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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Thomas MeyerЧитать онлайн книгу.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) - Thomas  Meyer


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von Umweltfaktoren, die eine regionale oder kollektive Häufung von ALS bedingen. Diese externen Faktoren konnten bisher nicht identifiziert werden. Auch ist bisher unklar, ob es sich bei den Berichten tatsächlich um regionale Häufungen oder vielmehr um statistische Phänomene handelt. Darunter ist zu verstehen, dass im Auftreten von Erkrankungen keine statistische »Gleichverteilung« besteht. Dieses Phänomen ist beim Würfelspiel zu beobachten – so kann eine Zahl für mehrere Durchgänge besonderes häufig oder sogar hintereinander gewürfelt wird, obwohl die Zahl auf dem Würfel nur einmal vorkommt. In gleicher Weise ist erklärbar, dass die Diagnose einer ALS mehrfach hintereinander in der gleichen Gruppe gestellt wird. Im Gegensatz zu statistischen Effekten (einer scheinbaren ALS-Häufung) ist zu vermuten, dass genetische Faktoren zu einer realen Häufung der ALS in bestimmten Regionen beitragen. So kann es in Regionen mit geringer genetischen »Durchmischung« (z. B. durch Abgeschiedenheit der Bevölkerung auf Inseln) zu einem erhöhten genetischen Risiko der ALS kommen. Die Insel Guam ist ein seltenes Beispiel für eine tatsächliche regionale Häufung der ALS. In den 1940er–1960er Jahren war eine komplexe neurologische Erkrankung mit Ähnlichkeiten zur ALS die häufigste Todesursache in einigen Dörfern der Insel Guam. Die Erkrankung war eine Kombination von ALS, Parkinson-Syndrom und Demenz. Sie wurde als Guam-ALS-Parkinson-Demenz-Komplex bezeichnet. Als Ursache der regionalen Häufung wurden ursprünglich bestimmte Toxine vermutet, die von der regionalen Bevölkerung mit der Nahrung (Produkte der Palmfarne) verzehrt werden. Der New Yorker Neurologe und Buchautor Oliver Sacks hat in einem Buch »Die Insel der Palmfarne« über die Häufung der ALS auf Guam und die damit verbundenen Hypothesen berichtet. Oliver Sacks hat durch sein Buch »Zeit des Erwachens«, (das sehr erfolgreich verfilmt wurde) eine große Bekanntheit erlangt. Die Toxin-Hypothese der ALS-Häufung auf Guam konnte bisher nicht bewiesen werden. Eine alternative Hypothese besteht darin, dass sich genetische Faktoren innerhalb der abgeschlossenen Bevölkerung auf Guam angereichert haben. Tatsächlich hat die Häufigkeit des ALS-Parkinson-Demenz-Komplex auf Guam dramatisch abgenommen. Dieser Effekt könnte sowohl mit einer genetischen Durchmischung (größere Zuwanderung auf Guam mit verändertem genetischem Hintergrund), aber auch durch veränderte Ernährungsgewohnheiten (Verminderung der Toxinbelastung) erklärt werden. Die starke Häufung der ALS-ähnlichen Erkrankung auf Guam ist ein medizin-historisches Phänomen, das in seiner Ursache bisher noch nicht vollständig aufgeklärt ist. In Deutschland und Europa sind vergleichbare regionale Häufungen nicht bekannt.

      15 Gibt es Häufigkeitsunterschiede der ALS in Deutschland?

      Innerhalb von Deutschland sind keine wesentlichen Häufigkeitsunterschiede z. B. ein Nord-Süd- oder Ost-West-Gefälle bekannt. Ein regionales Risiko im Sinne einer geografischen Häufung ist nicht vorhanden. Das erste systematische ALS-Register in Deutschland untersucht die Region »Schwaben« in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Hier zeigt sich, dass keine vollständige »Gleichverteilung« des ALS-Vorkommens besteht. So sind Kommunen mit einer größeren ALS-Häufigkeit dokumentiert, während andere Gemeinden (auch in unmittelbarer Nachbarschaft) eine geringere Häufigkeit aufweisen. Die Ursachen dafür sind noch weitgehend unverstanden. Außer einer statistischen Ungleichverteilung sind auch methodische Effekte zu diskutieren. Insgesamt sind diese regionalen und lokalen Unterschiede relativ gering.

