Bekenntnisse. Augustinus von HippoЧитать онлайн книгу.
wie ich es von meinen leiblichen Eltern erfahren habe, durch die du mich in der Zeit gebildet hast - denn ich selbst weiß es nicht. Es hat sich meiner angenommen die erquickende Muttermilch; doch haben sich nicht etwa meine Mutter oder meine Ammen die Brüste angefüllt, sondern du, o Herr, gabst mir durch sie die Nahrung der Säuglinge gemäß deiner Einrichtung und dem Reichtume, den du bis in den Grund aller Dinge verstreut hast. Du auch verliehest mir, daß ich nicht mehr wollte, als du gabst, und meinen Ernährerinnen, daß sie mir gern gaben, was du ihnen gegeben; denn nur aus eingepflanzter Zuneigung heraus wollten sie von dem Überflusse, den sie durch dich hatten, mir geben. Zum Gute nämlich wurde ihnen, was mir von ihnen zugute kam, in Wirklichkeit aber nicht von ihnen stammte, sondern nur durch sie mir gereicht wurde. Stammt doch von dir alles Gute, mein Gott, und von meinem Gotte all mein Heil. Später erst habe ich diese Wahrheit erfahren, als du sie mir zuriefst durch all die Gnaden, die du Leib und Seele erweisest. Damals verstand ich nämlich nur zu saugen und mich zu beruhigen, wenn es meinem Körper gut ging, zu weinen aber, wenn er Schmerz empfand, - sonst nichts.
Danach begann ich auch zu lächeln, zuerst im Schlafe, später auch im Wachen. So hat man mir nämlich von mir erzählt, und ich glaube es, weil wir es ja an anderen Kindern genau so sehen; auf mich selbst kann ich mich nicht erinnern. Dann empfand ich allmählich, wo ich war, und wollte meine Wünsche denen kund tun, die sie erfüllen konnten; aber ich konnte es nicht, weil meine Wünsche in meiner Seele waren, jene Personen aber draußen und mit keinem ihrer Sinne in meine Seele eindringen konnten. So setzte ich meine Glieder und meine Stimme in Tätigkeit, indem ich Zeichen gab, um meine Wünsche anzudeuten, nur wenige, und so gut es gerade ging; denn der Wirklichkeit entsprachen sie nicht. Und wenn man mir nicht zu Willen war, entweder weil man mich nicht verstand oder mir nicht schaden wollte, dann war ich sehr unwillig, daß die Großen mir nicht untertan sein, die Freien mir nicht gehorchen wollten, und ich rächte mich an ihnen durch Weinen, So waren die Kinder, die ich kennen zu lernen Gelegenheit hatte, und daß auch ich so gewesen bin, haben sie unbewußt mir besser dargetan als meine kundigen Erzieher.
Und siehe, schon lange ist meine Kindheit gestorben, ich aber lebe. Du aber, o Herr, der du immer lebst und in dem nichts stirbt, da du ja vor dem Anbeginn der Geschlechter und vor jedem nur denkbaren Uranfange der Zeit existierst und Gott bist und der Herr von allem, was du erschaffen hast, da in dir die Ursachen all der unbeständigen Dinge bestehen, in dir aller wandelbaren Dinge unwandelbare Urgründe ruhen, in dir aller vernunftlosen und zeitlichen Dinge ewige Ideen leben, - so sage mir auf meine kniefälligen Bitten, mein Gott, sage, Erbarmer, deinem Knecht: ist meine Kindheit erst einem anderen entschwundenen Lebensalter gefolgt? Ist es etwa jenes, das ich im Leibe meiner Mutter zugebracht habe? Denn auch davon ist mir einiges mitgeteilt worden, wie ich ja auch selbst schwangere Frauen gesehen habe. Was aber war vor diesem Lebensabschnitte, meine Süßigkeit und mein Gott? War ich damals schon irgendwo und irgendwer? Denn niemanden habe ich, der mich darüber belehren könnte; nicht Vater und Mutter konnten es noch die Erfahrung anderer noch meine Erinnerung. Oder lächelst du über mich, wenn ich solche Fragen stelle, und heißest mich vielmehr, auf Grund der Dinge, die ich weiß, dich zu loben und zu bekennen?
So lobpreise ich dich, o Herr des Himmels und der Erde, und lobsinge dir für meinen Lebensanfang und meine mir unbewußte Kinderzeit; hast du doch den Menschen gegeben, von anderen aus Schlüsse auf sich selbst zu ziehen und sogar dem Zeugnisse schwacher Weiber vieles, soweit es ihn angeht, zu glauben. Denn auch in jener Zeit schon war ich und lebte ich, und schon am Ende des Säuglingsalters suchte ich nach Zeichen, durch welche ich anderen meine Empfindung geben wollte. Woher kam nun solch ein Lebewesen, wenn nicht von dir, o Herr? Oder kann jemand der Künstler und Bildner seines eigenen Lebens sein? Oder entspringt auch nur eine einzige Ader, durch die Sein und Leben uns zuströmt, anderswoher als von dir o Herr, der du uns schaffst, dem Sein und Leben nicht verschiedene Begriffe sind, weil für ihn höchstes Sein und höchstes Leben gleichbedeutend ist? Du bist ja der höchste und veränderst dich nicht; für dich geht nicht der heutige Tag vorüber, und doch vergeht er in dir, weil in dir alle Dinge ihr Ziel haben. Diese können nicht ihre Bahnen vorüberziehen, wenn du sie nicht umfaßtest, und weil „deiner Jahre kein Ende ist“16, so sind deine Jahre ein einziges Heute. Wie viele von unsren und unsrer Väter Tagen haben schon dein Heute durchlaufen und von ihm ihr Maß und ihre jeweilige Eigenart empfangen! So werden noch viele andere es durchlaufen und Maß und Eigenart von ihm empfangen. Du aber bist immer derselbe und wirst alles Morgige und darüber hinaus und alles Gestrige und weiter zurück heute tun, ja hast es bereits getan. Was kann ich dafür, wenn jemand das nicht einsieht? Doch freuen soll sich auch der, der spricht: „Was ist das?“17 Freue er sich auch so, und möge er lieber alles verlieren und dich finden als alles gewinnen und dich nicht finden.
