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Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen - Heinrich Mann


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und Unrat erhob den Finger, »es müßte – wahrlich doch – dasjenige von den Dramen unseres Schiller sein, das wir in der Klasse lesen, nämlich – immer mal wieder – die Jungfrau von Orleans.«

      Der Schauspieler ließ die Lippen fallen, senkte den Kopf und sah von unten, mit Trauer und Vorwurf, zu Unrat auf.

      »Das tut mir aber fabelhaft leid. Weil wir die erst wieder einstudieren müßten, wissen Sie. Ist Ihnen wirklich mit 'm Tell nicht gedient? Der ist doch auch ganz hübsch für die Jugend.«

      »Nein,« entschied Unrat, »das geht auf keinen Fall. Wir brauchen die Jungfrau. Und zwar käme es – aufgemerkt nun also! –«

      Unrat schöpfte Atem, sein Herz klopfte.

      »– ganz besonders auf die Darstellerin der Johanna an. Denn diese soll eine hehre Künstlerin sein, die den Schülern die erhabene Gestalt der Jungfrau – immer mal wieder – recht nahe bringt.«

      »Allerdings, allerdings«, sagte der Schauspieler, mit tiefem Einverständnis.

      »Da habe ich denn nun an eine Ihrer Damen gedacht, die ich, und hoffentlich nicht mit Unrecht, auf das höchste habe preisen hören.«

      »Ach nee.«

      »Nämlich an das Fräulein Rosa Fröhlich.«

      »Wie, bitte?«

      »Rosa Fröhlich«, und Unrat hielt die Luft an.

      »Fröhlich? Haben wir ja gar nicht.«

      »Wissen Sie das auch ganz genau?« fragte Unrat, kopflos.

      »Erlauben Sie, ich bin ja nicht meschugge.«

      Unrat wagte den Mann nicht mehr anzusehn.

      »Dann kann ich mir das aber gar nicht –«

      Jener kam ihm zu Hilfe:

      »Da muß wohl sicher 'ne Verwechslung vorliegen.«

      »Ach ja«, sagte Unrat, kindlich dankbar.

      »Entschuldigen Sie nur.«

      Und er dienerte, während er sich zurückzog.

      Der Kassierer war verblüfft. Schließlich rief er hinterher:

      »Aber Herr Professohr, über den Fall läßt sich ja trotzdem reden. Wieviel Billette würden Sie denn nehmen? Herr Pro –«

      Unrat drehte sich unter der Tür noch einmal um, sein Lächeln war verzerrt vor Angst vor dem Verfolger.

      »Entschuldigen Sie doch nur.«

      Und er war geflüchtet.

      Ohne es zu merken, kam er die Straße hinunter und an den Hafen. Um ihn her waren stampfende Tritte von Männern, die Säcke trugen, und breite Rufe von andern, die sie zu Giebelluken hinaufwanden. Es roch nach Fischen, Teer, Öl, Spiritus. Die Masten und Schlote dahinten im Fluß verwickelten sich schon in Dämmerung. Inmitten der Betriebsamkeit, die vor Dunkelwerden noch aufflackerte, ging Unrat dahin mit seinem bohrenden Gedanken: Lohmann »fassen«, den Aufenthalt der Künstlerin Fröhlich nachweisen.

      Er ward angestoßen von Herren in englischen Anzügen, die mit Frachtbriefen umherliefen, und von Arbeitern, die ihm »Achtung!« zubrüllten. Die allgemeine Hast ergriff ihn; er drückte, ehe er's sich versah, den Griff einer Tür, über der »Heuerbas« und irgendeine schwedische oder dänische Inschrift stand. Im Laden lagen gerollte Taue, Schiffszwieback, kleine, scharf riechende Fässer. Ein Papagei schrie: »Duhn supen!« Mehrere Matrosen tranken, andere redeten, die Hände in den Hosen, auf einen riesigen, rotbärtigen Mann ein. Der machte sich, es dauerte eine Weile, aus den Tabakswolken des Hintergrundes los, stellte sich hinter den Ladentisch, so daß der blecherne Reflektor der Wandlaterne seinen Kahlkopf heftig beleuchtete, stemmte die Tatzen auf die Kante und sagte plump:

      »Wollen Sie was von mich, Herr?«

      »Geben Sie mir,« verlangte Unrat leichthin, »eine Eintrittskarte für das Sommertheater.«

      »Wat sagen Sie?« fragte der Mann.

