Der Nachsommer. Adalbert StifterЧитать онлайн книгу.
ist in dem Garten auf der Fütterungstenne“, sagte sie.
„Und wo ist die Fütterungstenne, wie du es nennst?“ fragte ich.
„Gleich hinter dem Hause und nicht weit von den Glashäusern“, erwiderte sie. Ich ging hinaus und schlug die Richtung gegen das Gewächshaus ein.
Vor demselben fand ich meinen Gastfreund auf einem Sandplatze. Es war derselbe Platz, von dem aus ich schon gestern das Gewächshaus mit seiner schmalen Seite und dem kleinen Schornsteine gesehen hatte. Diese Seite war mit Rosen bekleidet, daß das Haus wie ein zweites kleines Rosenhäuschen hervorsah. Mein Gastfreund war in einer seltsamen Beschäftigung begriffen. Eine Unzahl Vögel befand sich vor ihm auf der Sande. Er hatte eine Art von länglichem, geflochtenem Korbdeckel in der Hand und streuete aus demselben Futter unter die Vögel. Er schien sich daran zu ergötzen, wie sie pickten, sich überkletterten, überstürzten und kollerten, wie die gesättigten davonflogen und wieder neue herbeischwirrten. Ich erkannte es nun deutlich, daß außer den gewöhnlichen Gartenvögeln auch solche da waren, die mir sonst nur von tiefen und weitabgelegenen Wäldern bekannt waren. Sie erschienen gar nicht so scheu, als ich mit allem Rechte vermuten mußte. Sie trauten ihm vollkommen. Er stand wieder barhäuptig da, so daß es mir schien, daß er diese Sitte liebe, da er auch gestern auf dem Spaziergange seine so leichte Kopfbedeckung eingesteckt hatte. Seine Gestalt war vorgebeugt, und die schlichten, aber vollen weißen Haare hingen an seinen Schläfen herab. Sein Anzug war auch heute wieder sonderbar. Er hatte wie gestern eine Art Jacke an, die fast bis auf die Knie hinabreichte. Sie war weißlich, hatte jedoch über die Brust und den Rücken hinab einen rötlichbraunen Streifen, der fast einen halben Fuß breit war, als wäre die Jacke aus zwei Stoffen verfertigt worden, einem weißen und einem roten. Beide Stoffe aber zeigten ein hohes Alter; denn das Weiß war gelblichbraun und das Rot zu Purpurbraun geworden. Unter der Jacke sah eine unscheinbare Fußbekleidung hervor, die mit Schnallenschuhen endete.
Ich blieb hinter seinem Rücken in ziemlicher Entfernung stehen, um ihn nicht zu stören und die Vögel nicht zu verscheuchen.
Als er aber seinen Korb geleert hatte und seine Gäste fortgeflogen waren, trat ich näher. Er hatte sich eben umgewendet, um zurückzugehen, und da er mich erblickte, sagte er: „Seid Ihr schon ausgegangen? Ich hoffe, daß Ihr gut geschlafen habt.“
„Ja, ich habe sehr gut geschlafen“, erwiderte ich, „ich habe noch den Wind gehört, der sich gestern abend erhoben hat, was weiter geschehen ist, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß heute die Erde trocken ist und daß Ihr recht gehabt habet.“
„Ich glaube, daß nicht ein Tropfen auf diese Gegend vom Himmel gefallen ist“, antwortete er.
„Wie das Aussehen der Erde zeigt, glaube ich es auch“, erwiderte ich; „aber nun müßt Ihr mir auch wenigstens zum Teile sagen: woher Ihr dies so gewiß wissen konntet, und wie Ihr Euch diese Kenntnis erworben habt; denn das müßt Ihr zugestehen, daß sehr viele Zeichen gegen Euch waren.“
„Ich will Euch etwas sagen“, antwortete er, „die Darlegung der Sache, die Ihr da verlangt, dürfte etwas lang werden, da ich sie Euch, der sich mit Wissenschaften beschäftigt, doch nicht oberflächlich geben kann; versprecht mir, den heutigen Tag und die Nacht noch bei uns zuzubringen, da kann ich Euch nicht nur dieses sagen, sondern noch vieles andere, Ihr könnt Verschiedenes anschauen, und Ihr könnt mir von Eurer Wissenschaft erzählen.“
Dieses offen und freundlich gemachte Anerbieten konnte ich nicht ausschlagen, auch erlaubte mir meine Zeit recht gut, nicht nur einen, sondern mehrere Tage zu einer Nebenbeschäftigung zu verwenden. Ich gebrauchte daher die gewöhnliche Redeweise von Nichtlästigfallenwollen und sagte unter dieser Bedingung zu.
„Nun so geht mit mir zuerst zu einem Frühmahle, das ich mit Euch teilen will“, sagte er, „der Herr Pfarrer von Rohrberg hat uns schon vor Tagesanbruch verlassen, um zu rechter Zeit in seiner Kirche zu sein, und Gustav ist bereits zu seiner Arbeit gegangen.“
Mit diesen Worten wendeten wir uns auf den Rückweg zu dem Hause. Als wir dort angekommen waren, gab er das, was ich anfangs für einen Korbdeckel gehalten hatte, was aber ein eigens geflochtenes, sehr flaches und längliches Fütterungskörbchen war, einer Magd, daß sie es auf seinen Platz lege, und wir gingen in das Speisezimmer.