7. Auch die erste Kindheit ist nicht frei von Sünde.
Erhöre mich, o Gott! Wehe über die Sünden der Menschen! Und so spricht ein Mensch, dessen du dich erbarmst, da du ihn zwar, nicht aber die Sünde in ihm geschaffen hast. Wer erinnert mich an die Sünden meiner Kindheit? Ist doch niemand vor dir frei von Sünde, nicht einmal das Kind, das erst einen Tag auf der Erde lebt. Wer ruft sie mir zurück? Doch wohl jedes kleine Menschenkind, an dem ich sehe, wessen ich mich von mir nicht erinnern kann. Worin bestand also damals meine Sünde? Etwa weil ich unter Tränen so heftig nach der Mutterbrust begehrte? Und in der Tat - wenn ich es nun täte und zwar nicht nach den Brüsten, wohl aber nach einer für mein fortgeschrittenes Alter passenden Speise heftig verlangte, man würde mich mit vollem Rechte auslachen und tadeln. Damals also tat ich Tadelnswertes; aber weil ich noch nicht auf die Stimme eines Tadlers merken konnte, durfte ich weder nach Brauch noch nach Vernunft getadelt werden. Denn mit den Jahren rotten wir schließlich selbst solche Unarten aus und legen sie ab. Und noch keinen habe ich gesehen, der mit Bewußtsein Gutes wegwürfe, wenn er etwas reinigen wollte. Oder war das auch gut in Anbetracht des Alters, weinend nach etwas zu begehren, was doch nur zum Schaden hätte gegeben werden können, sich heftig zu entrüsten über freie und erwachsene Menschen, wenn sie nicht zu Willen sein wollten, den Eltern und vielen anderen klügeren Leuten, wenn sie nicht auf einen bloßen Wink hin zu Willen waren, nach Möglichkeit schaden zu wollen, weil man eben einem Befehle, dessen Ausführung nur Verderben gebracht hätte, nicht gehorcht? Wenn nun auch die Schwäche der kindlichen Glieder keinen Schaden zufügen kann, so ist ihr Herz doch nicht von Schuld freizusprechen. Ich selbst habe einmal so ein neidisches Kind gesehen; es konnte noch nicht sprechen und sah doch schon blaß vor Neid mit bitterbösem Blick nach seinem Milchbruder. Wer kennt das nicht? Nun sagen freilich Mütter und Ammen, sie könnten es durch weiß Gott was für Mittel später wieder gutmachen. Jedenfalls kann doch von Unschuld gar keine Rede sein, wenn man, während der Strom der Muttermilch überreichlich fließt, den von der Teilnahme ausschließt, der ihrer im höchsten Maße bedarf und allein mit dieser Nahrung sein Leben fristen kann. Aber man läßt derlei nachsichtig hingehen, nicht als ob es gar nichts bedeutete oder geringfügig wäre, sondern weil es sich mit den Jahren von selbst verliert. Der Beweis dafür ist einfach: man läßt sich dergleichen nicht mehr ruhig gefallen, wenn man älter ist.
Du also, mein Gott und Herr, der du dem Kinde das Leben gabest und den Leib, den du, wie wir sehen mit vernünftigen Sinnen ausgerüstet, durch Glieder wohl zusammengefügt, mit einem schönen Äußeren geschmückt und für dessen Erhaltung in seiner Gesamtheit und Unversehrtheit du alles, was der Leben spendende Geist unternimmt, bestimmt hast, du heißest mich, dessentwegen dich loben, „dich bekennen und deinem Namen lobsingen, Allerhöchster“18. Denn du bist der allmächtige und gütige Gott, auch wenn du nur dieses allein getan hättest, was kein anderer tun kann denn du, Einziger, der jegliches Maß bestimmt, Schönster, der du alles schön gestaltest und alles nach deinem Gesetze ordnest. Diesen Abschnitt also meines Lebens, Herr, in dem gelebt zu haben ich selbst mich nicht erinnern kann, hinsichtlich dessen ich den Worten anderer Glauben schenken muß, den ich vermutlich wie viele andere Kinder verbracht habe - wiewohl das ein sehr zuverlässiger Schluß ist - diesen Abschnitt also möchte ich meinem Leben in dieser Zeitlichkeit nicht gern hinzuzählen. Denn die gleiche Finsternis völligen Vergessens umhüllt es wie das andere, das ich im Mutterleibe zugebracht habe. Wenn nun das Wort des Psalmisten gilt, „in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, und in Sünden hat meine Mutter mich in ihrem Schoße genährt“19, wo, ich flehe dich an, mein Gott, wo, o Herr, bin ich, dein Sklave, wo oder wann bin ich