Mami Box 1 – Familienroman. Claudia TorweggeЧитать онлайн книгу.
dir eine Karte schreiben, hast du sie noch nicht bekommen?«
Noch ein paar Sätze hin und her, Vera wünschte ihrer Schwester eine gute Fahrt nach Paris und legte dann mit nicht ganz leichtem Herzen auf.
Jenny war aber doch keine leichtfertige Frau, die sich in ein Abenteuer stürzte! Damit versuchte sie sich zu beruhigen.
Sie luden Dieter, den Strohwitwer, am Donnerstag zum Mittagessen ein.
»Wann kommt deine Frau denn zurück?« erkundigte sich Edgar.
»Das wird noch ein paar Tage dauern«, antwortete er. »Marian will erst noch ein Bild vollenden, das Jenny mitnehmen soll. Er ist sehr produktiv. Ich kann nur froh sein, daß ich auf ihn aufmerksam geworden bin. Es ist ja auch mein Erfolg, wenn er sich hier durchsetzt. Dazu ist er auf dem besten Wege.«
Er nahm einen Schluck Wein und sah sehr selbstzufrieden aus.
Vera senkte den Kopf über ihren Teller. »Und Jenny wird sich freuen, einen unverhofften Kurzurlaub in Paris verbringen zu können.«
»Ja, es paßt ja auch ganz gut, wo die Kinder nicht da sind. Marian wird wohl nicht nur arbeiten. Er hat Gelegenheit, sich dafür zu revanchieren, daß Jenny sich hier für ihn Zeit genommen hat.«
»Vera und ich hatten den Eindruck«, warf Edgar lächelnd hin, »daß Jenny ganz angetan von dem jungen Mann war.«
»Er ist ja auch ein angenehmer Mensch«, gab Dieter Sasse unbefangen zurück. »Ohne die Allüren, die manche andere aufstrebende Künstler haben.«
Vera sah auf ihren Schwager, der ein kluger Mann war, hochgeschätzt in Fachkreisen. Nichts schien ihm ferner zu liegen, als seiner Frau auch nur im geringsten zu mißtrauen. Wolle Gott, daß er recht hatte!
Als er nach beendeter Mahlzeit ging, auch für Edgar wurde es wieder Zeit, sah er in der Diele einen hübschen leuchtendgelben Schultornister stehen. »Wozu braucht ihr den denn?« fragte er amüsiert und deutete darauf.
»Für unser Pflegekind«, sagte Vera heiter.
»Ihr habt ein Pflegekind? Davon weiß ich gar nichts.«
»Nicht direkt. Ich hole nur ab und zu ein kleines Mädchen aus einem Waisenhaus zu mir. Es kommt bald in die Schule, und dafür habe ich den gestern gekauft.«
»Du bist ein guter Mensch«, lächelte Dieter und drückte der Schwägerin verabschiedend die Hand.
*
Der Abendhimmel verdämmerte über den Dächern von Paris. Durch die hohe, zur Terrasse hin geöffnete Tür, kam ein Windhauch und strich über ihre bloße Haut. In der Wohnung, hoch droben auf dem Montmatre, war nichts weiter zu hören als die Atemzüge der beiden Menschen, die sich wie in einem Taumel gefunden hatten.
»Ich habe es gewußt«, sagte Vincent Marian nach einer Weile, die ihnen eine Ewigkeit dünkte, mit dunkler Stimme in die Stille hinein, »schon als wir uns beim ersten Mal begegneten, wußte ich, daß ich nicht an dir vorübergehen könnte.«
»Sprich nicht«, flüsterte Jenny. Sie bewegte sich ein wenig. »Hole mich nicht in die Wirklichkeit zurück.«
»Die Wirklichkeit sind wir beide, Geliebte, du und ich und nichts sonst.« Er beugte sich über sie, sah in ihr schönes Gesicht mit dem rotgeküßten Mund, den Augen, die tief und glänzend waren. Welcher Leidenschaft, welcher Hingabe war diese Frau fähig! »Ich möchte dich nie mehr verlieren, Jenny.«
Mit einem rätselhaften Ausdruck blickte sie an ihm vorbei, lange und schweigend. Da löste er sich von ihr und sprang auf.
»Jetzt gibt es Champagner!« verkündete er mit veränderter fröhlicher Stimme. »Heute bringe ich dich nicht mehr ins Hotel zurück.«
Es war ein Traum, draußen auf der Dachterrasse zu sitzen. Über das Gewirr der alten Häuser zu blicken und weiter, weithin über die Stadt zu ihren Füßen, mit den angestrahlten Gebäuden, Kathedralen und Palästen, den breiten Boulevards, über die in nicht enden wollenden Reihen die Autos rollten, Lichterketten gleich.
