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Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin LutherЧитать онлайн книгу.

Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte - Martin Luther


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halten in der Bande?« und er reckt einen langen, Respekt gebietenden Arm aus.

      »Du brauchst keine Kinder, du hast ja mich.« Halb ängstlich, halb trotzig sagt sie's.

      »Dich hab ich nur noch eine Stunde, Seelchen.«

      Es ist ein Schatten über die Weihnachtsfreude gekommen.

      »Eine Stunde noch, dann hoff ich, daß dein Vater da sein wird, dein lieber Vater.«

      Sie zuckt zusammen, und eine feine finstere Falte steht auf ihrer Stirn: »Du hast nach ihm geschickt.«

      »Sie sind in Angst um dich.«

      »O, nun wird er böse sein, wie im Leben nicht! Und dann sagt er, was er immer sagt: ›Sie hat mir immer nur Kummer und Sorge gemacht, die arme Kleine.‹«

      »Nein, das wird er nicht mehr sagen. Du machst ihm jetzt Freude. Seelchen! nun hast du ja die rechten Worte gefunden.«

      »Hab ich?«

      »Die richtigen Worte, mit denen man alles sagen kann, was man lebt!«

      »Ist das, weil du mir den rechten Namen gegeben hast? O sag ihm, daß ich Seelchen heiße; aber wenn ich nicht dabei bin, mußt du's tun. Oh, du bist klüger als alle anderen: sag mir schnell, weiß Maria schon, wenn sie das Kindlein hält in ihrem lieben Arm und es zudeckt mit ihrem Haar, – wenn ich ein Kindlein habe, mache ich es auch so, daß die bösen Leute nicht einmal hereinsehen können, – weiß sie, was mit dem Kindlein wird?«

      »Nein, das weiß keine Mutter.«

      »Meine auch nicht, sonst hätte sie mich mitgenommen. Und dann wird er groß, und die Menschen tun ihm Leids an. Und ist es wahr, daß sie hat dabei stehen müssen und sehen, wie sie ihn tot machen?«

      »Seelchen, komm, nicht weinen! Du hast zu viel erlebt heute.«

      Sie sieht ihn mit ihren sanften Augen verwundert an, über ihre schmalen Wangen rinnen noch die Tränen.

      »Ja, mußt du denn nie weinen, wenn du daran denkst?«

      Es ist ganz still in der großen Stube, nur in den Tannen knistert's, es fällt ein Wachs herunter und die Wachslichter, die so schnell vergehen, neigen sich schon. Das Kind wartet nicht auf Antwort. Es sieht hinein in den Rosenschein, auf die schlafende Maria und das so süß geborgene Kindlein. Es ist jene Stille, die so selten ist in unserer hastenden und jagenden Welt voll guter und voll schlimmer Werke. Jene Stille, in der unsere Seele zur Harfe wird, worin sich die Töne der Ewigkeit verfangen. Und es webt sich fester und fester, das goldene Band aus der Himmelspforte im kristallenen Wald. Und weil er eine Künstlerseele in sich trägt, die in Bildern und Tönen denkt, so sieht er im Geiste wieder die Prachtstraße, die nach der Himmelstüre führt, und das Seelchen, das Sonnenkränzlein auf dem Haupt, geht ihm voran, und dort steht im goldenen Glanz das himmlische Vaterhaus, das für ihn die Gestalt der eigenen für immer verlorenen Heimat trägt. Und davor in dem allerherrlichsten Bilde, das uns der Sohn von der Gottesliebe gemalt, der Vater, der ausschaut nach dem wegemüden, dem sündenbestaubten und heimwehkranken, dem verlorenen Sohn. Ein tiefer Seufzer hebt die breite Brust, und indem er sich löst, hat seine Seele den ersten Pfeil ihrer Sehnsucht nach dem ewigen Ziele gesandt.

      Und nun kommt die Scheiterlein herein, den dampfenden Brei in buntglasierter Schüssel; das Seelchen bekommt nur ein paar Löffel hinunter. Zuviel ist heute auf sein kleines Herz eingestürmt.

      »Nimm mich in deine Arme, ich will noch in die Krippe hineinsehen.« Eine kurze Weile sehen die großen grauen Augen in die erlöschende Glut, dann schließen sie sich, ein Traum wirft seinen bunten Mantel um das Seelchen.

      Ganz von ferne klingt in seine farbigen Bilder hinein die wohlbekannte Stimme: »Meine Kleine, meine arme Kleine, wer hätte ihr das zugetraut!«

      »Papa,« flüstert sie... und dann schießt das Traumboot wieder mit dem Seelchen an vielen seltsamen Gestaden vorbei, bis es Halt macht an einem grauen Morgenufer.

      Zweites Kapitel.

