Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von HippoЧитать онлайн книгу.
im Stich und bleibt die Begierde im Körper kalt, während sie im Gemüte heiß entbrannt ist; und so versagt merkwürdigerweise nicht nur dem Zeugungswillen, sondern selbst der geilen Lust die Lust den Dienst, und während sie sich dem zügelnden Geist in ihrer Ganzheit meist widersetzt, teilt sie sich in der Richtung auf sich zuweilen selbst und bringt zwar das Gemüt in Erregung, wird aber sich selber untreu, wenn es sich um die körperliche Erregung handelt.
17. Die Nacktheit der ersten Menschen und die nach der Sünde eintretende Erkenntnis, daß man sich ihrer zu schämen habe.
Mit Recht schämt man sich dieser Lust in hohem Grade, mit Recht werden die Glieder, die von ihr nach eigenem Rechte sozusagen, nicht in allweg nach unserer Willkür in Erregung gesetzt werden oder nicht, Schamglieder genannt, was sie vor der Sünde der ersten Menschen nicht waren. Denn diese „waren“, wie geschrieben steht[132] , „nackt und schämten sich nicht“, nicht als wäre ihre Nacktheit eine unbewußte gewesen, aber schändlich war die Nacktheit noch nicht, weil die Lust noch nicht des Willens ungefragt jene Glieder erregte, das Fleisch noch nicht von dem Ungehorsam des Menschen Zeugnis gab in seiner Art durch Ungehorsam seinerseits. Sie waren ja nicht blind erschaffen, wie man in Volkskreisen annimmt; denn Adam sah doch die Tiere, denen er die Namen beilegte[133] , und vom Weibe heißt es ausdrücklich[134] : „Da sah das Weib, daß der Baum gut sei zur Speise und anzuschauen eine Augenweide“. Ihre Augen waren also offen, aber nach der Richtung waren sie nicht geöffnet, will sagen, darauf waren sie nicht gerichtet, daß sie es als Folge des Gnadenkleides erkannt hätten, wenn ihre Glieder von einer Widersetzlichkeit gegen den Willen nichts wußten. Als diese Gnade gewichen war, entstand, um den Ungehorsam mit gleicher Strafe zu züchtigen, in der körperlichen Regung etwas Neues, Unschamhaftes, infolgedessen die Nacktheit unanständig wurde, und dieses Neue erregte ihre Aufmerksamkeit und machte sie beschämt. In diesem Sinne heißt es von ihnen nach der Verletzung des Gebotes Gottes durch offene Übertretung[135] : „Da öffneten sich die Augen beider und sie merkten, daß sie nackt seien, und sie flochten Feigenblätter ineinander und machten sich Schürzen“. „Die Augen beider öffneten sich“, heißt es, aber nicht zum Sehen, sie sahen ja vorher auch, sondern zur Unterscheidung zwischen dem Gute, das sie verloren hatten, und dem Bösen, dem sie verfallen waren. Deshalb hat auch der Baum selbst, weil er diese Unterscheidung herbeiführen sollte, wenn er zum Zweck des Genießens davon wider das Verbot berührt würde, eben daher seine Benennung erhalten; er hieß der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Ist man einmal die Lästigkeit des Krankseins inne geworden, so springt andrerseits die Annehmlichkeit des Gesundseins um so mehr in die Augen. „Sie merkten also, daß sie nackt seien“, entblößt nämlich der Gnade, die bewirkte, daß ihre Nacktheit sie nicht beschämte, indem kein Gesetz der Sünde in Widerspruch trat zu ihrem Geiste[136] . Sie merkten also etwas, was ihnen glücklicher verborgen geblieben wäre, wenn sie, gläubig und gehorsam ihrem Gott, nicht etwas begangen hätten, was sie das Unheil inne werden ließ, das Unglaube und Ungehorsam anstiften. Beschämt nun durch den Ungehorsam ihres Fleisches als durch die ihren eigenen Ungehorsam bezeugende Strafe, „flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich «campestria», d. i. Schamgürtel. Manche Übersetzer gebrauchen in der Tat hier das Wort Gürtel. Nun ist freilich „campestria“ ein im Lateinischen übliches Wort, aber es leitet sich davon her, daß die jungen Männer, die auf dem campus nackt ihre Übungen machten, ihre Scham bedeckten; im Volksmund heißen daher also Umgürtete campestrati. Die Sittsamkeit also bedeckte züchtig das, was durch die Lust zum Ungehorsam aufgereizt wurde wider den ob seines Ungehorsams gestraften Willen. Daher ist es allen Völkern — alle sind sie ja aus jenem Stamm entsprossen — so sehr angeboren, die Scham zu verhüllen, daß man bei manchen Barbaren nicht einmal im Bade diese Körperteile entblößt, sondern sich mit deren Umhüllung badet. Und die Philosophen, die in den dichten Wildnissen Indiens nackt philosophieren und deshalb die Gymnosophisten heißen[137] , bedienen sich ebenfalls einer Bedeckung für ihre Scham, obwohl sie sonst ganz nackt sind.
