Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
sagte die Frauensperson.
Unrat hatte es gewußt.
»Und Sie führen Ihre Künste in diesem Gasthause vor?«
Auch dies wollte er noch von ihr selbst bestätigt hören.
»Originelle Frage«, bemerkte sie.
»Drum denn –«
Unrat schöpfte Luft; er wies hinter sich, nach dem Fenster, durch das Kieselack und von Ertzum entkommen waren.
»Sagen Sie mir – nun aber auch: dürfen Sie denn das?«
»Was’chen?« fragte sie erstaunt.
»Das sind Schüler«, sagte Unrat; und nochmals, mit Beben, tief aus der Brust:
»Das sind Schüler.«
»Meinswegen. Ich hab’ ja nischt davon.«
[61]Sie lachte. Unrat brach schrecklich aus:
»Und die machen Sie der Schule und der Pflicht abspenstig! Die verführen Sie!«
Die Künstlerin Fröhlich hörte auf zu lachen; sie richtete den Zeigefinger gegen ihre Brust.
»Ich? Also Ihnen fehlt woll was?«
»Oder wollen Sie etwa leugnen?« fragte Unrat kampffertig.
»Vor wem denn? Hab’ ich Gott sei Dank nicht nötig. Ich bin Künstlerin, nich wahr? Ich wer’ Sie um Erlaubnis fragen, ob die Herren mir Bukette verehren dürfen.«
Sie wies in einen Winkel, wo an einem nach vorn geneigten Toilettenspiegel rechts und links zwei große Sträuße steckten. Die Schultern hebend:
»Wenn man das nich mal von haben soll, Sie – wer sind Sie überhaupt?«
»Ich – ich bin der Lehrer«, sagte Unrat, als spräche er Sinn und Gesetz der Welt aus.
»Na ja«, meinte sie versöhnlich, »denn kann es Ihnen doch genau so pimpe sein wie mir, was die jungen Leute treiben.«
Diese Lebensanschauung fand keinen Eingang in Unrats Verständnis.
»Ich rate Ihnen«, sagte er, »verlassen Sie mit Ihrer Gesellschaft diese Stadt, ziehen Sie in großen Tagemärschen davon, denn sonst« – er erhob wieder die Stimme – »werde ich alles daran setzen, Ihnen Ihre Laufbahn zu erschweren, wenn nicht unmöglich zu machen. Ich werde – fürwahr denn – dafür sorgen, daß sich mit Ihrem Treiben die Polizei beschäftigt.«
Bei diesem Wort erschien prompt die rückhaltloseste Verachtung auf dem Gesicht der Künstlerin Fröhlich.
[62]»Wenn Sie mit der man nich selber was zu tun kriegen, Sie kommen mir ganz so vor. Ich bin mit der in Ordnung. Sie tun mir überhaupt leid, Sie!«
Aber anstatt Mitleiden gab sie mit wachsender Deutlichkeit Zorn zu erkennen.
»Sie wollen sich noch aufspielen, in dem Aufzug wo Sie sind? Sie haben sich woll vorhin noch nich lächerlich genug gemacht? Gehn Sie mal hin, auf die Polizei, ja? Sie werden man gleich selber festgehalten. Was der Mensch für Töne am Leib hat. So was kommt einem ganz komisch vor, wo man an den Umgang mit Kavalieren gewöhnt is. Was meinen Sie, wenn ich mal einen von meine bekannten Herrn Offßiere auf Sie loslaß? Sie werden ja einfach verkeilt.«
Hierbei trug sie nun wirklich ein erfreutes Mitleid zur Schau.
Unrat hatte, während sie sprach, anfangs noch zu Worte zu kommen versucht. Allmählich wurden von dem Schwung ihres Willens seine fertigen Gedanken, die schon zwischen den Kiefern hervordrängten, zurückgestoßen bis in eine Tiefe, wo sie ihm selbst verloren gingen. Er erstarrte: – sie war kein entlaufener Schüler, der sich widersetzen wollte und sein Leben lang unter die Fuchtel gehörte; so waren alle in der Stadt, alle Bürger. Nein, sie war etwas Neues. Aus allem, was sie seit dem Zusammentreffen mit ihm gesagt hatte, sammelte sich jetzt nachträglich der Geist und wehte ihn an: ein verwirrender Geist. Sie war eine fremde Macht und augenscheinlich fast gleichberechtigt. Er hätte zum Schluß, wenn sie eine Erwiderung verlangt hätte, keine mehr gewußt. Etwas anderes entstand in ihm: es fühlte sich an wie Achtung.
