Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch. Jean PaulЧитать онлайн книгу.
dem Lande die Geldgurt weiter und voller gemacht, – – bloß weil er aus beiden kein Goldstäubchen hinausfliegen ließ in fremde Länder für fremde Titel. Erstlich der Fürst selber, der, denk’ ich, den besten und daher teuersten Titel verlangen darf, legt – anstatt sich einen, z. B. das überteuerte blaue Hosenband aus England zu verschreiben, eine wahre Staats-Aderlaßbinde – ein inländisches Fabrikat um den Leib, das ihm keinen Heller kostet, sondern nur ein Wort, und er steht so gratis als Groß- oder Frankenmeister des Krötenordens fertig vor Europa da. Oder verlangt man, daß ein Herr, der das ganze Jahr Titel und Bänder an alle Welt, oft an die größten Tropfen und Ausländer ausgeworfen, sich selber zu nichts kreieren und durch kein Selbstband zeigen soll, wie er sich ehre? –
Zweitens: da die Menschen auf dem schlaffen Seile der seidnen Bänder am liebsten tanzen: so können in Ländern, die mit Metall- saiten bezogen werden sollen, gar nicht Basler Ordensbandfabriken genug errichtet werden, damit man die Menschen und ihr Geld bei der Ehre fasse! Der Frosch setzte mich und meine Injurien in Sicherheit und Achtung und darauf in den Gasthof, wo ich sogleich nach dem Balbier und nach dem Hofmarschall schickte, um durch beide den Zutritt zur Cour zu erwerben. Ich und der Fürst waren uns einander ehemals in Marseille in den Kulissen des Théâtre des Varietes aufgestoßen und sehr bekannt geworden. Die Wahrheit zu sagen, wollt’ ich dem Hofe Verdruß machen und mich nachher wieder in die Luft. Ich wurde angenommen: aber da ich im Verzugsund Anstandssaale auftrat unter den Frankenherren ohne Courflagge und Courruder, ohne Haarbeutel und Degen: so mußt’ ich mich ein wenig auf dem Rücken und von der Seite ansehen lassen. Endlich erschien unser Frankenmeister mit seiner Meisterin. Ich wurde ihm präsentiert wie ein lebender Wechsel auf die Vergangenheit, aber nicht außerordentlich honoriert und akzeptiert; – die Arme, womit er sonst jugendlich an sich drückte, waren – der eine durch das feste Halten des gewichtigen Zepters, der andere als Tragebalken und Atlas des Thronhimmels – ganz steif geworden und die weichen Hände sehr kallös 15 . Er konnte die Ellenbogen so wenig um mich zusammenschlagen als ein Wegweiser seine hölzernen. Ich führte ihn leise auf einige Juvenalia zurück, besonders auf ein Inkognitohaus in Marseille, das eigentlich das wahre Théatre des Variétés war, wo ich ihn mehrere Sonntage vormittags damit außer Fassung brachte, daß ich ihn daran erinnerte, wie gerade jetzt (in diesen etwas apokryphischen Horen) auf allen Kanzeln seines Landes in den kanonischen werde um das Vergnügen und die Tugend des Landesherrn geflehet werden und besonders darum, daß er gesund wiederkomme –: er ging darauf allemal ans Fenster des Theaters und hatte Gedanken.
Aber heute brach er ab mit einem gezwungenen Lächeln. – Serenissima sah stolz über die öden Plätze meines Körpers hin, wo ich mich als eine bloße Henne darstellte mitten unter so vielen Courhähnen mit Kamm und Sporen – nämlich ohne Haarbeutel und Degen. Sie ist eigentlich die Goldschaumschlägerin des zeremoniellen Rausch- und Knistergoldes; ihre Courparole Von hätte den Adam, ihren Urherrn, als einen tafelunfähigen von wenig oder gar keinen Ahnen – weil Präadamiten schwer zu dokumentieren sind – von ihrem Tischtuch verjagt. Sie wußte von den Römern, daß Sklaven oder (in der Sprache des Mittelalters) Leute frei würden, wenn sie mit dem Herrn äßen.
Endlich machte sich der Hof zum Marsche ins Tafel- oder Stummenzimmer mobil, und wir Kammer- und Frankenherren – meistens Leute, die nichts zu essen haben außer im Bratenrock und die sich mit dem Degen an der Seite den Weg bahnen zur Schüssel – und sämtliche Minister des Ländchens drangen in keilformiger Ordnung voran, und die fürstliche Familie schleifte leicht hintennach. – – Die Langeweile, als die Königin des Balles, war bald hinten, bald vornen und flog wie eine Hausfrau unter den Gästen umher.
Vierundzwanzig Worte wurden zur Tafel geliefert und an fünfundvierzigtausend Seufzer – ich hatte Zeit zum Zählen der Lieferungen als der größte Seufzer-Lieferant. O ihr Deutschen, warum sprecht ihr so wenig, zumal am Hofe, und vollends die Vierreuter! Sprechen ist Wachen, Schweigen nur Schlaf. Wenn man in Neapel die Satisfaktion hat, zu erfahren, daß jeder Balbier und Schneider einen zweiten zum Fremden mitbringt, um, während er rasiert oder misset, ein Sprechmitglied, einen Turniergenossen der Redeübung zu haben – und daß sogar der Souffleur sich noch einen Zungenableiter und Mitlauter im Kasten hält: so weiß man nicht, was man in Deutschland zu dem allgemeinen Zungenkrebs und Lippenkrebs – nur der letztere ist eine Krankheit bei Menschen – sagen soll, und das ist eben wieder deutsch und stumm. Sobald der Deutsche mit seiner Historie fertig ist – denn wie der Brite kein Frühstück ohne gedruckte Zeitung, so genießet überall der Mensch nichts ohne mündliche –: so kommt er gar nicht wie der Franzose erst recht ins ästhetische und philosophische Sprechen hinein, sondern er ist schon fertig mit allem.
