen Wahl verbürgt, dass die besten Verfahren eingesetzt und die verschiedenen Beschäftigungen von denen übernommen werden, die dafür am besten geeignet sind. Niemand denkt daran, kraft Gesetzes zu bestimmen, dass nur Männer mit Muskelkraft [274] Schmied werden [37]dürfen. Gewerbefreiheit und Wettbewerb sind dafür vollkommen hinreichend. Menschen mit weniger Muskeln können mehr verdienen, wenn sie sich Tätigkeiten zuwenden, für die sie geeigneter sind. Entsprechend dieser Doktrin gilt es als Überschreitung ihrer legitimen Grenzen, wenn die Obrigkeit aufgrund bestimmter allgemeiner Annahmen festlegt, dass bestimmte Personen für bestimmte Beschäftigungen ungeeignet sind. Es ist allgemein anerkannt, dass derartige Annahmen, soweit sie getroffen werden, nicht unfehlbar sind. Auch wenn sie in der Mehrzahl der Fälle gut begründet sind (was nicht wahrscheinlich ist), würde es immer noch eine kleine Zahl von Ausnahmen geben, auf die sie nicht zutrifft, und in diesem Fall ist es eine Ungerechtigkeit gegen das Individuum wie eine Beeinträchtigung der Gesellschaft, wenn man das Individuum daran hindert, seine Fähigkeiten zu seinem eigenen und zum Nutzen anderer zu gebrauchen. Dagegen werden in Fällen, in denen wirklich Unfähigkeit besteht, schon die für das menschliche Verhalten im Allgemeinen geltenden Motive ungeeignete Personen dazu bringen, gar nicht erst den Versuch zu machen, oder, falls doch, von diesen abzulassen.

      Sollte dieser Grundsatz der Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften unwahr sein und wäre das Individuum, unterstützt durch die Meinung derer, die es am besten kennen, nicht in der Lage, seine eigenen Fähigkeiten und seine Berufung besser zu beurteilen als Gesetz und Obrigkeit, wäre die Welt gut beraten, dieses Prinzip aufzugeben und zum alten System der Bevormundung und Maßregelung zurückzukehren. Falls dieses Prinzip jedoch wahr ist, sollten wir uns in der Praxis daran halten und nicht die [38]Tatsache, dass jemand als Mädchen statt als Junge, als schwarz statt als weiß oder als gewöhnlicher Bürger statt als Aristokrat geboren ist, darüber bestimmen lassen, welche Position er sein Leben lang einnimmt und ihn von allen höheren Positionen und von nahezu allen, die als respektabel gelten, ausschließen. Selbst wenn wir das Äußerste zugeben wollten, was für die überlegene Befähigung der Männer für die Tätigkeiten vorgebracht worden ist, die ihnen gegenwärtig vorbehalten sind, würde dasselbe Argument gelten und eine gesetzliche Einschränkung des Zugangs zum Parlament verbieten. Wenn die Bedingungen der Wählbarkeit auch nur einmal in zehn Jahren eine geeignete Person ausschließen, ist das ein echter Verlust, während die Ausschließung tausend ungeeigneter Personen kein Gewinn ist. Gesetzt den Fall, dass die Wählerschaft eine ungeeignete Person wählt, gibt es stets eine Menge ebenso ungeeigneter, aus denen gewählt wird. In allen Aufgaben von einiger Schwierigkeit und Wichtigkeit gibt es von denen, die sie gut erledigen, weniger, als man braucht, auch dann, wenn man die Auswahl nicht besonders einschränkt. Doch jede Begrenzung der Auswahl mindert die Chancen der Gesellschaft, sich der Dienste der Tüchtigen zu versichern, ohne sie vor den Diensten der Untüchtigen zu bewahren.

