Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin LutherЧитать онлайн книгу.
Und die Fürstin soll fühlen, daß sie ihr wohl ein paar Stunden oder Tage bittern Schmerzes zufügen kann, aber doch nicht an ihr innerstes Herz zu rühren vermag.
Der giftige Hohnblick – nun, für heute habe ich dir deine Freude doch verdorben! Nein, diesen Triumph soll sie nicht haben.
Und Rosmarie erhebt sich plötzlich, aber sie muß erst lernen ruhig stehen und ihre Arme herabhängen zu lassen. Und Lisa betrachtet sie fast mit Furcht. Wie sie da auf und ab geht und vor dem Spiegel steht und versucht, selbst das verräterische Zucken um ihre Mundwinkel zu bekämpfen. Und ihr kommen doch wieder die Tränen, wenn sie denkt, wie wunderschön sie sich jetzt freuen könnte!
Auf das seidene Kleid, das ihr nun Lisa überwirft, fallen auch noch ein paar Tränen.
Der Fürst hat schon zweimal geklopft und ist abgewiesen worden. Heute muß sie sich ja ausgiebig schön machen, die Rosmarie! Und er lächelt ein wenig. Das tun wohl die Mädchen mit besonderem Eifer, wenn sie es am wenigsten nötig haben. Und als er zum drittenmal kommt, geht endlich die Türe auf, und seine Tochter kommt heraus. Ja, sie ist schön, wunderschön, aber nicht, wie sie heute morgen war.
Ihr Antlitz ist blaß und ihre Lippen sind dunkelrot und ihr weißes Kleid ist an ihr wie Schwanengefieder. Und sie trägt in den goldenen Haaren das alte Stirnband.
»Rosmarie, hast du eine Ahnung, wie Mama heute sein wird? Ihre Stimmung heute morgen war nicht die beste. Ich besorge wegen Harro...«
»Oh, du hast nichts zu fürchten, Vater,« antwortet sie, die plötzlich fühlt, daß sie heute eine Waffe gegen ihre Mutter in der Hand hat. »Gar nichts zu befürchten, bitte, gehe ihm entgegen, Mama und ich werden euch im blauen Saal erwarten.«
Und sie nimmt ihr Schwanengefieder zusammen und rauscht an ihm vorüber, den langen Gang hinunter, zwischen den vielen gemalten Augen, und jedesmal, wenn sie an einem der tiefen Fenster vorbeikommt, wo der Sonnenschein in schmalen Tafeln auf dem Boden und den Wänden liegt, leuchtet die weiße Gestalt mit dem stolz getragenen goldenen Haupte auf.
Und er sieht ihr nach, bis sie verschwunden ist.
Im blauen Saal, wo das große Bild von Rosmaries Mutter hängt, ist Mama noch nicht. Einen Augenblick steht sie vor dem Bilde, und ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen.
Du hättest dich heute gefreut mit deinem Kinde, Mutter!
Da rauscht es hinter ihr. Die Fürstin in feierlicher Toilette, und beim ersten Blick sieht Rosmarie, daß sie Rot aufgelegt hat. Rot und Weiß, und es ist sehr kunstvoll gemacht, und sie glitzert von allerhand feinem Schmuckwerk.
Eine Sekunde messen sich die beiden mit den Augen, und dann fallen die Blicke der Fürstin zu Boden, und Rosmarie sieht, wie der Diamantstern an ihrer Brust blitzende vielfarbige Lichter wirft. Darunter muß ein sehr unruhiges Herz schlagen.
Rosmarie weiß, daß sie heute nichts mehr von ihr zu fürchten hat.
Und nun rollen Räder über den Hof, eine holde Röte steigt in ihre Wangen. Im Augenblicke ist sogar jeder Schmerz ausgetilgt.
Ihre grauen Augen richten sich leuchtend nach der Türe – Schritte – es stürzen von neuem Freudenbäche über ihre Seele. Und dann hält sie Harro in seinen Armen, ihre Augen tauchen ineinander, und die Welt ist für den Augenblick vergessen.
Harro spricht kein Wort, aber man kann sich sonnen in seinen Augen. Wie Harro die Fürstin begrüßt, zuckt einen Augenblick ein leichtes Erschrecken über sein Gesicht.
Wie man erschrickt und es zu verbergen sucht, wenn man einen Menschen wohl verlassen hat und findet ihn wieder vom Tode gezeichnet. Der erste Eindruck ist immer der erschreckendste, dann findet man die alten Züge, und vielleicht wundert man sich nach einer Weile, daß man so erschrocken ist.
Und die Fürstin ist gnädig, sehr gnädig. Nicht einmal herablassend, sondern ganz so, wie sie nur hätte sein können, wenn Harro der allererwünschteste Schwiegersohn gewesen wäre. Den Fürsten wundert es sehr, und der denkt, wie so oft: Die Damen sind doch immer überraschend, und sie auszukennen und im voraus zu berechnen, das wird wohl nie ein Mann fertig bringen. Aber er ist doch sehr erleichtert.
