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Die Erde. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Die Erde - Emile Zola


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nein“, murmelte er, „sie essen Mittag, das würde sie stören.“

      Aber Herr Charles, dessen Interesse durch den Platzregen geweckt war, erschien oben auf der Freitreppe unter der Markise; und da er sie erkannt hatte, rief er sie heran:

      „Kommt rein, kommt doch rein!“

      Da das Wasser von ihnen troff, rief er ihnen zu, sie sollten um das Haus herumgehen und in die Küche kommen, wo er sich zu ihnen gesellte. Er war ein glattrasierter stattlicher Mann von fünfundsechzig Jahren, mit schweren Lidern über den glanzlosen Augen, dem würdevollen und gelben Gesicht eines Gerichtsbeamten in Ruhestand. In dicken blauen Molton war er gekleidet, hatte pelzgefütterte Filzschuhe an und ein Pfaffenkäppchen auf, das er würdevoll trug, dieser tüchtige Kerl, der sein Leben mit heiklen, aber mit fester Hand geführten Geschäften verbracht hatte.

      Als Laure Fouan, die damals Schneiderin in Châteaudun war, Charles Badeuil geehelicht hatte, unterhielt dieser ein kleines Café in der Rue d’Angoulême. Von da aus war das ehrgeizige junge Paar, von dem Verlangen gequält, rasch zu Vermögen zu kommen, nach Chartres gezogen. Aber anfangs war ihnen dort nichts geglückt, alles verkam zwischen ihren Händen; sie versuchten es vergebens mit einer anderen Schenke, einem Restaurant, sogar mit einem Salzfischhandel; und sie verzweifelten, weil sie niemals einen Sou für sich hatten. Da kam Herr Charles, unternehmungslustig wie er war, auf den Einfall, eines der öffentlichen Häuser in der Rue aux Juifs zu kaufen, das infolge mangelhaften Personals und notorischer Schmutzigkeit völlig heruntergewirtschaftet war. Mit einem raschen Blick hatte er die Lage beurteilt, den Bedarf von Chartres, die Lücke, die in einer Departementshauptstadt zu füllen war, wo ein ehrenwertes Etablissement fehlte, in dem Sicherheit und Komfort auf der Höhe des modernen Fortschritts standen. Vom zweiten Jahre an war Nr. 19 – restauriert, mit Vorhängen und mit Spiegeln geschmückt, mit geschmackvoll ausgewähltem Personal versehen – tatsächlich so rühmlich bekannt geworden, daß die Anzahl der Damen auf sechs erhöht werden mußte. Die Herren Offiziere, die Herren Beamten, kurzum die ganze Gesellschaft ging nirgend anderswo mehr hin. Und dieser Erfolg hielt sich dank Herrn Charles’ stählernen Armen, seiner väterlichen und starken Verwaltung, während sich Frau Charles von ungewöhnlicher Rührigkeit zeigte, überall die Augen offenhielt, sich nichts entgehen ließ und gleichzeitig, wenn es sein mußte, die kleinen Diebstähle der reichen Kunden zu dulden wußte.

      In weniger als fünfundzwanzig Jahren sparten die Badeuils dreihunderttausend Francs; und sie gedachten alsdann, den Traum ihres Lebens zu erfüllen: ein idyllisches Alter in der freien Natur, mit Bäumen, Blumen, Vögeln. Aber was sie noch zwei Jahre zurückhielt, war die Tatsache, daß sie für Nr. 19 zu dem erhöhten Preis, den sie veranschlagten, keinen Käufer fanden. War das nicht herzzerreißend! Ein Etablissement, das sie aus dem Besten ihrer selbst geschaffen hatten, das mehr einbrachte als ein Pachthof und das man fremden Händen überlassen mußte, in denen es vielleicht verkam? Gleich bei seiner Ankunft in Chartres hatte Herr Charles eine Tochter bekommen, Estelle, die er zu den Schwestern von Mariä Heimsuchung nach Châteaudun brachte, als er sich in der Rue aux Juifs niederließ. Das war ein sittenstrenges, frommes Pensionat, in dem er das junge Mädchen bis zum achtzehnten Lebensjahre ließ, damit sie über ihre Unschuld nachsinne; und in den Ferien schickte er sie weit fort, daß sie sie in Unwissenheit über das Gewerbe verbringe, das sie reich machte. Und er holte sie erst an dem Tage aus dem Pensionat, da er sie mit einem jungen Angestellten vom Akzisenamt verheiratete, mit Hector Vaucogne, einem hübschen Burschen, der schöne Eigenschaften durch eine ungewöhnliche Faulheit verdarb. Und sie ging bereits auf die Dreißig, sie hatte ein kleines Mädchen von sieben Jahren mit Namen Elodie und wußte nun allmählich Bescheid; als sie jetzt erfuhr, daß ihr Vater sein Geschäft abgeben wollte, kam sie von selber und bat ihn um das Vorkaufsrecht. Warum sollte das Geschäft aus der Familie kommen, da es so sicher und so schön war? Alles wurde geregelt, die Vaucognes übernahmen das Etablissement, und die Badeuils hatten vom ersten Monat an die rührende Genugtuung, festzustellen, daß sich ihre allerdings in anderen Vorstellungen erzogene Tochter als eine überlegene Hausherrin offenbarte, was glücklicherweise die Schlappheit ihres Schwiegersohnes ausglich, der über keinerlei Verwaltungssinn verfügte. Sie hatten sich vor fünf Jahren nach Rognes zurückgezogen, von wo aus sie auf ihre Enkeltochter Elodie aufpaßten, die man nun, da sie an der Reihe war, ins Pensionat nach Châteaudun zu den Schwestern von Mariä Heimsuchung gebracht hatte, damit sie dort fromm nach den strengsten Grundsätzen der Moral erzogen werde.

