Brentanos Märchen. Clemens BrentanoЧитать онлайн книгу.
und es war täglich ihr liebstes Geschäft, das junge Stämmchen zu begiessen und in die Sonne zu setzen und vor bösem Tau und rauhen Winden zu schützen. Das Myrtenreis wuchs zusehends unter ihren Händen und duftete ihnen Fried und Freude ins Herz.
Da kam einstens der Landesherr, Prinz Wetschwuth, in diese Gegend mit einigen Gelehrten, um neue Porzellanerde zu entdecken; denn es wurden in seiner Hauptstadt Porzellania so viele Häuser davon gebaut, dass diese Erde in Der Nähe der Stadt selten geworden war. Da er in die Wohnung des Töpfers eintrat, ihn um seinen Rat zu fragen, ward er bei dem Anblick des Myrtenbäumchens so durch dessen Schönheit hingewissen, dass er alles andere vergass und in lauter Verwunderung ausrief:;O wie lieblich, wie reizend ist diese Myrte! Ihr Anblick hat für mein Herz etwas ungemein Erquickendes, ich möchte immer in der Nähe dieses Baumes leben — nein, ich kann ihn nicht entbehren, ich muss ihn besitzen, und müsste ich ihn mit einem Auge erkaufen!“ Nach diesem Ausruf fragte er sogleich den Töpfer und seine Frau, was sie für die Myrte verlangten. Diese guten Leute erklärten auf die bescheidenste Weise, dass sie den Baum nicht verkaufen wollten, und dass er das Liebste sei, was sie auf Erden hätten. „Ach,“ sagte die Töpferin, „ich könnte nicht leben, wenn ich meine Myrte nicht vor mir sähe; ja, sie ist mir so lieb und wert, als wäre sie mein Kind, und kein Königreich nähme ich für diese meine Myrte.“ Da der Prinz Wetschwuth dies hörte, ward er sehr traurig und begab sich nach seinem Schlosse zurück. Seine Sehnsucht nach der Myrte war so gross, dass er in eine Krankheit fiel und das ganze Land um ihn bekümmert wurde. Da kamen Abgesandte zu dem Töpfer und seiner Frau und forderten sie auf, die Myrte dem Prinzen zu überlassen, damit er nicht vor Sehnsucht sterben möchte. Nach langen Unterhandlungen sagte die Frau: „Wenn er die Myrte nicht hat, so muss er sterben, und wenn wir die Myrte nicht haben, so können wir nicht leben. Will der Prinz nun die Myrte haben, so muss er uns auch mitnehmen, wir wollen sie ihm überbringen und ihn anflehen, dass er uns als treue Diener in sein Schloss aufnehme, damit wir die geliebte Myrte dann und wann sehen und uns an ihr erfreuen können.“ Das waren die Abgesandten zufrieden, sie schickten gleich einen Reiter in die Stadt mit der frohen Nachricht, die Myrte werde ankommen, der Prinz sollte Mut fassen. Nun stellte der Töpfer das Gefäss mit der Myrte auf eine Tragbahre, über welche die Frau ihre schönsten seidenen Tücher gebreitet hatte, und sie trugen beide, nachdem sie ihre Hütte verschlossen hatten, den geliebten Baum nach der Stadt, wohin sie von den Abgesandten begleitet wurden. Von der Stadt kam ihnen der Prinz selbst in einem Wagen entgegen und hatte ein goldenes Giesskännchen in der Hand, womit er die geliebte Myrte begoss, bei deren Anblick er sich sichtbar erholte. Vier weissgekleidete, mit Rosen geschmückte Jungfrauen kamen mit einem rotseidenen Traghimmel, unter welchem die Myrte nach dem Schloss getragen wurde. Kinder streuten Blumen, und alles Volk war froh und warf die Mützen in die Höhe. Nur neun Fräulein in der Stadt waren nicht bei der allgemeinen Freude zugegen, denn sie wünschten, dass die Myrte verdorren möchte, weil der Prinz, ehe er die Myrte gesehen hatte, sie oft besuchte und jede von ihnen gehofft hatte, einst Beherrscherin der Stadt Porzellania zu werden. Seit aber von der Myrte die Rede war, hatte er sich nicht mehr um sie bekümmert; drum waren sie auf den unschuldigen Baum so erbittert, dass sich an diesem Freudentage keine von ihnen erblicken liess. — Der Prinz liess die Myrte an das Fenster seiner Stube stellen und gab dem Töpfer und seiner Frau eine Wohnung im Schlossgarten, aus deren Fenster sie die Myrte immer erblicken konnten, womit die guten Leute dann auch wohl zufrieden waren.
