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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman - Heinrich Mann


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Was der Name tut. Ich kann ihn mir überhaupt nicht sauber vorstellen.«

      »Wissen Sie, was ich glaube? Er sich selber auch nicht. Gegen so ’n Namen kann auf die Dauer keiner an.«

      [39]III

      Unrat hastete die stille Gasse wieder hinauf, denn er hatte einen Gedanken gehabt, dessen Richtigkeit er sofort, aber sofort nachprüfen wollte. Er wußte durch plötzliche Erleuchtung, Rosa Fröhlich sei die Barfußtänzerin, von der man jetzt so viel Aufhebens machte. Sie sollte herkommen und in dem Saal der Gesellschaft für Gemeinsinn ihre Künste sehen lassen. Unrat entsann sich ganz deutlich, wie Oberlehrer Wittkopp, ein Mitglied dieser Gesellschaft, davon erzählt hatte. Er war im Lehrerzimmer an sein Wandschränkchen getreten, hatte es aufgeschlossen, einen Packen Exerzitienhefte hineingelegt und dazu gesagt:

      »Nun bekommen wir hier also auch die berühmte Rosa Fröhlich, die auf bloßen Füßen griechisch tanzt.«

      Unrat sah Wittkopp vor sich, wie er sich wichtig machte, eitel um seinen Klemmer herumschielte und die Lippen spitzte, um auszusprechen: »Rosa Fröhlich.« Ganz ohne Zweifel, er hatte gesagt: Rosa Fröhlich. Unrat hörte ja jeden der vier Laute, in Wittkopps gekünstelter Sprechweise und mit dem gesäuselten R. Das hätte ihm früher einfallen sollen! Zweifellos war die Barfußtänzerin Fröhlich inzwischen eingetroffen, und der Schüler Lohmann war mit ihr in Verbindung getreten. Unrat war nun auf dem Wege, beide zu »fassen«.

      Er erreichte die Siebenbergstraße, er hatte sie halb durcheilt, da ging donnernd ein Rolladen nieder vor einem Schaufenster, und Unrat blieb, einige Schritte davor, vernichtet stehn. Denn der Rolladen gehörte dem Musikalienhändler Kellner, der bei solchen Gelegenheiten die Karten verkaufte und alles Nähere wußte. Es schien, als sollte [40]Unrat die Zwei, denen er nachsetzte, heute nicht mehr einholen.

      Trotzdem konnte er sich nicht denken, daß er jetzt nach Haus gelangen und sein Nachtessen herunterbringen werde. Er war in Jagdleidenschaft geraten. Er gab sich noch ein paar Minuten, machte einen letzten Umweg. Am Rosmarinweg hielt er, ganz erschüttert, vor einem schiefgetretenen Holztreppchen den Schritt an. Er klomm steil bis vor eine schmale Ladentür mit der Inschrift: »Johannes Rindfleisch, Schuhmachermeister«. Eine Warenauslage war nicht da; hinter den Spiegelscheiben der zwei kleinen Fenster standen Blumentöpfe. Und Unrat bedauerte, von seinem guten Geschick nicht schon längst hierher geführt zu sein, zu der Behausung eines rechtschaffenen und harmlosen Mannes, eines Herrnhuters, der kein Scheltwort in den Mund nahm, niemals kränkend die Miene verzog, und der über die Künstlerin Fröhlich anstandslos Auskunft erteilen würde!

      Er öffnete die Tür. Eine Glocke schlug an, und der Ton schwang freundlich nach. Die Werkstatt lag sauber aufgeräumt im Halbdunkel. Eingefaßt in den Rahmen der Tür zum Nebenzimmer, zeigte sich das mild beleuchtete Bild der Schustersfamilie beim Abendbrot. Der Geselle kaute an der Seite der Haustochter. Den kleinen Kindern gab die Mutter Kartoffeln zur Mettwurst. Der Vater setzte die bauchige Flasche mit Braunbier neben die Lampe, erhob sich und sah nach dem Kunden.

