Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Mark TwainЧитать онлайн книгу.
Witwe. Die hat’s gesagt.«
»Die Witwe, he? – Und wer hat der Witwe gesagt, sie soll ihre Nase in was reinstecken, was sie überhaupt nix angeht?«
»Niemand.«
»Also, der werd ich beibringen, sich einmischen! Und hörmal – mit der Schule da ist jetzt Schluss, verstanden? Ich werd den Leuten lernen, einen Jungen so erziehn, dass er sich vor seim eignen Vater aufspielt und so tut, wie wenn er was Bessres ist als er. Lammich dich ja nich erwischen, wenn du dich wieder um die Schule da rumtreibst, verstanden? Deine Mutter hat nich lesen und nich schreiben können, nix, bis sie gestorben ist. Keiner aus der Familie hat’s können, bis sie gestorben sind! Und ich auch nich. Ich bin nicht der Mann, der sich das gefallen lässt – verstanden? Sag mal – lammich mal hörn, wie du liest.«
Ich nahm ein Buch und fing mit was an über General Washington und die Kriege. Als ich so ne halbe Minute gelesen hatte, hat er mit der Hand aufs Buch geschlagen und es quer durch die Gegend geschmissen. Er sagt:
»Stimmt. Du kannst’s. Ich hatt noch so meine Zweifel. Jetzt hör mal zu: das mit dem Vornehmtun hört auf. Ich duld es nicht. Und ich werd dich abpassen, du Klugscheißer, und wenn ich dich bei der Schule da erwisch, dann versohl ich dich – und wie! Und auf einmal wirste auch noch fromm! So ’n Sohn hab ich noch kein erlebt.«
Er hob ein blau und gelbes Bildchen auf, mit ein paar Kühen und nem Jungen drauf, und fragt:
»Was issen das?«
»Das hab ich dafür gekriegt, weil ich gut gelernt habe.«
Zerrissen hat er’s und sagt:
»Ich geb dir was Bessres – ich geb dir ne Tracht Prügel!«
Eine Weile saß er da, hat gemurmelt und gebrummt, dann sagt er:
»Nee – so ein feiner Pinkel! ’n Bett, und Bettzeug, und ’n Spiegel, und ’n Teppich aufm Boden – und dein eigner Vater muss bei den Schweinen in der Gerberei schlafen! So ’n Sohn hab ich noch kein erlebt. Wetten, dass ich dir ’n paar von diesen Flausen wieder austreib, bevor wir mitnander fertig sind! Aber das ist ja noch nich mal alles von deinem großkotzigen Getue – se sagn, du bist reich. He? – Wie kommt das?«
»Sie lügen – daher kommt’s.«
»Nimm dich in Acht – überleg dir, was du sagst; ich lass mir allerhand gefallen – also werd nich patzig. Ich bin jetzt zwei Tage hier im Dorf und hab nix andres gehört als, wie reich du bist. Schon weiter unten am Fluss hab ich’s gehört. Deswegen bin ich gekommen. Bis morgen will ich das Geld sehn – ich brauch es.«
»Ich hab aber kein Geld mehr.«
»Lüg nicht. Der Richter Thatcher hat’s. Und du holst’s mir. Ich brauch es.«
»Ich hab kein Geld mehr, wenn ich’s dir sage. Frag den Richter Thatcher; der wird dir ’s gleiche sagen.«
»Gut. Ich frag ihn; und blechen soll er – oder ich erfahr den Grund. Sag mal, wieviel Geld hast du in der Tasche? Ich brauch es.«
»Bloß nen Dollar, und den brauch ich für –«
»Ist mir schnuppe, für was du den brauchst – raus damit!«
Er nahm ihn und biss drauf, um zu sehn, ob er echt war, und dann hat er gesagt, er geh jetzt ins Dorf Whisky holen; er hätt den ganzen Tag noch keinen Tropfen gehabt. Und als er schon auf dem Schuppen draußen war, hat er den Kopf nochmal reingestreckt und mich wegen meiner Vornehmtuerei verflucht und weil ich was Bessres sein wollt als er; und wie ich denk, jetzt ist er endlich weg, kommt er nochmal zurück und hat den Kopf nochmal reingestreckt und hat mir gedroht, ich soll mich bloß in Acht nehmen wegen der Schule, er stell mir nämlich nach und bleu mich durch, wenn ich’s nicht lasse.
Am nächsten Tag war er besoffen, und er ist zum Richter Thatcher und hat ihn drangsaliert und wollt ihn zwingen, dass er das Geld rausrückt, aber gekriegt hat er’s nicht, und da hat er Stein und Bein geschworen, dass er ihn durchs Gericht dazu zwingt.