18. Der Beischlaf ist ganz allgemein Gegenstand schamhaften Verhüllens, selbst auch der eheliche.
Was aber die Ausübung dieser Art von Lust betrifft, so meidet dabei die Lust die Öffentlichkeit, und zwar nicht etwa bloß bei strafbaren Schändlichkeiten aller Art, wo man die Verborgenheit aufsucht, um sich der gesetzlichen Strafe zu entziehen, sondern auch beim Umgang mit Dirnen, einer Schmach, die der irdische Staat zu einer erlaubten gemacht hat. Auch hier also, wo es sich um etwas handelt, was kein Strafgesetz dieses Staates ahndet, entzieht sich die verstattete und straffreie Lust doch dem Auge der Öffentlichkeit, und aus natürlichem Schamgefühl haben die schlechten Häuser Heimlichkeit vorgesehen, und wenn es auch der Unzucht gelang, die Fesseln des Verbotes zu sprengen, so ließ doch eine gewisse Züchtigkeit es nicht zu, die Verborgenheit des Schlupfwinkels aufzugeben für solche Schmach. Die Schändlichen selbst vielmehr nennen diese Schmach eine Schändlichkeit, und so sehr sie sie lieben, wagen sie doch nicht, öffentlich damit ans Tageslicht zu treten. Aber selbst das eheliche Beilager, das nach den Vorschriften der Ehegesetztafeln zur Gewinnung von Nachkommenschaft vollzogen wird, sucht nicht auch dieses, obwohl es erlaubt und ehrbar ist, die Heimlichkeit des zeugenlosen Schlafgemaches auf? Werden nicht alle Diener und sogar die Brautführer und wem sonst noch irgendein Geschäft den Zutritt gewährte, aus dem Gemache geschafft, bevor der Gatte die Gattin zu liebkosen beginnt? Und wenn alle guten Taten, wie ebenfalls ein gewisser „größter Meister der römischen Sprache“[138] sagt[139] , ans Licht gestellt, d. i. zur Kenntnis gebracht sein wollen, so gilt solches von dieser guten Tat doch nur mit Einschränkung: sie will zur Kenntnis gebracht sein, aber sie schämt sich, sich sehen zu lassen. Jeder hat Kenntnis davon, was zwischen Gatten vorgeht, um Kinder zu gewinnen; wird ja, damit dies vor sich gehen könne, mit so großer Feierlichkeit die Gattin heimgeführt; und doch läßt man, wenn das vor sich geht, was Kindern das Leben geben soll, nicht einmal etwa schon vorhandene Kinder der Ehe als Zeugen zu. So sehr eben diese gute Tat, um sich zur Kenntnis zu bringen, dem geistigen Auge sich aufdrängt, so ängstlich meidet sie das leibliche Auge. Warum? Weil das, was von Natur aus völlig in Ordnung ist, doch bei seinem Vollzug aus Strafe zugleich die Scham zur Begleiterin hat.
19. In dem gesunden Naturzustand vor der Sünde gab es die Seelenteile des Zornmuts und der Begehrlichkeit nicht, die sich im Menschen so sündhaft regen, daß man sie mit dem Zügel der Weisheit zurückhalten muß.
Daher haben auch unter den Philosophen die, die der Wahrheit am nächsten kommen[140] , den Zornmut und die Begehrlichkeit offen als fehlerhafte Teile der Seele erklärt, mit der Begründung, daß sie ungestüm und unordentlich auch nach Dingen sich regen, die die Weisheit zu vollbringen verbietet, weshalb sie des Verstandes und der Vernunft als Führers bedürften. Dieser dritte Teil der Seele throne sozusagen in einer Burg und leite von da aus die zwei anderen, so daß sich im Menschen durch die Herrschaft des einen und das dienende Verhalten der anderen die Gerechtigkeit in jedem Teil des Geistes aufrecht erhalten lasse. Diese Teile nun, die nach dem Geständnis der erwähnten Philosophen auch im weisen und sich selbst beherrschenden Menschen fehlerhaft sind, so daß der Geist sie durch Zucht und Niederhaltung zügeln und von Dingen, nach denen sie sich unrecht regen, abbringen muß und ihnen nur da freien Lauf gewähren darf, wo es sich um Dinge handelt, die das Gesetz der Weisheit verstattet[141] , diese Teile also waren im Paradiese vor der Sünde nicht fehlerhaft. Sie regten sich nicht nach irgend etwas im Widerspruch mit dem rechten Willen, so daß sie es nötig gemacht hätten, sie mit dem Zügel der Vernunft zurückzuhalten. Denn daß sie jetzt solche Strebungen haben und von denen, die ein Leben der Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit und Frömmigkeit führen, bald leichter, bald schwerer, immer aber doch eben nur durch Bändigung und Kampf in ihren Grenzen gehalten werden, ist selbstverständlich kein gesunder, von Natur aus gegebener Zustand, sondern ein von Schuld herrührender Schwächezustand. Wenn aber scheue Scham die Ausflüsse