Bullseye - Bull & Tiger. Monica JamesЧитать онлайн книгу.
mich auf einen Sitz im hinteren Bereich sinken. Ich sehe aus dem Fenster und frage mich, wo meine Eltern sind. Das Letzte, was ich von ihnen hörte, war, dass sie sich endlich scheiden ließen. Dad fand Trost bei einer Frau, die halb so alt war wie er. Und meine Mutter fand ihr ewiges Glück in verschreibungspflichtigen Tabletten.
Aber ich verurteile sie nicht. Verdammt, ich bin der Grund, dass ihr Leben so verkorkst ist. Bevor es passierte, waren wir eine große, glückliche Familie. Damian war der Goldjunge, aber ich war nicht eifersüchtig. Ich wünschte mir nur, ein halb so guter Mensch wie er zu werden.
Er war der Typ Mensch, der Älteren über die Straße half und sich um Vögel mit gebrochenen Flügeln kümmerte. Ich zog es vor, den Vogel von seinem Leid zu erlösen und über den alten Furz zu lachen, der über die Straße schlurfte. Wir waren so unterschiedlich, aber Damian verurteilte mich nie. Er liebte mich trotz meiner Fehler.
Mein Spiegelbild starrt mich aus dem schmutzigen Busfenster an, und ich sehe in meine nicht zusammenpassenden Augen und frage mich, ob mein Bruder mich heute noch lieben würde. Mit einem verächtlichen Schnauben schiebe ich diese Empfindungen beiseite, denn ich weiß, dass ich keine Liebe verdiene. Ich verdiene es, allein zu sein, so wie Damian.
Als der Bus an einer Haltestelle ein paar Blocks vom Pink Oyster entfernt stoppt, steige ich aus und gehe den Rest des Weges. Ich bin dankbar, dass Lotus etwas in mir sah, das ich nicht sehe. Ich erledige meinen Job unauffällig und halte mich aus allem raus, denn ich bin aus einem Grund hier. Als ich jedoch die Hintertür öffne und Andre mit einem der Mädchen reden sehe, weiß ich, dass es mir bei diesem Arschloch schwerfallen wird, mich aus allem rauszuhalten.
Ich nicke ihm zur Begrüßung kurz zu, gehe durch den Club und hoffe, Lotus zu finden, damit ich den Umgang mit Andre so gering wie möglich halten kann. Sie ist in einem kleinen Zimmer den Flur hinunter, das ihr als Büro dient. Die Tür steht offen, aber ich klopfe trotzdem an.
„Hi, Bull“, sagt sie und sieht mich kurz an, bevor sie sich wieder den Bergen von Papierkram vor ihr zuwendet.
„Hey. Hast du irgendwelche Werkzeuge, die ich benutzen kann?“
Lotus wedelt mit der Hand zu einer Zimmerecke, wo ich eine Werkzeugkiste aus Metall und einen Erste-Hilfe-Kasten entdecke. Scheinbar hat ihr Büro mehrere Funktionen. Da ich sie nicht stören will, gehe ich schnell hinein und nehme mir, was ich brauche.
Ich will gerade gehen, da schnaubt Lotus und wirft ihren Stift auf den unordentlichen Schreibtisch. „Ich gebe auf“, grollt sie und reibt sich die müden Augen. „Warum kommt das nicht hin?“
Ich weiß nicht, ob sie mit mir spricht oder nicht, vermute, dass es nicht so ist und gehe zur Tür.
„Ich gehe davon aus, dass du nicht gut mit Zahlen bist?“
Ich bleibe stehen und werfe einen Blick über die Schulter auf das vollgekritzelte Blatt vor ihr. Sie scheint Hoffnung zu haben, weil ich nicht sofort abgewehrt habe. Ich überschlage die Berechnung schnell im Kopf und finde ihren Fehler.
„Du hast die Eins nicht übertragen“, sage ich mit Blick auf die Zahlen auf der Seite.
Ich vermute, dass das die Einnahmen des Clubs sind. Vielleicht macht sie auch ihre Steuer. Ich weiß es nicht. Was immer es auch ist, sie sieht rasch auf die Berechnungen vor ihr hinunter und brummt bestätigend. „Heilige Scheiße, du hast recht.“
„Natürlich habe ich recht“, erwidere ich, und sie schmunzelt. „Vieles hat sich verändert, seit ich eingebuchtet wurde, aber Mathe nicht.“
Ich bedauere sofort, preisgegeben zu haben, dass ich im Knast war. Aber Lotus zuckt nicht zusammen oder sieht mich anklagend an. Sie nickt bloß mit einem Lächeln.
„Ein Alleskönner. Wenn du nicht vorsichtig bist, lasse ich dich auch noch meine Bücher machen.“
„Ich bin da draußen, wenn du mich brauchst.“ Ich halte mich nicht länger auf, sondern gehe in den Club.
