Faithless Love. Jana ReedsЧитать онлайн книгу.
vermute ja eher, das hat etwas mit den geschätzten drei Litern Sangria zu tun, die du dir gestern Abend reingepfiffen hast.“
Allein bei dem Wort Sangria machte mein Magen schon einen unangenehmen Hüpfer. Ich zuckte nur mit den Schultern. Was sollte ich auch sagen? Carlos war dabei gewesen, er wusste also über den gestrigen Abend genau Bescheid.
„Na ja, tröste dich“, fügte er hinzu. „Es war eine echt coole Party!“
„Danke!“, murmelte ich und schloss kurz die Augen. Ja, er hatte recht. Die Party war wirklich cool gewesen. Ausgelassen hatten wir bis spät in die Nacht gefeiert. Im Nachhinein war es sicher nicht die beste Idee gewesen, meinen Geburtstag zu feiern, wenn ich am nächsten Tag arbeiten musste. Aber es konnte ja niemand ahnen, dass das Ganze derart aus dem Ruder laufen würde. Ein kleiner Umtrunk mit ein paar Freunden, Tapas und Sangria – mehr hatte es nicht werden sollen. Doch dann hatte irgendjemand die alten CDs meiner Jugend gefunden und auf einmal wurde aus dem gemütlichen Sit-in eine wilde Party, und wir alle tanzten und grölten die alten Lieder, bis die Sonne schon fast wieder aufging. Und ich bekam gerade die Quittung dafür …
Seufzend griff ich nach der ersten Fallakte und vertiefte mich darin, einen Bericht zu verfassen. Gar nicht so leicht, mit einem solchen Kater vernünftige Sätze zu formulieren, stellte ich fest. Vielleicht sollte ich mich krankmelden und nach Hause gehen. Mich auf meine Dachterrasse in die Sonne legen und meinen unerwünschten Gast ausbrennen.
O ja … das wäre jetzt perfekt!
Zwei Stunden später saß ich gerade an dem dritten Bericht, als Leon, der die Rettungszentrale besetzte, hereinkam, sein Headset-Mikro zuhielt und rief: „Leute, Einsatz. Mann über Bord.“ Dann hielt er einen Zettel mit den Koordinaten hoch. Carlos war als Erster bei ihm und nahm das Papier an sich.
„Schon wieder Migranten?“, fragte Paco und klang bereits ziemlich genervt.
„Ich gebe euch gleich alle Infos über Funk durch“, erwiderte Leon. Wir schnappten uns unsere Notfalltaschen und stürmten aus der Wache zum Anleger.
Die weißen Boote mit der Aufschrift „Guardia Civil“ schaukelten sanft auf den Wellen. Das Sonnenlicht ließ sie funkeln wie Perlen. Der Anblick war so friedlich. Jedes Mal fühlte es sich wie ein krasser Widerspruch an, dass diese schönen Schiffe, die so gemütlich am Pier vor sich hin dümpelten, im nächsten Augenblick mit knapp fünfzig Knoten über das Meer schossen, um Menschenleben zu retten oder Verbrecher zu verfolgen. Ich fühlte den Stolz in mir, der Grup Servicio Marítimo – der SEMAR – anzugehören. Seit meiner Kindheit hatte ich davon geträumt, die Uniform der Küstenwache tragen zu dürfen, und mir diesen Traum zu erfüllen, hatte mich viel gekostet. Ich musste eine innere Stärke finden, von der ich nie gedacht hätte, sie zu besitzen.
„Ey, es ist immer dasselbe. Die wollen doch gar nicht hierher. Wir dürfen jetzt wieder diese Scheißflüchtlinge aus dem Wasser fischen, haben die ganze Arbeit und riskieren unser eigenes Leben – und anstatt auch nur ein bisschen Dankbarkeit zu zeigen, hauen sie ab, weil sie eh alle nur nach Deutschland wollen“, motzte Paco, während wir an Bord gingen.
„Halt die Fresse und setz dich!“, stutzte Carlos ihn zurecht und startete den Motor.
Ich kochte bei Pacos Worten innerlich – die Flüchtlinge, die in den letzten Monaten zu Hunderten bei uns landeten, waren ein ewiges Streitthema zwischen uns. Mir taten die armen Menschen leid, ich wollte sie alle aufnehmen und ihnen helfen, sich ein besseres und vor allem sicheres Leben aufzubauen. Sie kamen aus Kriegsgebieten, in denen Zustände herrschten, die wir uns nicht einmal in unseren schlimmsten Albträumen vorstellen konnten. Doch Paco würde sie am liebsten ersaufen lassen. Er hielt es nicht für unsere Aufgabe und meinte, sie kämen nur, um in Europa Geld durch Sozialleistungen abzugreifen und sich davon ein schönes Leben zu machen.