       Das Ehrenwort

       Inhaltsverzeichnis

      Vor dem langen Kaliban in seiner Wolljuppe, der eben mit der Schneeschippe einen Weg bahnt schnurgerade vom Tor zur Ruine, steht ein schokoladebrauner Lakai mit einem Billett und schnarrt: »Sogleich abgeben.« Der Kaliban nimmt das Billett in seine hornenen Riesenhande und geht zu der Türe und damit sofort ins Innerste des Thorsteiner Schlosses. Der Haus- und Schloßherr hantiert an seiner Staffelei mit farbigen Kreiden auf einem großen grauen Tonbogen. Auf seiner Stirne entsteht eine senkrechte Falte, als er den Brief liest. Es ist eine in die liebenswürdigsten Worte gekleidete Einladung zu der heutigen Weihnachtsbescherung... »Meine Kleine scheint Ihr Kommen sehr zu erhoffen.« Der lange Thorsteiner dreht die Karte in grimmiger Verlegenheit in den Händen. »Donnerwetter.... mein alter grünschwarzer Rock da drüben!« Seine Hand fährt in seinen kurzen braunen Lockenschopf. »P. S. Wir werden nach der Bescherung ganz unter uns sein ...« Und zwischen den Zeilen sehen ihn bittende Augen an. »Da ist nichts zu wollen,« murmelt er, »... trotz dem Schwarzgrünen.« Und mit seinen langen Schritten eilt er hinaus in den Hof, wo der Schokoladebraune, mit der dieser Menschenrasse eigentümlichen Mischung von Verachtung und Herablassung, sich mit dem Kaliban zu verständigen sucht. Vor der hohen Gestalt des Grafen schnellt er aber sofort in seine korrekte Haltung zurück.

      »Melden Sie Seiner Durchlaucht, daß ich kommen werde.«

      Denn der Thorsteiner gibt sich nicht unnötig mit Papier und Tinte ab. Kaum ist der Schokoladene verschwunden, so ruft er mit Donnerstimme:

      »Märt, die Kiste 4 + 6.« Was den musikalischen Brunnen zu einem beifälligen Gemurmel veranlaßt. Denn Kaliban ist schwerhörig.

      Früher, als sein Übel sich noch nicht so fühlbar machte, war er Bursche gewesen bei des Grafen Vater, dann war er Bauernknecht geworden, und obgleich ihn seine Herren wegen seiner Riesenkräfte und seiner treuen Arbeit wohl schätzten, hatte seine zunehmende Schwerhörigkeit es ihm immer schwerer gemacht, mit seinen Mitknechten auszukommen. Er wurde gehänselt, oder kam sich so vor, – ein kleines rotköpfiges Minele wollte nur Spott mit seiner scheuen Liebe treiben, und so wäre er, den seine Riesenkräfte und sein schnell auflodernder Zorn fast zu einem gefährlichen Menschen machten, schier in eine schlimme Sache hineingekommen.

      Eines Abends, als er in der halbdunkeln Scheune saß, neben dem letzten noch nicht abgeladenen Heuwagen, und zu seinem immer mehr umsponnenen Ohr die gedämpften Stimmen der Knechte und Mägde drangen, wie sie schäkerten und lachten, und er die hohe Stimme des roten Minele und die krähende des schönen Beckenkarl und dazu seinen Namen zu verstehen glaubte, da hatte sich sein einsamer dumpfer Schmerz plötzlich in einen aufsteigenden heißen Zorn verwandelt.

      An dem Abend war er nicht zum Nachtmahl erschienen, und die Nacht hatte ihm einen furchtbaren Traum gebracht. Die Hecke mit den alten Eichenknüppeln, einen Menschen auf dem Gesicht in einer roten Lache liegend, daneben steht seine alte Mutter mit der schwarzen Florhaube, das große silberbeschlagene Gesangbuch im Arm, ganz so, wie sie ihm sein Erinnerungsguckkasten am liebsten zeigt, und hebt entsetzt ihre Hände auf.

      Am andern Morgen hatte er seinen Dienst gekündigt mit so wilden Gebärden, daß der Bauer den unheimlichen Menschen trotz der dringenden Arbeit hatte ziehen lassen. Er war dann in seine Heimat gegangen, obgleich er das alte Mütterlein nur an dem Hügel mit dem schwarzen Holzkreuz darauf besuchen konnte, und hatte getaglöhnert. Ein finsterer und unzugänglicher Geselle, dem die Kinder scheu aus dem Wege liefen.

      Da war er eines Tages im Holzschlag dem Sohn seines früheren Herrn begegnet, der mit seiner Staffelei vor einer Waldwiese saß. Der hatte ihn sofort erkannt und ihn freundlich angeredet. Die Stimme erweckte die schönsten Erinnerungen aus seiner Dienstzeit, wo er noch ein ganzer Mensch, ein vorzüglicher Soldat gewesen war. Wenige Tage darauf erschien er nach Feierabend in der Ruine und begann an einem Steinhaufen abzutragen, Schutt auszulesen und ihn in den tiefen Graben zu werfen. Als der Graf heraustrat, grüßte er militärisch und fuhr in seiner


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