Andre bedient sich am besten Wodka, was total daneben ist, weil ich nicht glaube, dass er dafür bezahlen wird. Ich mag keine Schmarotzer und Geizhälse. Das Leben ist nicht kostenlos. Aber ich ignoriere ihn und mache mich an die Arbeit, indem ich die Stabilität der Barhocker teste. Sie sind alle wackelig, also öffne ich die Werkzeugkiste und suche nach dem, was ich brauche. Sekunden später legt sich ein riesiger Schatten über mich, was mir sagt, dass ich einen Beobachter habe. Ich schlucke den Köder nicht, denn ich weiß genau, wer da lauert.
Wenn dieses Arschgesicht Ärger sucht, ist er bei mir an der falschen Adresse. Ganz egal, wie gern ich ihm in den Hintern treten würde, werde ich es nicht tun, weil das respektlos gegenüber Lotus wäre. Gerade als ich den Hocker hochheben und auf den Tresen legen will, knallt Andre seine Pranke auf die Oberfläche und blockiert mich. Ich zucke nicht zusammen und hebe langsam den Blick. Wir sehen uns in die Augen, und es ist klar, dass er mir das Leben zur Hölle machen will.
Er hat Glück, dass mich das einen Scheißdreck interessiert.
Er kaut auf einem Zahnstocher und versucht, mich einzuschüchtern, indem er mich niederstarrt. Sein Versuch ist lächerlich. Ich hebe den Hocker hoch, lege ihn auf den Tresen und ignoriere dabei seine Hand.
Er zieht sie schnell zurück. „Sieht aus, als hätte Lotus ein kleines Dienstmädchen gefunden“, spottet er und zieht den Zahnstocher zwischen seinen gummiartigen Lippen hervor.
Ich ignoriere ihn, gehe auf Augenhöhe mit den Beinen des Hockers und checke sie.
„Bist du taub oder dumm? Ich rede mit dir.“ Er reißt am oberen Ende des Hockers und wirft ihn zu Boden.
Ich atme zwei Mal tief durch, richte mich ruhig auf und weigere mich, einzuknicken. Andre ballt mit einem höhnischen Grinsen die Fäuste und wartet auf meinen Gegenschlag.
Da kann er lange warten.
Ich greife nach einem anderen Hocker und mache mit ihm dasselbe, wie mit dem Ersten. Bei diesem Hocker ist das ungleiche Bein auffälliger, also suche ich im Werkzeugkasten nach einer kleinen Säge. Andre gefällt es nicht, ignoriert zu werden.
„Hör zu, du Freak“, spuckt er aus, wobei er seine Hände zum Glück bei sich behält. „Geh mir aus dem Weg, dann haben wir keinen Ärger.“
Es ist klar, dass er nicht verschwindet, bevor ich geantwortet habe, also nicke ich kurz. „Passt mir gut.“
Andre muss das Gefühl haben, dass ich seine Position als Platzhirsch bedrohe, was ironisch ist, da ich mich aus allem raushalten will. Ich bin nicht daran interessiert, der Alpha vor diesem Vollidioten zu sein, denn das ist keine Konkurrenz. „Du bist ein seltsamer Dreckskerl.“
„Danke“, erwidere ich und wende mich wieder der Suche im Werkzeugkasten zu. Ein paar Sekunden später ist er verschwunden, nicht ohne eine Flasche Wodka mitgehen zu lassen.
Ich atme langsam aus, beherrsche meine Wut und konzentriere mich darauf, die Barhocker zu reparieren. Es ist einfach, durch die billigen Holzbeine zu sägen, und ich brauche nicht lange, um alle Beine auf eine Länge zu bringen. Als ich die Beine abschmirgele und die Aufsätze wieder anbringe, damit sie stabil sind, liegt plötzlich ein Hauch von etwas Süßem in der Luft.
Ich wische mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, werfe einen Blick über die Schulter und sehe, dass ich nicht mehr allein bin.
„Hallo, Schöner“, sagt Tawny mit einem Lächeln. Sie versucht nicht zu verbergen, dass sie mich mit den Augen fickt, als sie mich von Kopf bis Fuß mustert.
Ich trage eine zerrissene schwarze Jeans und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, das die Tattoos auf meinen Armen und meinem Hals entblößt. Tawny neigt den Kopf, um einen besseren Blick darauf zu haben, aber da kann sie lange gucken. Meine Tattoos sind privat. Ich habe sie nicht machen lassen, damit andere Leute um mich herumscharwenzeln und mir Fragen stellen. Ich habe sie mir als ständige Erinnerung daran machen lassen, was ich getan habe. Und was ich tun muss, um meinen Bruder zu rächen.
Ich räuspere mich, was sie aus ihrem Starren reißt.
„Bist