Ich schwieg, während wir aus dem Hafen fuhren, dann gab Carlos Gas und wir flogen regelrecht über die Wellen dahin. Normalerweise war ich absolut seefest, nicht einmal der schlimmste Sturm konnte mir etwas anhaben. Doch heute spürte ich die geringste Welle direkt in meinem Magen. Ich konnte nur hoffen, dass mein Kater Mitleid gelten ließ. Wenn ich mich hier vor meinen Kollegen erbrach, würden sie innerhalb weniger Minuten jedes bisschen Respekt vor mir verlieren. Respekt, den ich mir in den letzten Jahren hart erarbeiten musste. Zu hart, um ihn einfach so wegen zu viel Alkohol aufs Spiel zu setzen.
„Ist alles okay?“, fragte Carlos und schaute mich von der Seite her an. Ich saß neben ihm und starrte stur nach vorn auf den Horizont, anstatt mich wie sonst mit ihm zu unterhalten.
„Ja, klar, alles okay“, gab ich zurück und atmete tief in den Bauch. Als ein sonores Schnarren erklang und Leons Stimme ertönte, griff ich nach dem Funkgerät.
„Alter, ihr werdet es nicht glauben!“, sagte er.
„Was? Wie viele sind es denn diesmal?“, fragte Paco hinter mir. Ich warf ihm einen wütenden Blick über die Schulter zu und fuhr mit meinen Fingern in einer eindeutigen Geste an meinem Hals entlang, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Nichts da! Keine Flüchtlinge. Ein reicher Ami und seine Crew wurden von Piraten gekapert. Es gab wohl einen Kampf, weil die sich gewehrt haben, und dabei ist einer über Bord gegangen. Juan Alvarez. Er hat eine Bauchschusswunde und müsste seit ungefähr einer Stunde im Wasser sein. Die Koordinaten sind die, wo das Schiff zu dem Zeitpunkt war. Es ist eine großräumige Suche veranlasst und weitere Boote sind unterwegs.“
„Verarschst du uns? Piraten? Hier? Nicht dein Ernst, oder?“, fragte Carlos ungläubig. Wir schauten uns an, mein Magen war vergessen, als das Adrenalin durch meine Adern schoss.
„Echt, ohne Scheiß! Da war von irgendwelchen Tauchern die Rede, keine Ahnung, was die Piraten bei denen gesucht haben.“
Carlos warf mir einen alarmierten Blick zu und schob den Gashebel noch ein wenig höher. Das Boot machte einen Satz. Ich schaute ihn von der Seite an, seine Wangen wirkten zum Zerreißen gespannt, die Kiefer mahlten aufeinander, während er das Boot sicher über die Wellen steuerte. Ich konnte es noch immer nicht so recht glauben, versuchte, die Infos zu verarbeiten.
Angeschossen und seit einer Stunde im Wasser.
Hoffentlich fanden wir ihn.
Lebend.
2
Juan
Schwarze Haare. Grüne Augen. In diesem Türkis, wie man es nur in der Karibik sieht. Volle, rote Lippen. Eine gerunzelte Stirn. Ein prüfender Blick.
„Er ist wieder da“, sagte sie an einen Typen gerichtet, dessen Umrisse ich hinter ihrem Körper sehen konnte. Ich hörte seine Antwort nicht, weil ich anfing, zu husten.
Ich hustete mir meine verdammte Lunge aus dem Leib. Versuchte, ächzend und keuchend damit aufzuhören, denn es zerriss mich innerlich.
Überall Schmerz.
Nichts als stechender, pochender Schmerz.
Gut, dass mich die Dunkelheit wieder umhüllte, in ihre schützenden Arme nahm und von dort wegholte.
War ja klar. Jeder, absolut jeder, der aus einer Ohnmacht erwachte, berichtete von einem engelsgleichen Wesen, das sich über ihn beugte. Und ich?
Ich konnte mich sehr gut daran erinnern, dass ich mit ein paar schallenden Ohrfeigen zurückgeholt wurde. Als ich die Augen öffnete, sah ich sie. Dunkle Haare. Türkisgrüne Iriden. Ich wusste sogar noch, dass ich ziemlich benommen gewesen war, null Orientierung hatte und nicht wusste, warum sich diese Frau über mich beugte, die mir zuvor ins Gesicht geschlagen hatte.
Ihr Gesicht, von pechschwarzen Haaren umrahmt, war auf jeden Fall ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass es sich bei ihr nicht um einen Engel gehandelt hatte.
Kein Wunder. Bei mir würde der liebe Gott wahrscheinlich eher den Teufel schicken – oder eine seiner Gehilfinnen. Ich drehte den Kopf, um zu überprüfen, ob meine Erinnerung