[63]»Ach was – überhaupt«, sagte sie wegwerfend, brach ab und drehte ihm den Rücken.
Das Klavier war schon wieder in Tätigkeit. Die Tür öffnete sich, ließ die dicke Frau, mit der Unrat einen Zusammenstoß gehabt hatte, samt ihrem Mann ins Zimmer und ging rasch wieder zu. Die Frau setzte, und ihr Abendmantel wogte in zornigen Falten, den Teller auf den Tisch.
»Keine vier Mark«, sagte der Mann. »Schäbige Kanaillen.«
Die Künstlerin Fröhlich versetzte kalt und beißend:
»Da sehn Sie sich mal ’nen Herrn an, der uns bei der Polizei will verklagen.«
Unrat stotterte, erschrocken vor der Übermacht. Die Frau drehte sich um, mit einem Ruck, und maß ihn. Er fand ihren Ausdruck unerträglich abgefeimt, errötete, senkte den Blick, traf mit ihm die fleischfarben eingehäuteten Waden der Frau und riß ihn, zusammenfahrend, weiter. Inzwischen sagte der Mann, und er setzte seine Stimme mit hörbarer Mühe auf halbe Kraft:
»Radau hat hier doch woll bloß Einer gemacht, was? Na, und ich hab der Rosa schon lang prophezeit, wer hier eifersüchtig sein will und die andern nichts gönnen, der fliegt raus aus’n Tempel. Un denn Sie – auf die jungen Leute! Wahrscheinlich sind Sie bei der Polizei schon als Lustgreis angeschrieben.«
Aber seine Frau stieß ihn an; sie hatte ein ganz anderes Urteil gewonnen über Unrat.
»Sei still, der tut ja keinen was.«
Und zu Unrat:
»Sie sind woll ’n bißken aus der Puste gekommen? Gott, man kriegt mal ’n Rappel, das kommt vor. Kiepert soll man gar nichts sagen, der macht mir doch die Hölle grad heiß [64]genug, wenn er sich einbildt, ich bin ihm untreu. Nu setzen Sie sich man und trinken Sie ’n Schluck.«
Sie räumte von einem der Stühle die Röcke und bunten Hosen weg, nahm eine Flasche vom Tisch und füllte ihm ein Glas. Unrat trank, um Weitläufigkeiten zu vermeiden. Die Frau fragte:
»Seit wann kennen Sie denn die Rosa? Ich hab Sie doch noch nie gesehn?«
Unrat sagte etwas, aber das Klavier verschlang es. Die Künstlerin Fröhlich erklärte:
»Er ist der Lehrer von den Jungen, die mir hier immer mang die Kleedagen sitzen.«
»Ach so, Lehrer sind Sie?« sagte der Artist. Er trank ebenfalls, schnalzte und fand seine natürliche Gemütlichkeit wieder.
»Sie, denn sind Sie mein Mann. Sie werden nächstens wohl sicher auch für den Sozialdemokraten stimmen, was? Wissen Sie, wenn wir es nich machen, können Sie auf die Aufbesserung der Lehrergehälter warten, bis Sie Läuse kriegen. Mit der freien Kunst is es grade so: Polizeiliche Belästigung und kein Geld. Die Wissenschaft –«
Er zeigte auf Unrat.
»– und die Kunst –«
Er zeigte auf sich.
»– kommen allemal aus demselben Käsegeschäft.«
Unrat äußerte:
»Dem mag nun sein wie ihm wolle, so irren Sie doch in Ihrer ersten Voraussetzung, Mann, sintemal ich kein Volksschullehrer bin, sondern der Professor Doktor Raat vom hiesigen Gymnasium.«
Der Mann sagte bloß:
[65]»Na prost.«
Man nannte sich doch, wie man wollte, und wenn es irgend einem gefiel, Professor zu spielen, war das kein Grund zur Feindschaft.
»Also Lehrer sind Sie?« meinte die Frau freundlich. »Das is auch woll ’n ruppiges Brot. Wie alt sind Sie denn schon?«
Unrat antwortete bereitwillig wie ein Kind:
»Siebenundfünfzig Jahre.«
»Schmutzig haben Sie sich aber gemacht! Geben Sie man Ihren Hut her, daß wir man das