»Wird dir kühl, soll ich dir einen Schal holen?« fragte Vincent, denn Jenny hatte nur ein tief ausgeschnittenes Chiffonkleid an.
»Nein, danke, es ist ja noch Sommer.«
»Es wird immer Sommer sein, wenn wir zusammen sind.« Und er schenkte nochmals ein.
Später tanzten sie, tanzten im Mondenschein nach der Musik aus dem Kassettenrecorder, den Vincent auf den Tisch gestellt hatte.
»Da unten küssen sich auch zwei Verliebte«, lächelte Jenny und sah auf ein erleuchtetes Fenster im tiefer gelegenen Nachbarhaus, dahinter sich derer Silhouette abhob.
»Das ist eben so in meiner Stadt«, sagte Vincent.
»Du bist doch kein Franzose, darum ist es nicht ›deine‹ Stadt«, widersprach Jenny, um ihn zu necken.
»Sie ist es aber geworden, seit ich vor fünf Jahren hergezogen bin und mich zum Bleiben entschloß. Sonst hätte ich mir das Dachgeschoß nicht ausbauen lassen.«
Dies war auch ein altes Haus, Jenny hatte gestaunt, als sie mit dem knarrenden Aufzug nach oben gefahren waren und sie hineingingen. Da gab es zwei modern und großzügig gestaltete Wohnräume, die übrige Fläche war Atelier, ringsum verglast und mit einem Schiebedach, das den Blick zum Himmel freigab. Eine idealere Arbeitsstätte konnte es für einen Maler nicht geben. Nicht zuletzt entzückte sie die Freiterrasse über den Dächern.
Jenny legte den dunklen Kopf zurück und neigte ihn etwas schräg. »Und wie viele süße junge Mädchen haben im Laufe dieser fünf Jahre schon hier gewohnt?«
»Gewohnt? Keine. Ich bin nicht für Zusammenwohnen und auch nicht für süße junge Mädchen. Schau mich nicht so an, es ist wahr. Weißt du, daß du hinreißend aussiehst? Schön und geheimnisvoll wie eine Mondgöttin. Ich liebe dich…«
Vincent Marian sagte es Jenny noch hundertmal in diesen Tagen, sie konnte es nicht oft genug hören.
Wie sollte das denn ein Ende finden?
Aber die Tage, die Stunden waren nicht aufzuhalten. Sie mußte zurück.
»Das ist doch nicht das Ende«, sagte Vincent beschwörend in ihr bleiches Gesicht hinein, nachdem sie die Bilder in ihrem Wagen verstaut hatten und sie nun reisefertig war. »Wir werden uns wiedersehen, so oft du es nur ermöglichen kannst. Ich brauche dich. Mit dem Flugzeug bist du im Nu in Paris. Das ist leicht an einem Wochenende zu schaffen.«
»Ja«, sagte Jenny tonlos. »Adieu, Vincent.«
Ihr kam’s vor, als sei das eine andere, die da in den Wagen stieg und davonfuhr. Die wirkliche Jenny blieb bei dem Mann, der ihr ein neues Glück geschenkt hatte.
Dieter merkte nicht, was mit ihr geschehen war. Er freute sich nur, daß sie wieder da war und stellte fest: »Die paar Tage haben dir aber gutgetan, du siehst direkt verjüngt aus. Vielleicht solltest du öfter mal verreisen.« Das war nicht ernst gemeint. Er sagte es nur so dahin, leicht und mit einem kleinen Lächeln.
»Vielleicht werde ich das auch tun«, sagte Jenny.
Ihr Mann hörte das schon nicht mehr. Er begutachtete Marians Bilder und überlegte, wie er sie am besten placieren würde zwischen den anderen Gemälden. Nichts war ihm im Moment wichtiger als dies.
Vierzehn Tage später war es soweit, daß die Schulferien der Kinder sich dem Ende zuneigten. Philip Sasse telefonierte mit seinem Sohn.
»Dieter, könnte nicht einer von euch Katrin und Claus abholen? Ich möchte sie nicht gern allein auf den Weg schicken. Sie müssen immerhin zweimal umsteigen. Die Verantwortung will ich nicht übernehmen.«
»Jenny könnte das tun«, meinte Dieter. »Sie unternimmt doch gern mal etwas. Seit sie für mich in Paris war, um ein paar neue Bilder für die Ausstellung abzuholen, scheint sie Geschmack am Reisen gewonnen zu haben.«
»Sie kommt ja auch selten genug fort«, fand der alte Herr. »Ihr gönnt euch keine