Mami Box 1 – Familienroman. Claudia TorweggeЧитать онлайн книгу.
schüttelte den Kopf, sie sah immer noch vor sich nieder.
»Das macht nichts.« Vera ging an den Kühlschrank, sie füllte Fruchtsaft mit Mineralwasser gemischt in hohe Gläser. »Das große Becken ist ja nicht überall tief, da kannst du plantschen, Laura. Wir kaufen dir unterwegs ein Badehöschen. Einen Ball nehmen wir auch mit.«
»Ich renn aber nicht rum bei der Knallhitze«, sagte Claus.
»Brauchst du ja auch nicht.« Heiter lächelte Vera in die Runde und stellte die Gläser auf den Tisch. Laura rührte ihres nicht an.
»Ich möchte jetzt lieber gehen«, flüsterte sie.
»Von mir aus kannst du gehen«, sagte Katrin patzig. So linkisch, wie die da stand, die rechte Schulter vorgeschoben, war es sicher nicht lustig mit der, die auf einmal wieder Laura hießt. Komischer Name, sowieso.
»Och«, machte Claus. So brauchte man ja auch nicht zu ihr zu sein, sie war doch noch klein und so dünn.
Vera überlegte. Sie spürte die Spannung, die in der Luft lag. Katrin war heute eine Kratzbürste, Claus saß über sein Glas gebeugt, das er mit beiden Händen umfaßt hielt, und sog daran. Sie würde erst einmal mit den beiden reden müssen, aber ohne Laura. Die Kleine, sie fühlte sich unbehaglich und überflüssig, und Vera verstand sie. Laura fand hier, in diesem Haus und bei ihr, die einzige wirkliche Geborgenheit ihres kleinen Lebens. Jetzt war plötzlich etwas Fremdes da, das sich gegen sie richtete und sie ängstigte. Sie fühlte sich unterlegen und abgewiesen.
»Es ist gut«, sagte Vera sehr ruhig, »du mußt nicht mitkommen, Laura. Ich bringe dich zurück. Morgen kannst du weiterschreiben.«
»Wieso morgen?« fragte Katrin. »Ist sie denn jetzt jeden Tag da?«
»Nein, du brauchst mich nicht zu fahren«, wisperte Laura. »Ich kann laufen. Das habe ich doch früher auch getan.«
Sie fuhr mit den Füßen in die hübschen roten Sandalen, die unter der Bank standen. Die waren auch neu, stellte Katrin bei sich fest.
»Es ist aber doch so heiß«, wandte Vera ein, doch da sagte Laura schon, und das kam ein bißchen erstickt heraus. »Wiedersehen«, und fort war sie.
Stille breitete sich aus. Unsicher sah Claus auf seine Tante. Katrin tat unschuldig und guckte in die Luft.
»Wenn ihr ausgetrunken habt, könnt ihr schon rausgehen«, sagte Vera. »Ich hole nur die Badesachen.«
»Sie ist sauer«, raunte Claus seiner Schwester mit einem bedeutungsvollen Blick zu. »Du warst aber auch frech zu der Laura.«
Katrin warf den Kopf zurück. »Ach, ich kann sie nicht leiden. Neulich sah sie doch aus wie ein Bettelkind.«
»Heute aber nicht«, sagte Claus, der einen Sinn für Gerechtigkeit hatte. Katrin zuckte die Schultern und schwieg verbissen.
»So, wir können!« Vera kam mit einer großen Badetasche und einer Liegematte. Beides verstaute sie im Gepäckraum ihres Wagens. Die Kinder stiegen ein, und sie fuhren los. Vera mußte an Laura denken, die jetzt in entgegengesetzter Richtung zu ihrem Waisenhaus zurücktrabte. Sie hatte ihre Nichte und ihren Neffen von Herzen gern, aber sie durften nicht glauben, daß sich alles nur um sie drehen mußte.
Nachdem sie ein paar Runden geschwommen hatten, ließen sie sich im Baumschatten nieder. »War doch super«, meinte Claus und biß in einen der knackigen Äpfel, die sich auch in der Badetasche befanden. Tante Vera dachte eben an alles.
»Hm«, meinte Katrin, »im Meer zu schwimmen ist bestimmt noch was ganz anderes.« Dabei dachte sie neidisch an Steffi, die jetzt an der Riviera war, direkt an der Küste. Es war schon eine himmelschreiende Ungerechtigkeit auf der Welt.
»Hör endlich auf zu maulen.« Claus knuffte sie leicht. »Hier, nimm auch einen Apfel.«
»Nein, danke«, sagte Katrin hoheitsvoll. »Ich hole mir nachher lieber ein Eis.«
»Haste denn Geld?« fragte Claus kauend.