Und dann muß er seine Tochter von der Seite betrachten und hat wieder das sonderbar drückende Gefühl, als habe er sie so, eben so, schon einmal gesehen, und nun müsse es sich endlich offenbaren, wem sie eigentlich gleich sehe.
Dann ist feierlicher Empfang, und Rosmarie muß vielen Leuten die Hand geben und sie sich schütteln lassen und leidet große Pein, daß es ihr manchmal ganz schwarz vor den Augen wird. Sie lächelt nur noch mechanisch. Und die holde bräutliche Seligkeit von heute morgen ist von ihrem Antlitz verschwunden.
Endlich ist auch dies vorüber, und Rosmarie geht an Harros Arm langsam hinter ihren Eltern her durch den Geweihgang, der jetzt in tiefem Schatten liegt, ins Eßzimmer.
Harro flüstert: »Was ist dir, Holdseligste? Es ist etwas Fremdes an dir, ich sah es gleich, – und so schön! Ich erschrak fast, als ich dich sah.«
Rosmarie erhebt ihre Augen zu ihm und lächelt das allerschönste Lächeln, und dazu werden die Augen naß.
»Es ist nichts Fremdes an mir, Harro, nur ist alles so traumhaft und unwahrscheinlich; ich meine, ich müsse aufwachen und wieder das häßliche Entlein sein. Ach, Harro, ich danke dir, ich danke dir! Ach, ohne dich wäre ich so arm.«
»Nein, Seele, du verbirgst mir etwas, du leidest.«
»Schweig, Harro, ich bitte dich... Es ist nichts. Nur ein kleines Ungeschick von heute morgen... meine Hände darfst du nicht anrühren, Liebster... aber bitte, verrate es dem Vater nicht. Und bis morgen ist's vorbei und gar nicht wert, daß man davon redet.«
Sie sind schon im Eßzimmer, das nach Rosen duftet und so köstlich kühl ist, und wo die gemalten Augen auf sie warten. Sie sind heute allein, nur die vier Menschen, das festliche Diner wird später sein. Rosmarie und ihr Bräutigam haben sich so lange nicht gesehen, und darum soll ihnen dies erste Beisammensein nicht gestört werden. Harros Stirn hat sich umzogen. Er muß ihr ja den Willen tun und sie schweigen lassen. Ihre Augen sehen ihn so flehend an.
Rosmarie hat ein wenig Wein bekommen und blüht plötzlich auf wie eine Rose, und ihre grauen Augen haben Feuer und einen Glanz, der fast erschreckend ist.
Aber der Fürst muß ihr doch zuflüstern:
»Rosmarie, nicht alle Teller an dir vorübergehen lassen, man lebt doch nicht ganz allein von Honig und Liebe.«
Es wird noch stehend eine Tasse Kaffee getrunken in der Fürstin Zimmer: wie gut Harro von früher her das ganze Braunecker Zeremoniell kennt, und welch ein Schauder ihn bei allem Bräutigamsglück ergreift, als er sich nun selbst darin verfangen sieht. Wie gerne hätte er jetzt Rosmarie in die Arme genommen, wäre mit ihr in das alte Lernzimmer gegangen und hätte versucht, ihre Leiden zu erleichtern. Aber er muß seine Kaffeetasse balancieren und mit der Fürstin Konversation treiben. Und nun wird ihn der Fürst zu einer Zigarre entweder in der Sommerstube oder auf dem Schießplatz, dort ist's jetzt am kühlsten, auffordern. Die Damen bleiben zurück und verschwinden. Das ist alles wie auf ewige Zeiten festgelegt. Und Harro fragt sich, ob der Fürst als junger Mann nicht auch darüber das Nervenkribbeln bekommen habe. Es fällt ihm plötzlich ein, daß die alten Germanen zuweilen ihre Bräute zu rauben pflegten, und er kann ihnen eine leise Anerkennung über ein so summarisches Verfahren nicht versagen.
Es geht alles nach den altbewährten Braunecker Regeln. Rosmarie geht in ihr Zimmer, und Harro raucht mit dem Fürsten eine nachdenkliche Zigarre, und sie besprechen die Dauer der Verlobung. Der Fürst ist für nächsten Sommer. Dann ist Rosmarie zwanzig Jahre alt. Ein Jahr ist ja eigentlich zu lang.
»Harro, du mußt selbst einsehen, daß bei Rosmaries zarter Konstitution doch das zwanzigste Jahr unbedingt erwartet werden muß. Die Zeit wird ja schnell herum sein.«
Alle älteren Leute, an denen die Jahre schon mit so unheimlicher Schnelligkeit vorüberzueilen beginnen, sind der Jugend gegenüber, für die ein Jahr eine so weite Reise ist, mit diesem Trost bereit. Harro kann nicht viel dazu sagen. Es widerstrebt