Nur die drei Minister – so schreibt man Präsident, wenns mit großen oder Anfangsbuchstaben stehen soll – hatten den Mut (weil man sie haben mußte), zuweilen ein weises und langweiliges Wort zu sagen. Leute von Jahren und von hohen Ämtern exerzieren überall das Servitut der Langenweile, dieser Figurantin der Weisheit. Die Menschen machen es mit sich wie die Vogelfänger mit dem Hasenbalg, sie stülpen ihn zu einem Eulenkopf um (wie er auf Minervens Panzer sitzen könnte): dann fangen sie das leichtfertige Gevögel.
– Und dem fliegt Giannozzo so gern an der Spitze vor. Ich verfiel da wieder auf meinen alten Hotel-Spaß. Ich glaubte nämlich einiges Leben in die Eß-Konsulta zu bringen, wenn ich mich stellte, als entflöhe meines. Anfangs ließ ich einige nicht schrecklose Zukkungen über das Gesicht weglaufen; man sah sie sehr aufmerksam an; ich trug noch ein paar harte nach – und sank unversehens in die Ohnmacht. Ich wurde von einem Käferschwarm von Bedienten aufgefangen und umschnurrt. Da ich wieder auf den. Sessel und zum Besinnen kam, fand ich zu meiner Lust den Diskurs allgemein. Ich mußte jeden aus der Angstd es Rezidivs 16 herausziehen, damit man mich nur sitzen ließe. Sooft nun wieder Mattigkeit einfiel und Tafeljammer: so lehnt’ ich mich zurück und spielte auf meinem Gesicht mit matten Kräusel- und Anfangsbuchstaben von Versterben; aber ein schwacher Zickzack von Mienen reichte hin, alle zu beseelen und mich wieder aufrecht zu setzen. Die kahlköpfigsten Hofleute wollen sich – wie sie mir abermals schmeichelten – keines so amüsanten Diners entsonnen haben, als dieses durch meine mimischen Konfigurationen war. Ich selber wurde überhaupt allgemein gesucht, weil ich aus der Luft herabgefahren war und man mich wieder auffahren zu sehen hoffte. Abends im Novitätentempel – so hieß als Widerspiel, des Antikentempels ein schlechter Speisesaal im Park – bracht’ ich gar etwas in der Tasche mit, was die Gäste in so viel Feuer und Handlung setzen sollte als die Pucelle oder jede andere Muse und was ich auf dem Kirchturm, den ich deswegen zum Spaß bestiegen, eingesteckt hatte; – es waren ein paar Fledermäuse.
Es fiel darauf ein Land- und Lufttreffen zwischen den Froschrittern und Fledermäusen im Saale vor, daß der offizielle Bericht durchaus bekannt zu werden verdient, den ich an auswärtige Mächte davon aufgesetzt unter dem imposanten Titel:
Frosch- und Mäusekrieg im Novitätentempel zu Vierreuter
Als der Schelm Giannozzo eben vor dem warmen Suppenteller saß und jeder andere auch: schlüpft’ er heimlich mit der Linken in die Tasche und holte unter der Chauve-souris-Maske 17 des Schnupftuchs unbemerkt (weil der Hof auf die Löffel sah) seine Fledermäuse hervor und ließ solche unter der Tafel los. Wenige Sekunden darauf ging die Lust-partie à la guerre 18 an, die zweite Hof-Dame sah zuerst als Vorpost und enfant perdu die fliegenden Drachen oben fahren und rief nicht »wer da«, sondern wußt’ es sogleich und schrie bloß: perdu, weil sie: enfant ausließ. Die andern Damen riefen in zwei Sprachen: Himmel! – wenige Herren: Hölle! – die meisten beides. Auf dieses Kriegsgeschrei sprangen viele der meisten Krötenritter von ihren Sesseln auf und wieder darauf hinauf und zogen ihre Hof-Raufer, um sich mit den Mäusen auf Hieb und Stoß zugleich und sogleich einzulassen. Die schwere Kolonne, deren Backen und Bauch am Hofpol wie Wasser im Frost konvex geworden waren, erwartete den Feind auf dem Fußboden und hielt die Hüften-Bajonette vor. – Das Bedientenvolks-Aufgebot rannte aufgebracht umher, die meisten schlugen mit der Fahne der Serviette, womit sie den Teller gehalten, nach den fliegenden Corps, wenige mit den breitgedrückten Halbpfündern von Tellern. – Bloß ihr Chef, der alte ernste, hinter Stühlen grau gewordene Haushofmeister, stand vom Schrecken halb erwürgt und von seinem Verstande verlassen da und versuchte gegen beide Unglücksvögel einige schwache Luftstreiche mit dem Säbel des Trenchiermessers, die man jedoch als Kommandoschwenkungen auf der vorteilhaftem