Der behauste Mensch. Kurt E. BeckerЧитать онлайн книгу.
mit dem karthagischen Gewölbe überlastete Verlängerung ist; in den neueren Zeiten trat an Stelle des romanischen der gotische Baustil. Und wenn wir diese drei Stilreihen trennen, so finden wir an den drei ältern Schwestern – der Baukunst der Hindus, der ägyptischen und der römischen – dasselbe Symbol wieder, das heißt: die Priesterherrschaft, die Kaste, die Einheit, das Dogma, den Mythos, Gott; und was die drei jüngern Schwestern – die phönizische, griechische und gotische Baukunst – betrifft, so finden wir, wie groß übrigens die Formenverschiedenheit, welche ihrer Natur anhaftet, auch sein mag, gleichfalls die nämliche Bedeutung, das heißt: die Freiheit, das Volk, den Menschen.
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Victor-Marie Hugo, geboren am 26. Februar 1802 in Besançon, gestorben am 22. Mai 1885 in Paris, war Schriftsteller, Publizist und Politiker und gilt neben Molière, Voltaire und Balzac vielen Franzosen als ihr größter Autor überhaupt.
Architektur –
die am wenigsten geschätzte Kunst
Im Gespräch mit Ellen Key
Frau Key, von Ihren Zeitgenossen als »Kulturmenschen« hatten Sie keine allzu hohe Meinung. Ihr zum Teil äußerst negatives Urteil findet sich in allen Kunst- und Kulturbereichen – namentlich auch gegenüber der das Behaustsein prägenden Architektur. Nicht von ungefähr hatten Sie ja auch Ihr Wohnhaus selbst entworfen.
Key: Wenn man von dem Grenzgebiet der Kunst den Gedanken auf ihr großes Feld lenkt, so zeigt es sich, dass das ganze zeitgenössische Europa in ästhetischer Bildung so weit zurücksteht, dass die Kunst, die nicht bloß die am tiefsten in das tägliche Leben eingreifende ist, sondern auch die, welche während jeder starken Kunstblüte die natürliche Grundfeste der Skulptur und der Malerei war und im Ansehen ihnen ebenbürtig – nämlich die Architektur – jetzt die am wenigsten geschätzte ist.
Im Blick auf Stadtplanungsmaßnahmen etwa heißt das Ihrer Überzeugung nach in puncto der Wertschätzung der Architektur konkret was?
Key: Sie ist sogar derart vernachlässigt als Kunst, dass es Hauptstädte gibt, wie z. B. Stockholm, welche glauben, den Rat eines künstlerischen Architekten bei ihren Gebäudeanordnungen entbehren zu können, und in denen man, rücksichtslos gegen die Meinung der hervorragendsten Fachmänner, einzig dastehende Möglichkeiten zu schönen architektonischen Anordnungen zerstört; in denen man ein originelles Terrain zur Plattheit ebnet und wo dann ungebildete Baumeister den Raum mit einer »gefrorenen Musik« füllen, die Drehorgelmusik ist. Überall müssen die alten, stilvoll einfachen Landhäuser weichen, nicht dem edleren Geschmack einer neuen Zeit, nein, um einen Tummelplatz für das alles eher als dionysische Bacchanale der Stillosigkeit zu eröffnen, dessen Zug von den Städten hinaus in die Fluren führt. Auf keinem Gebiet entbehrt die Zeit so sehr eines eigentümlichen Ausdrucks ihres Lebens als auf dem der Architektur; auf keinem Gebiet wird die Bedeutung der schaffenden Phantasie mehr unterschätzt.
Das bedeutet im Umkehrschluss für gelungene Architektur in Gegenwart und Vergangenheit?
Key: Ein schöner Neubau wirkt in seiner jetzigen Umgebung auf uns ebenso fremd wie eine Apfelsine in einem Kartoffelland, während die Schöpfungen der Architektur in den vornehmen Zeiten der Kunst organisch aus den Lebensbedürfnissen der Gesellschaft hervorwuchsen. Wenn man die Kenntnissumme zum Bildungsexponenten macht, dann ist ein Zeitungsjunge unserer Tage »gebildet« im Verhältnis zu einem Bürger des Mittelalters oder der Antike. Aber auf welchem anderen kulturellen Niveau als die führenden Männer der Gegenwart befanden sich zum Beispiel die Athener, die willig die Ausgaben für die Bauwerke ihrer Stadt auf sich nahmen, als ihnen von Perikles die Wahl gestellt wurde, von den Kosten befreit zu werden, aber dann auch der Ehre des Werkes verlustig zu gehen; oder die Männer, die sich freuten, den gotischen Dom und das Rathaus in reizvollem Zauber sich über ihre eigenen Wohnstätten erheben zu sehen? Die Seele des antiken, des mittelalterlichen Bürgers erhob sich mit jedem Pfeiler, mit jeder Spitze der öffentlichen Gebäude der Stadt, die so zu tief wirkenden Bildungsmitteln wurden. Die Gegenwart führt die geistesärmsten Gebäude auf; ja selbst die Kirche, von der es doch heißt, sie repräsentiere die heiligsten Zwecke, wird gewöhnlich durch den wohlfeilsten Unternehmer erbaut, der die Bestellungen nach dem Preiscourant annimmt und sie im Dutzend ausführt!