Der Richter und die Witwe sind selber vor Gericht und haben verlangt, dass man mich meinem Vater wegnimmt und einen von ihnen zu meinem Vormund macht; aber grad war ein neuer Richter ins Amt gekommen, und der kannte den Alten nicht; und deswegen hat er gesagt, Gerichte dürfen sich nicht einmischen und Familien trennen, wenn’s vermeidbar ist; und er wollt ein Kind lieber nicht seinem Vater wegnehmen. Und so mussten der Richter Thatcher und die Witwe die Sache aufgeben.
Das gefiel dem Alten, und er gab jetzt keine Ruhe mehr. Er sagte, er würd mich verdreschen, bis ich grün und blau wär, wenn ich kein Geld für ihn auftreibe. Ich lieh mir drei Dollar vom Richter Thatcher, und Pap schnappte sie und ließ sich volllaufen, und dann ist er losgezogen, schnaubend und fluchend und grölend und tobend; und im ganzen Dorf hat er bis bald um Mitternacht auf nem Blechtopf rumgetrommelt; dann haben sie ihn eingesperrt und am andern Tag vor Gericht gestellt und ihn nochmal für ne Woche eingesperrt. Aber er sagte, er sei zufrieden: er sei der Herr von seinem Sohn, und dem wolle er schon noch einheizen.
Als er rauskam, sagte der neue Richter, er wollt wieder einen Menschen aus ihm machen. Er nahm ihn mit zu sich nach Haus, zog ihn sauber und ordentlich an, ließ ihn mit der Familie frühstücken und mittag- und abendessen und hat ihn überhaupt mit Samthandschuhen angefasst. Und nach dem Abendessen hat er ihm was über Mäßigkeit und lauter so Zeug erzählt, bis der Alte losheulte, er sei ein Narr gewesen und hab sein Leben vertan; aber jetzt wolle er ne neue Seite aufschlagen und ein Mensch werden, dessen sich niemand zu schämen braucht, und er hoffe, dass ihm der Richter dabei hilft und ihn nicht verachtet. Der Richter sagte, er könnt ihn umarmen für diese Worte; er weinte jetzt selber, und seine Frau auch; Pap sagte, er wär ein Mensch gewesen, der immer missverstanden worden sei, und der Richter sagte, er glaub ihm das. Und der Alte sagte, was ein Mensch braucht, der am Boden liegt, ist Mitgefühl; und der Richter meinte, so ist es; dann weinten sie wieder. Und als es Zeit zum Schlafengehen war, stand der Alte auf, hat seine Hand ausgestreckt und sagt:
»Seht sie euch an, ihr Herren und Damen alle; fasst sie nur an; schüttelt sie. Das war die Hand von einem Schwein; aber sie ist es jetzt nicht mehr; jetzt ist’s die Hand eines Menschen, der in ein neues Leben eingetreten ist und lieber sterben will als nochmal wortbrüchig werden. Merkt euch diese Worte – vergesst nicht, dass ich sie gesprochen habe! Es ist eine saubere Hand jetzt; schüttelt sie nur – habt keine Angst!«
Und so haben sie seine Hand geschüttelt, einer nach dem andern, alle reihum, und weinten. Und die Frau vom Richter, die hat sie sogar geküsst. Dann unterschrieb der Alte ein Gelöbnis – machte sein Krakel. Der Richter meinte, es wär der schönste Tag in seiner Erinnerung oder irgend so was. Dann haben sie den Alten ins Bett gesteckt in einem wunderschönen Zimmer, das nämlich ihr Gästezimmer war; und irgendwann in der Nacht hat ihn ein fürchterlicher Durst gepackt, und er ist aufs Verandadach rausgeklettert, an nem Pfosten runtergrutscht und hat seine neue Jacke gegen nen Krug Fusel eingetauscht, und dann ist er zurückgeklettert und hat sich volllaufen lassen; und gegen Morgen ist er stockbesoffen wieder rausgekrochen, von der Veranda runtergekugelt, hat sich an zwei Stellen den linken Arm gebrochen und war fast steif gefroren, als ihn jemand nach Sonnenaufgang fand. Und als sie in ihr Gästezimmer reinschauten, mussten sie erst mal Maß nehmen, bevor sie durchkamen.
Der Richter war ganz schön eingeschnappt. Man könnt den Alten vielleicht noch mit ner Schrotflinte bessern, sagte er, er jedenfalls wüsst keinen andern Weg.
Kapitel 6
Pap kämpft mit dem Todesengel
Schon bald war der Alte wieder auf den Beinen, und dann hat er den Richter Thatcher vor Gericht geschleppt, um ihn zu zwingen, dass er das Geld rausgibt, und mich hat er sich auch vorgenommen, weil ich die Schule nicht sein ließ. Ein paarmal hat er mich erwischt und versohlt, aber ich bin trotzdem weiter hin; meistens bin ich ihm ausgewichen oder vor ihm abgehauen. Ich bin vorher nicht grade gern in die Schule gegangen, aber jetzt, glaub ich, bin ich Pap zum Trotz hin. Sein Prozess kam nur mühsam voran; es schien, wie wenn sie