Der Prinz war bald wieder ganz gesund; er pflegte den Baum mit einer unbeschreiblichen Liebe und Sorgfalt; auch wuchs dieser und breitete sich aus zu aller Freude. Einstens setzte sich der Prinz abends neben dem Baume auf sein Ruhebett. Alles war ruhig im Schloss, und et entschlummerte in tiefen Gedanken. Da nun die Nacht alles bedeckt hatte, hörte er ein wunderbares Säuseln in seinem Baum und erwachte und lauschte; da vernahm er eine leise Bewegung in seiner Stube herum, und ein süsser Duft breitete sich umher. Er war stille, stille und lauschte immer fort; endlich, da, es ihm wieder so wunderbar in der Myrte säuselte, begann er zu singen:
Sag, warum dies süsse Rauschen,
Meine wunderschöne Myrte,
O mein Baum, für den ich glühe?
Da sang eine liebliche leise Stimme wieder:
Dank will ich für Freundschaft tauschen
Meinem wunderguten Wirte,
Meinem Herrn, für den ich blühe!
Da war der Prinz über die Stimme so entzückt, dass es nicht auszusprechen ist; aber bald ward seine Freude noch viel grösser, denn er bemerkte, dass sich jemand auf den Schemel zu seinen Füssen setzte, und da er die Hand darnach ausstreckte, ergriff eine zarte Hand die seinige und führte sie an die Lippen eines Mundes, welcher sprach: „Mein teurer Herr und Prinz, frage nicht, wer ich bin; erlaube mir nur, dann und wann in der Stille der Nacht zu deinen Füssen zu sitzen und dir zu danken für die treue Pflege, welche du mir in der Myrte bewiesen; denn ich bin die Bewohnerin dieser Myrte; aber mein Dank für deine Zuneigung ist so gewachsen, dass er keinen Raum mehr in diesem Baume hatte, und so hat es mir der Himmel vergönnt, in menschlicher Gestalt dir manchmal nahe zu sein.“ Der Prinz war entzückt über diese Worte und pries sich unendlich glücklich durch dies Geschenk der Götter. Sie unterhielten sich einige Stunden, und sie sprach so weise und klug, dass er vor Begierde brannte, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen; das Myrtenfräulein aber sagte zu ihm: „Lasse mich erst ein kleines Lied singen, dann kannst du mich sehen“, und sie sang:
Säusle, liebe Myrte!
Wie still ist’s in der Welt!
Der Mond, der Sternenhirte
Auf klarem Himmelsfeld,
Treibt schon die Wolkenschafe
Zum Born des Lichtes hin:
Schlaf, mein Freund, o schlafe,
Bis ich wieder bei dir bin.
Dazu säuselte die Myrte, und die Wolken trieben so langsam am Himmel hin, und die Springbrunnen plätscherten so leise im Garten, und der Gesang war so sanft, dass der Prinz entschlief, und als er kaum nickte, erhob sich das Myrtenfräulein leise, leise vom Schemel und begab sich wieder in die Myrte.
Als der Prinz am Morgen erwachte, erblickte er den Schemel leer zu seinen Füssen, und er wusste nicht, ob das Myrtenfräulein wirklich bei ihm gewesen war, oder ob er nur geträumt habe; aber da er das Bäumchen ganz mit Blüten übersät sah, die in der Nacht aufgegangen waren, ward er der Erscheinung immer gewisser: nie ward die Nacht so sehnsüchtig erwartet als von ihm; er setzte sich schon gegen Abend auf sein Ruhebett und harrte. Endlich war die Sonne hinunter, es dämmerte, es ward Nacht. Die Myrte säuselte, und das Myrtenfräulein sass zu seinen Füssen und erzählte ihm so schöne Sachen, dass er nicht genug zuhören konnte; und als er sie wieder bat, Licht anzünden zu dürfen, sang sie ihm wieder ein Liedchen:
Säusle, liebe Myrte!
Und träum im Sternenschein!
Die Turteltaube girrte
Auch ihre Brut schon ein.
Still ziehn die Wolkenschafe
Zum Born des Lichtes hin,
Schlaf, mein Freund, o schlafe,
Bis ich wieder bei dir bin.
Da schlummerte der Prinz wieder ein und erwachte am Morgen wieder mit gleicher Überraschung und erwartete die Nacht wieder mit gleicher Sehnsucht. Aber es ging ihm auch diesmal wie in der ersten und zweiten Nacht; sie sang ihn immer in den Schlaf, wenn er sie zu sehen verlangte. Sieben Nächte ging dies so fort, während welchen sie ihm so vortreffliche Lehren über die Kunst zu regieren gab, dass seine Begierde, sie zu sehen, nur noch grösser ward. Er liess daher am andern Tage an die Decke seiner Stube ein seidenes Netz befestigen, welches er ganz leise niederlassen konnte, und so erwartete er die Nacht. Als das Myrtenfräulein wieder zu seinen Füssen sass und ihm die tiefsinnigsten Lehren über die Pflichten eines guten Fürsten gegeben hatte, wollte sie ihm wieder das Schlaflied singen aber er sprach zu ihr: „Heute will ich einmal singen“, und sie gab es nach vielen Bitten zu. Da sang er folgendes Liedchen:
Hörst du, wie die Brunnen rauschen?
Hörst