      Als Herr Charles in die Küche trat, wo ein junges Dienstmädchen ein Omelett schlug und dabei auf eine Pfanne Lerchen aufpaßte, die in Butter brutzelten, nahmen alle, sogar der alte Fouan und Delhomme, die Kopfbedeckung ab und schienen außerordentlich geschmeichelt, die Hand zu drücken, die er ihnen hinstreckte.

      „Ach! Was für ein reizendes Besitztum haben Sie da, Herr Charles!“ sagte Grosbois, um ihm angenehm zu sein. „Und wenn man bedenkt, daß Sie einen Spottpreis dafür bezahlt haben! Ja, ja, Sie sind ein Schlauberger, ein richtiger Schlauberger!“

      Der andere warf sich in die Brust.

      „Eine Gelegenheit, ein Fund. Das hat uns gefallen, und außerdem legte meine Frau unbedingt Wert darauf, ihre Tage in ihrem Heimatort zu beschließen ... Ich, ich habe mich vor Herzensdingen immer gebeugt.“

      Roseblanche, wie man das Besitztum nannte, war die törichte Laune eines Bürgers aus Cloyes, der dafür fast fünfzigtausend Francs ausgegeben hatte, als ihn ein Schlaganfall dort zu Boden schmetterte, noch bevor der Anstrich getrocknet war. Das sehr schmucke, auf halbem Hang gelegene Haus war von einem drei Hektar großen Garten umgeben, der bis zum Aigre hinabreichte. Hier hinten in diesem verlorenen Nest am Rande der traurigen Beauce hatte sich kein Käufer gefunden, und Herr Charles hatte das Anwesen für zwanzigtausend Francs bekommen. Selig befriedigte er dort alle seine Neigungen: im Fluß gefangene prachtvolle Forellen und Aale, mit Liebe angelegte Sammlungen von Rosenstöcken und Nelken, Vögel schließlich, ein großes Vogelhaus voll von den Singvogelarten unserer Wälder, die niemand außer ihm pflegen durfte. Das gealterte und zärtliche Ehepaar verzehrte dort seine zwölftausend Francs Jahreszinsen in vollkommenem Glück, das es als rechtmäßige Belohnung seiner dreißig Jahre Arbeit ansah.

      „Nicht wahr?“ fügte Herr Charles hinzu. „Man weiß hier wenigstens, wer wir sind.“

      „Zweifellos kennt man Sie“, antwortete der Landvermesser. „Ihr Geld spricht für Sie.“

      Und die anderen stimmten zu.

      „Gewiß, gewiß.“

      Da trug Herr Charles der Magd auf, Gläser zu reichen. Er selber ging hinunter, um zwei Flaschen Wein aus dem Keller zu holen. Die Nase der Bratpfanne zugewandt, in der die Lerchen schmurgelten, schnupperten die anderen den guten Duft. Und sie tranken ernst und genießerisch.

      „Ach! Donnerwetter! Der hier, der ist nicht aus der Gegend! – Famos!“

      „Noch einen Schluck ... Zum Wohl!“

      „Zum Wohl!“

      Als sie ihre Gläser wieder hinstellten, erschien Frau Charles, eine zweiundsechzigjährige Dame von ehrwürdigem Aussehen, mit schneeweißem in der Mitte gescheiteltem, in breiten Strähnen über die Schläfen gekämmtem Haar, die die schwerfällige Maske mit der großen Nase der Fouans hatte, die aber von rosiger Blässe war, klösterlichen Frieden und Sanftmut atmete, mit der Haut einer alten Nonne, die im Schatten gelebt hatte. Gleich hinter ihr kam ihre Enkeltochter Elodie, die zwei Ferientage in Rognes verbrachte und sich verstört in ihrer linkischen Schüchternheit an sie schmiegte. Sie war von Bleichsucht verzehrt, zu groß für ihre zwölf Jahre, hatte bei ihrer Blutarmut eine weiche und aufgedunsene Häßlichkeit, wenige und farblose Haare; durch ihre Erziehung zu einer unschuldigen Jungfrau war sie übrigens so gehemmt, daß sie dadurch einfältig geworden war.

      „Sieh mal einer an! Ihr seid da?“ sagte Frau Charles und drückte die Hände ihres Bruders und ihres Neffen langsam und würdevoll, um den Abstand zu betonen. Und sich umdrehend, sagte sie, ohne sich weiter mit den Männern zu befassen: „Treten Sie ein, treten Sie ein, Herr Patoir ... Das Tier ist hier.“

      Es war der Tierarzt aus Cloyes, ein kleiner dicker, sanguinischer, rötlichblauer Mann mit einem Feldwebelgesicht und starken Schnurrbartenden.


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