      Gegenwärtig ist die Benachteiligung der Frauen in den fortgeschritteneren Ländern – mit einer einzigen Ausnahme – der einzige Fall, in dem Gesetze und Institutionen eine Person nach ihrer Geburt beurteilen und ihr ihr ganzes Leben lang verbieten, sich für bestimmte Positionen zu bewerben. Die eine Ausnahme ist die Königswürde. Der Thron wird weiterhin aufgrund der Geburt bestiegen. Keiner, nicht einmal ein Angehöriger der herrschenden [39]Dynastie, kann ihn dem Inhaber streitig machen, und keiner aus der Dynastie kann ihn anders erlangen als im Zuge der Erbfolge. Alle anderen Ämter und Vorrechte stehen dem gesamten männlichen Geschlecht offen. Allerdings lassen sich viele nur dann erlangen, wenn man zu den Reichen gehört, aber nach Reichtum kann jeder streben, und tatsächlich gehören einige dazu, die aus bescheidensten Verhältnissen stammen. Zwar sind die Schwierigkeiten für die [275] meisten ohne die Hilfe glücklicher Zufälle unüberwindbar, aber keinem männlichen Wesen ist es von Gesetzes wegen verboten, sie zu überwinden. Weder Gesetz noch öffentliche Meinung errichten, über die natürlichen hinaus, zusätzliche Schranken. Die Königswürde ist, wie gesagt, eine Ausnahme – doch in diesem Fall ist jedem klar, dass es sich um eine Ausnahme handelt, eine Anomalie in der modernen Welt, in unübersehbarem Kontrast zu ihren Prinzipien. Sie lässt sich nur mit besonderen Gründen rechtfertigen, und die gibt es, mögen auch darüber, wie gewichtig sie sind, Individuen und Nationen unterschiedlicher Auffassungen sein. Doch in diesem Ausnahmefall, wenn eine hohe gesellschaftliche Position nach Geburt statt nach Leistung verliehen wird, schaffen es die freien Gesellschaften, dem Prinzip treu zu bleiben, dem sie nominell zuwiderhandeln, indem sie diese Position an Bedingungen knüpfen, die anerkanntermaßen darauf zielen, die Person, die sie bekleidet, daran zu hindern, sie tatsächlich auszuüben – während die Person, die sie tatschlich ausübt, der jeweils zuständige Minister, sie aufgrund eines Wettbewerbs erhält, von dem kein erwachsener Bürger männlichen Geschlechts per Gesetz ausgeschlossen ist. Die Benachteiligung, der Frauen allein aufgrund der Geburt [40]unterworfen sind, ist insofern einzigartig. Das moderne System der Gesetzgebung, das immerhin die Hälfte der Menschheit umfasst, kennt keinen anderen Fall, in dem den Bürgern höhere gesellschaftliche Positionen allein aufgrund des Schicksals der Geburt verschlossen bleiben und dagegen weder Anstrengungen noch ein Wechsel der Umstände etwas ausrichten können. Selbst religiöse Benachteiligungen (abgesehen davon, dass sie in England und Europa so gut wie nicht mehr existieren) nehmen den Ausgeschlossenen nicht sämtliche Aufstiegschancen, solange die Möglichkeit der Glaubenskonversion besteht.

      Die Unterordnung der Frauen steht demnach als ein singuläres Faktum inmitten der modernen sozialen Institutionen da – als ein einzigartiger Bruch ihres grundlegenden Gesetzes und einziges Relikt einer vergangenen Zeit, deren Denken und Tun in allen sonstigen Hinsichten vom Erdboden verschwunden ist. Nur in diesem einen, universales Interesse beanspruchenden Punkt wird dieses Relikt konserviert – so als stünde ein gigantischer Dolmen oder ein riesiger Tempel des Jupiter Olympius an der Stelle, wo jetzt die St.-Pauls-Kathedrale steht, und würde täglich zu Gottesdiensten genutzt, während die umherliegenden christlichen Kirchen nur an Festtagen besucht würden. Dieser Widerspruch zwischen der einen sozialen Tatsache und allen anderen, die mit ihr zusammenbestehen, und dieser radikale Gegensatz zwischen ihr und den fortschrittlichen Bewegungen, auf die sich die moderne Welt etwas zugutehält und die nach und nach alles von ähnlicher Art hinweggefegt haben, muss jedem gewissenhaften Beobachter der menschlichen Entwicklung zu denken geben. Sie begründet eine Vermutung gegen die Sache – stärker als die auf [41]Sitte und Gewohnheit gegründete dafür – und sollte genügen, die Frage – ähnlich wie die zwischen Republik und Monarchie – zumindest als unentschieden gelten zu lassen.

      Das Wenigste, das verlangt werden kann, ist, dass die Frage nicht als durch bestehende Tatsachen und bestehende Ansichten vorentschieden gilt, sondern zum Gegenstand der Diskussion gemacht und ihre Vorzüge und Nachteile, ihre Gerechtigkeit und Nützlichkeit abgewogen werden. Wie bei allen anderen gesellschaftlichen Arrangements muss die Entscheidung davon abhängen, was sich aufgrund einer aufgeklärten Abschätzung ihrer Tendenzen und Konsequenzen und unabhängig von allen Geschlechterdifferenzierungen als für die Menschheit im Allgemeinen vorteilhaft darstellt. Und diese Diskussion muss eine echte [276] Diskussion sein, die zu den Wurzeln vordringt und sich nicht mit vagen und allgemeinen Behauptungen zufriedengibt. Es genügt zum Beispiel nicht, ganz allgemein zu behaupten, dass die Erfahrung zugunsten des bestehenden Systems spricht. Die Erfahrung kann nicht zwischen Alternativen entscheiden, solange Erfahrung nur über eine der Alternativen gesammelt werden konnte. Wollte man sagen, dass die Lehre von der Gleichheit der Geschlechter bloße Theorie ist, ist daran zu erinnern, dass die Lehre von der Ungleichheit der Geschlechter auch nur Theorie ist. Alles, was die unmittelbare Erfahrung zu ihren Gunsten zeigen kann, ist, dass die Menschheit unter ihr existieren und den Grad von Fortschritt und Wohlstand erlangen konnte, den wir jetzt sehen.


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