Der Architekt als Künstler erfährt keine Beachtung, geschweige denn Anerkennung?
Key: Wenn ausnahmsweise wirkliche Künstler den Auftrag erhalten, eine öffentliche Arbeit auszuführen, so wird die Kunst noch so wenig geschätzt, dass, während man für Gegenwart und Nachwelt die Namen der Donatoren des Werkes eingräbt, die Künstler kaum genannt werden! »Sie sind ja bezahlt«, wie bei einem solchen Anlass bezeichnend geäußert wurde. Dass der Teil seiner Seele, den der Künstler in sein Werk gelegt hat, das Unschätzbare ist, das ist kein Gesichtspunkt für den Geldmann der Gegenwart. Der Börsenfürst hebt nicht – wie einer der gekrönten Männer der Renaissance – den Pinsel des Malers vom Boden auf, sondern er klopft ihm auf die Schulter und bietet ihm Zigaretten an. Er gibt selten dem Künstler Gelegenheit, sein Haus zu bauen oder zu dekorieren, aber er dekoriert seine Soiréen mit dem Künstler. Und in diesem für die Künstler zeittötenden Umgang lernt er selten etwas von der künstlerischen Lebensanschauung, aber er lernt gewisse Kunstausdrücke, die sich auf Ausstellungen gut machen.
Ich danke für das Gespräch.
Ellen Karolina Sophie Key, geboren am 11. Dezember 1849 auf Herrenhaus Sundsholm, Gemeinde Västervik, gestorben am 25. April 1926 in dem von ihr selbst entworfenen Haus »Strand« am Vätternsee bei Ödeshög, war eine schwedische Reformpädagogin und Schriftstellerin. 1896 erschien ihre Schrift »Missbrauchte Frauenkraft«. In dieser, 1898 auch ins Deutsche übersetzten Abhandlung äußerte sie die Auffassung, der natürliche Platz einer Frau sei das Haus und ihre einzige Berufung diejenige zur Mutterschaft.
Geplagte Sklaven der drei M
Im Gespräch mit Friedrich Nietzsche
Herr Professor Nietzsche, eine allzu hohe Meinung haben Sie nicht von den Architekten und Stadtplanern in Ihrer Zeit?!
Nietzsche: Ich gehe durch die neuen Straßen unserer Städte und denke, wie von allen diesen gräulichen Häusern, welche das Geschlecht der öffentlich Meinenden sich erbaut hat, in einem Jahrhundert nichts mehr steht und wie dann auch die Meinungen dieser Häuserbauer umgefallen sein werden. Wir haben uns über unser Dasein vor uns selbst zu verantworten; folglich wollen wir auch die wirklichen Steuermänner dieses Daseins abgeben und nicht zulassen, dass unsere Existenz einer gedankenlosen Zufälligkeit gleiche.
Woran mangelt es?
Nietzsche: Stille und Weite, weit gedehnte Orte zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen Hallengängen für schlechtes oder allzu sonniges Wetter, wohin kein Geräusch der Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein feinerer Anstand selbst dem Priester das laute Beten untersagen würde: Bauwerke und Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich-Besinnens und Beiseitegehens ausdrücken.
Ihr Ideal eines Gebäudes?
Nietzsche: An einem griechischen oder christlichen Gebäude bedeutet ursprünglich alles etwas, und zwar in Hinsicht auf eine höhere Ordnung der Dinge: Diese Stimmung einer unausschöpflichen Bedeutsamkeit lag um das Gebäude gleich einem zauberhaften Schleier. Schönheit kam nur nebenbei in das System hinein, ohne die Grundempfindung des Unheimlich-Erhabenen, des durch Götternähe und Magie Geweihten, wesentlich zu beeinträchtigen; Schönheit milderte höchstens das Grauen – aber dieses Grauen war überall die Voraussetzung. – Was ist uns jetzt die Schönheit eines Gebäudes? Dasselbe wie ein schönes Gesicht einer geistlosen Frau: etwas Maskenhaftes.
… das schöne Gesicht einer geistlosen Frau: Kommen wir zu Ihrem Urteil über die Menschen, die in Gebäuden und Städten wohnen und arbeiten?
Nietzsche: Die geplagten Sklaven der drei M, des Moments, der Meinungen und der Moden.
Wie wirkt dieses moderne Sklaventum?
Nietzsche: Die Einzelnen denken mit einer Hast und Ausschließlichkeit