»Klar. Ich geb ja nicht mein ganzes Taschengeld für doofe Comic-Hefte aus. Das machen nur dumme Jungs.«
»Mensch, Katrin, du bist aber heute echt verbiestert«, fuhr Claus auf.
»Hab auch allen Grund dazu«, murrte Katrin.
»So, findest du?« mischte Vera sich ein, die sich bis dahin die Kabbelei der Geschwister stillschweigend angehört hatte. »Dann hört mir jetzt mal gut zu, ich habe euch etwas zu sagen.« Sie wandte sich den beiden zu und sah sie mit einem ernsten Blick an.
Katrins Lider zuckten. »Kann mir’s schon denken, Tante Vera. Du bist sauer auf uns, weil die wegen uns weggelaufen ist, nicht? Weil die nämlich gemerkt hat, daß wir sie nicht dabeihaben wollten.«
»Die heißt Laura, Katrin, und ich verbiete dir, so abfällig über dieses kleine Mädchen zu reden. Laura ist ein Waisenkind, sie hat keinen Menschen mehr auf der Welt und lebt, solange sie denken kann, in einem großen düsteren Haus unter lauter Kindern, die auf diese oder jene Weise ebenso arm dran sind wie sie.«
»Echt?« fragte Claus erschrocken.
Vera nickte. »Mit Laura kann man nur Mitleid haben, deshalb hole ich sie manchmal nachmittags zu mir, und – das müßt ihr euch mal vorstellen, das ist das erste Mal in ihrem Leben, daß sie in einem wohnlichen Haus ist und daß jemand nett zu ihr ist.«
»Uij…« Claus zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Wir waren nicht nett zu ihr«, murmelte er kleinlaut und reuig.
»Das haben wir ja auch nicht gewußt, daß sie ein Waisenkind ist«, verteidigte sich Katrin. »Sie hat sich nur so komisch benommen. Gar nicht wie andere Kinder, die ich so kenne.«
»Sie fühlt sich eingeschüchtert von euch, ist das ein Wunder? Woher soll sie denn das Selbstbewußtsein haben, das schon kleine Kinder heutzutage zeigen, die in geordneten Verhältnissen und in einer Familie aufwachsen?«
»Ist ja wahr«, nickte Claus einsichtig. »Sie ist auch so dünn. Kriegt sie da nichts zu essen?«
»Doch, natürlich. Nur ist das nicht gerade üppig, denn es stehen nicht viele Mittel zur Verfügung für dieses Haus. Und Laura ist sowieso zart, sie ißt nur wie ein Spatz.«
»Vielleicht ißt sie auch nicht, weil sie viel traurig ist«, meinte Claus. »Ich mag auch nicht essen, wenn ich traurig bin, weil Mama mal wieder schlechte Laune hat.«
»Das sieht man dir aber nicht an«, bemerkte Katrin spottlustig.
Diesmal verzichtete Claus auf eine Erwiderung, zu sehr beschäftigte ihn doch das Schicksal des fremden Mädchens. »Sind die Eltern von Laura gestorben?« wollte er wissen.
»Was denn sonst, wenn sie doch ein Waisenkind ist«, fuhr Katrin dem jüngeren Bruder über den Mund.
»Über ihre Eltern ist nichts bekannt«, sagte Vera.
»Nichts? Gibt’s das auch?« Katrin zeigte sich nun doch beeindruckt.
»Laura ist wirklich total verloren auf der Welt«, bestätigte Vera.
Ringsumher war ein fröhliches Treiben, Lachen und Zurufe. Für die Frau und die beiden Kinder, die da im Schatten saßen, schien das alles im Moment seltsam ferngerückt. Nach einigem Schweigen sagte der Junge, der die Beine angezogen, die Arme darum und das Kinn auf die Knie gelegt hatte, ungewohnt nachdenklich: »Was haben wir’s da doch gut!«
»Ja, Claus, wenn ihr es nur einseht«, sagte seine Tante mit großem Ernst. »Ihr begehrt schon auf, wenn euch mal nicht jeder Wunsch erfüllt wird. Dabei gibt es andere, die überhaupt keine Wünsche haben dürfen, weil sie zu arm sind, in jeder Beziehung.«
»Aber das sind doch nur wenige«, behauptete Katrin. Sie dachte an ihre Schulfreundinnen, die auch alles bekamen, was sie nur wollten. Zumindest fast alles!
»Mehr als man denkt«, sagte Vera. »Wir wissen das nur nicht.«
Katrin stand auf, sie streckte sich in ihrem roten Badeanzug.