Während des Frühmahles sagte ich: „Ihr habt selbst davon gesprochen, daß ich hier Verschiedenes anschauen könne, wäre es denn zu unbescheiden, wenn ich bäte, von dem Hause und dessen Umgebung manches näher besehen zu dürfen? Es ist eine der lieblichsten Lagen, in der dieses Anwesen liegt, und ich habe bereits so vieles davon gesehen, was meine Aufmerksamkeit aufregte, daß der Wunsch natürlich ist, noch mehreres besehen zu dürfen.“
„Wenn es Euch Vergnügen macht, unser Haus und einiges Zubehör zu besehen“, antwortete er, „so kann das gleich nach dem Frühmahle geschehen, es wird nicht viele Zeit in Anspruch nehmen, da das Gebäude nicht so groß ist. Es wird sich dann auch das, was wir noch zu reden haben, natürlicher und verständlicher ergeben.“
„Ja freilich“, sagte ich, „macht es mir Vergnügen.“
Wir schritten also nach dem Frühmahle zu diesem Geschäfte.
Er führte mich über die Treppe, auf welcher die weiße Marmorgestalt stand, hinauf. Heute fiel statt des roten zerstreuten Lichtes der Kerzen und der Blitze von der vergangenen Nacht das stille weiße Tageslicht auf sie herab und machte die Schultern und das Haupt in sanftem Glanze sich erhellen. Nicht nur auf der Treppe war in diesem Stiegenhause von Marmor, sondern auch die Bekleidung der Seitenwände. Oben schloß gewölbtes Glas, das mit feinem Drahte überspannt war, die Räume. Als wir die Treppe erstiegen hatten, öffnete mein Gastfreund eine Tür, die der gegenüber war, die zu dem Gange der Gastzimmer führte. Die Tür ging in einen großen Saal. Auf der Schwelle, an der der Tuchstreifen, welcher über die Treppe emporlag, endete, standen wieder Filzschuhe. Da wir jeder ein Paar derselben angezogen hatten, gingen wir in den Saal. Er war eine Sammlung von Marmor. Der Fußboden war aus dem farbigsten Marmor zusammengestellt, der in unseren Gebirgen zu finden ist. Die Tafeln griffen so ineinander, daß eine Fuge kaum zu erblicken war, der Marmor war sehr fein geschliffen und geglättet, und die Farben waren so zusammengestellt, daß der Fußboden wie ein liebliches Bild zu betrachten war. Überdies glänzte und schimmerte er noch in dem Lichte, das bei den Fenstern hereinströmte. Die Seitenwände waren von einfachen sanften Farben. Ihr Sockel war mattgrün, die Haupttafeln hatten den lichtesten, fast weißen Marmor, den unsere Gebirge liefern, die Flachsäulen waren schwach rot, und die Simse, womit die Wände an die Decke stießen, waren wieder aus schwach Grünlich und Weiß zusammengestellt, durch welche ein Gelb wie schöne Goldleisten lief. Die Decke war blaßgrau und nicht von Marmor, nur in der Mitte derselben zeigte sich eine Zusammenstellung von roten Ammoniten, und aus derselben ging die Metallstange nieder, welche in vier Armen die vier dunkeln, fast schwarzen Marmorlampen trug, die bestimmt waren, in der Nacht diesen Raum beleuchten zu können. In dem Saale war kein Bild, kein Stuhl, kein Geräte, nur in den drei Wänden war jedesmal eine Tür aus schönem, dunklem Holze eingelegt, und in der vierten Wand befanden sich die drei Fenster, durch welche der Saal bei Tag beleuchtet wurde. Zwei davon standen offen, und zu dem Glanze des Marmors war der Saal auch mit Rosenduft erfüllt.
Ich drückte mein Wohlgefallen über die Einrichtung eines solchen Zimmers aus, den alten Mann, der mich begleitete, schien dieses Vergnügen zu erfreuen, er sprach aber nicht weiter darüber.
Aus diesem Saale führte er mich durch eine der Türen in eine Stube, deren Fenster in den Garten gingen.
„Das ist gewissermaßen mein Arbeitszimmer“, sagte er, „es hat außer am frühen Morgen nicht viel Sonne, ist daher im Sommer angenehm, ich lese gerne hier, oder schreibe, oder beschäftige mich sonst mit Dingen, die mir Anteil einflößen.“
Ich dachte mit Lebhaftigkeit, ich könnte sagen, mit einer Art Sehnsucht auf meinen Vater, da ich diese Stube betreten hatte. In ihr war nichts mehr von Marmor, sie war wie unsere gewöhnlichen Stuben; aber sie war mit altertümlichen Geräten eingerichtet, wie sie mein Vater hatte und liebte. Allein die Geräte erschienen mir so schön, daß ich glaubte, nie etwas ihnen Ähnliches gesehen zu haben. Ich unterrichtete meinen Gastfreund von der Eigenschaft meines