      16 Gibt es in Deutschland ein ALS-Register?

      Ein bundesweites ALS-Register ist nicht vorhanden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ein lokales Register der Region »Schwaben« gefördert, das definierte Flächen der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg erfasst. Die Daten werden im Institut für Epidemiologie und der Klinik für Neurologie der Universität Ulm erfasst und ausgewertet. Weiterhin bestehen regionale Register in Nordrhein-Westfalen sowie in Rheinland-Pfalz, die jeweils von ALS-Zentren organisiert werden und ALS-Patienten der jeweiligen ALS-Ambulanz systematisch erfassen. Weitere Erkenntnisse werden durch Daten der Versorgungs- und Forschungsplattform »Ambulanzpartner« gewonnen, die nicht den formalen Status eines Registers trägt, aber mehr als 20 % aller ALS-Patienten in Deutschland in überregionaler Weise erfasst. Damit ist dieses Netzwerk die umfangreichste Datenerfassung für ALS-Erkrankungen in Deutschland. Auch im internationalen Vergleich sind bisher nur wenige ALS-Register etabliert. Allein in den Niederlanden ist eine nationale Erfassung aller ALS-Patienten bekannt. Die Erklärung liegt in der Zentralisierung des Gesundheitswesens und der Versorgungsstrukturen in den Niederlanden und der deutlich geringeren Bevölkerungszahl in dem genannten Land. Mit mehr als 100 gesetzlichen Krankenversicherungen, einer komplexen Struktur der Wissenschafts- und Versorgungslandschaft sowie der Selbstverwaltung von ärztlicher Versorgung ist in Deutschland eine Zentralisierung nach niederländischem Vorbild kaum realisierbar. In Deutschland liegt die Chance bei der Digitalisierung der Versorgungsprozesse in internet-basierten Strukturen, sodass auf diesem Weg eine Zusammenführung von Patientendaten möglich sein wird.

      17 Warum ist die ALS in Deutschland relativ unbekannt?

      Die ALS gehört mit zehn Betroffenen pro 100.000 Einwohner zu den häufigen Erkrankungen innerhalb der Gruppe der »seltenen Erkrankungen«. Trotz der relativen Häufigkeit ist die ALS in Deutschland recht unbekannt. Die geringe Bekanntheit der ALS ist mit den Besonderheiten der Erkrankung verknüpft: Aufgrund der Einschränkung in Mobilität und Kommunikationsfähigkeit ist es für die Betroffenen eine besondere Herausforderung, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Auch die Angehörigen der Betroffenen sind durch die pflegerische und psychosoziale Belastung nur mit großen Einschränkungen in der Lage, eine politische Arbeit zugunsten der ALS zu leisten. Die Anzahl der ALS-Neurologen ist in Deutschland ebenfalls sehr klein, sodass die von den ALS-Zentren ausgehende gesellschaftliche Aktivität für eine breite Aufmerksamkeit noch zu gering ist. Erst ab dem Jahr 2002 ist durch die Erkrankung des Künstlers Jörg Immendorff und des Fußball-Bundesligaprofis Krysztof Nowak (VfL Wolfsburg) die Erkrankung in die mediale Öffentlichkeit gerückt. Gemeinsam mit der Charité hat Jörg Immendorff die Öffentlichkeit gesucht, um in Charity-Aktionen, Talkshows und künstlerischen Aktionen auf die ALS aufmerksam zu machen. So unterstützte er im Jahr 2004 die Theaterproduktion »Theater ALS Krankheit«, die von Christoph Schlingensief an der Berliner Volksbühne inszeniert wurde und zu einer weiteren öffentlichen Wahrnehmung der ALS beigetragen hat. In den weiteren Jahren sind mehrere Fernseh- und Spielfilme entstanden, bei der die ALS ganz im Vordergrund stand: »Sterne leuchten auch am Tag« (2004), »Hin und weg« (2014) und »Herbert« (2016). Auch in internationalen Kino-Produktionen wurde die ALS mehrfach thematisiert: »Die Entdeckung der Unendlichkeit« (2014) und »Das Glück an meiner Seite« (2014). Durch die gesellschaftlichen Aktivitäten von Künstlern, Prominenten und Filmschaffenden ist es gelungen, die Wahrnehmung zugunsten der ALS in Deutschland deutlich zu erhöhen. Ein wichtiges Ereignis war im Sommer 2014 die internationale »Eiskübel-Aktion« (englisch: Ice Bucket Challenge). Es handelte sich um die bis dahin größte Spendenaktivität in sozialen Netzwerken, in der – ermöglicht durch »virale« Effekte des Internets – eine weltweite Spendensumme von mehr als 100 Millionen Euro aufgebracht werden konnte. Zugunsten der ALS-Ambulanz der Charité haben mehr als 34.000 Spender eine Gesamtsumme von 1,6 Millionen Euro gespendet. Neben den dringend erforderlichen Spenden wurde auch eine hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit in den traditionellen Medien (Fernsehen, Print-Medien) erreicht. Damit gehört die ALS zu den bekanntesten unter den seltenen Erkrankungen.

      III Fragen zur Diagnosestellung

      18 Wie sicher ist die Diagnose einer ALS?

      Die Diagnose einer ALS ist bei der Mehrheit der Betroffenen mit hoher Sicherheit zu stellen. Die Diagnose beruht auf der Anamnese (Arzt-Patienten-Gespräch zur Ermittlung der Krankengeschichte, aus der die genaue Abfolge der Symptome und Beschwerden hervorgeht), dem neurologischen Untersuchungsbefund (körperliche Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie) und der elektrophysiologischen Diagnostik (Elektroneurografie, image Frage 29 sowie Elektromyografie, image Frage 24).


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