      »Nun ja, für das Sommertheater. Da Sie denn nun einmal in Ihrem Schaufenster anzeigen, daß Sie Billette zum Sommertheater verkaufen.«

      »Wat soll ich doorvon denken, Herr,« und der Mann behielt den Mund offen. »Das Sommertheater speelt doch nich in 'n Winter.«

      Unrat versteifte sich auf sein Recht.

      »Aber Sie haben es im Fenster, Mann.«

      »Door kann 't jä ook bliewen!«

      Das war herausgeplatzt; aber der Heuerbas nahm seine Achtung vor dem bebrillten Herrn gleich wieder zusammen. Er suchte nach Gründen, die den Fremden überzeugen konnten, das Sommertheater sei jetzt geschlossen. Um seiner behutsamen Gedankenarbeit körperlich nachzuhelfen, gab er mit seiner fürchterlichen, rotbehaarten Hand der Tischplatte von der Seite ganz vorsichtige Streiche. Schließlich hatte er gefunden:

      »Das weiß jä woll de dümmste Schooljong,« sagte er gutmütig, »daß in 'n Winter kein Sommertheater is.«

      »Erlauben Sie, Verehrter,« machte Unrat, überlegen abwehrend.

      Der Mann rief zu Hilfe:

      »Hinnerich! Laurenz!«

      Die Matrosen kamen näher.

      »Ick weit nich, wat mit em los is, hei will mit alle Macht in 'n Willemsgorten.«

      Die Matrosen rollten Kautabak in den Mündern. Sie und der Heuerbas starrten angestrengt auf Unrat, als sei er ein sehr weit Hergekommener, etwas wie ein Chinese, den man nun verstehen sollte. Unrat empfand dies; es befiel ihn Hast, hier fertig zu werden.

      »Dann könnten Sie mir wenigstens sagen, Mann, ob vorigen Sommer in dem bewußten Theater ein gewisses Fräulein Fröhlich mitgespielt hat – Rosa Fröhlich.«

      »Wo soll ich das woll herwissen, Herr?« Der Mann war vollkommen verblüfft. »Meinen Sie, Herr, ick gew mich mit die Zirkusminscher aff?«

      »Oder doch,« sagte Unrat Hals über Kopf, »ob die erwähnte Dame im kommenden Jahr uns – immer mal wieder – durch ihre Leistungen erfreuen wird.«

      Der Heuerbas sah erschreckt aus; er verstand kein Wort mehr. Einer der Matrosen hatte etwas gefunden:

      »Hei makt sick 'n Jux, Pieter, hei will di uzen!«

      Darauf legte er den Kopf in den Nacken und lachte, glucksend und dröhnend, aus schwarz geöffnetem Rachen. Die andern stießen sich an und machten es dann ebenso. Dem Heuerbas schien es zwar keineswegs, als ob dieser Fremde sich lustig machte; aber er sah den Respekt in Gefahr, den seine Kunden vor ihm haben mußten: diese Leute, die er verdang, die er den Kapitänen aufs Schiff lud, zusammen mit Zwieback und Ginever. Er verfiel unvermittelt in eine künstliche Wut, färbte sich wild, schlug auf den Tisch und streckte einen gebieterischen Finger aus.

      »Herr! Ich hab' mehr zu tun, ich bün Ihr Aap nich! Sehn Sie sich mal die Tür an, da achter Ihnen is sie!«

      Und als Unrat noch einen Augenblick betäubt auf seinem Platz blieb, traf der Mann Anstalt, hinter seinem Tisch hervorzukommen. Unrat klinkte rasch die Tür auf. Der Papagei schrie ihm nach: »Duhn supen!« Die Matrosen brüllten vor Lachen. Unrat schloß die Tür.

      Er bog scharf um die nächste Ecke und entkam aus der Hafengegend in stille Straßen. Er zensierte das Vorgefallene.

      »Dies war ein Fehler. Dies war – freilich nun wohl – ein Fehler.«

      Die Künstlerin Fröhlich mußte auf einem andern Wege ausfindig gemacht werden. Unrat sah sich die Begegnenden daraufhin an, ob sie etwas von ihr wüßten. Es waren Lastträger, Dienstmädchen, der Laternenanzünder, eine Zeitungsfrau. Mit dem Volk war keine Verständigung möglich: er hatte die Erfahrung gemacht. Auch lud ihn sein jüngstes Erlebnis dazu ein, bei der Anknüpfung mit Unbekannten vorsichtig zu sein. Weiser war es, nach einem schon vertrauten Gesicht sich umzusehen. Aus der nächsten »Grube« tauchte eben eines auf, dem Unrat noch


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