      »Nabend, Herr Professer.« Er schluckte erst umständlich seinen Bissen hinunter. »Und womit kann ich dienen?«

      »Ja«, versetzte Unrat, rieb sich unsicher lächelnd die Hände und schluckte auch, mit leerer Kehle.

      [41]»Entschuldigen Sie man«, setzte der Schuhmacher hinzu, »daß hier schon allens duster is. Hier machen wir um Klock sieben Feierabend. Der Rest des Abendes gehört dem Herrn. Wer da noch arbeiten tut, da is doch kein Segen auf.«

      »Das mag ja denn einerseits – ganz richtig sein«, stotterte Unrat.

      Der Schuhmacher war einen Kopf höher. Er hatte knochige Schultern und unter seinem Schurzfell einen unvermittelten Spitzbauch. Ergrauende Löckchen, ein wenig ölig, machten den Bogen um sein langes, bleifarbenes Gesicht, dessen Wangen in einen keilförmigen Bart hineinhingen, und das langsam lächelte. Rindfleisch schob immerfort über dem Magen die Finger ineinander, löste sie und steckte sie wieder zusammen.

      »Aber das ist es andererseits freilich nicht, weshalb ich komme«, erklärte Unrat.

      »Herr Professer, Nabend Herr Professer«, sagte die Frau von der Schwelle her und knixte. »Was stehst du da in ’n Schummern mit Herrn Professer, Johannes, laß ihm doch rein. Herr Professer, wenn Sie es man nich übel nehmen, daß wir uns’ Mettwuß essen.«

      »Das liegt mir ganz und gar fern, gute Frau.«

      Unrat entschloß sich zu einem Opfer.

      »Meister Rindfleisch, ich unterbreche ungern Ihr Mahl, aber ich ging grade vorbei und da kam mir der Gedanke, daß Sie mir – aufgemerkt nun also! – ein Paar Stiefel anmessen sollen.«

      »Zu dienen, Herr Professer«, und die Frau knixte, »zu dienen.«

      Rindfleisch bedachte sich; dann verlangte er die Lampe.

      [42]»Denn sitten wi jä all’ in’n Dustern bi’n Eeten«, bemerkte die Frau heiter. »Nöh, Herr Professer, kommen Sie man rein, ich mach Licht für Ihnen in der blauen Stube.«

      Sie ging voran in einen Raum, wo es kalt war, und zündete Unrat zu Ehren die beiden unversehrten rosa Kerzen an, die sich über ihren krausen Manschetten und flankiert von zwei großen Muscheln, im Trumeau spiegelten. An den kraßblauen Wänden verweilten in sonntäglicher Haltung Großvatermöbel aus Mahagoni. Auf der gehäkelten Decke des Sofatisches breitete ein segnender Christus seine Biskuitarme aus.

      Unrat wartete, bis Frau Rindfleisch hinaus war. Als er den Schuhmacher hinter geschlossener Tür und recht in seiner Gewalt hatte, setzte er ein.

      »Vorwärts denn also, Meister, jetzt heißt es zeigen, daß Sie, der Sie einige kleinere Arbeiten zur Zufriedenheit des Leh– zu meiner Zufriedenheit bewerkstelligten, auch ein recht braves Paar Stiefel schaffen können.«

      »O ja, Herr Professer, o o oh ja«, erwiderte Rindfleisch demütig und beflissen wie ein Primus.

      »Mag ich immerhin schon im Besitz zweier Paare sein, so kann bei der jetzt vorwaltenden Nässe doch niemand sich genug tun an guter, warmer Fußbekleidung.«

      Rindfleisch kniete und maß. Er hatte den Bleistift zwischen den Zähnen und grunzte nur.

      »Andererseits ist dies die Jahreszeit, die gewöhnlich etwas Neues in die Stadt bringt, ein wenig – sicherlich doch – geistige Erholung. Die ist es denn wohl auch, die dem Menschen nottut.«

      Rindfleisch sah auf.

      »Sagen Sie das man noch mal, Herr Professer. Ja ja jah, [43]die tuhet dem Menschen not. Und das weiß unsere Brüdergemeihende auch.«

      »So so«, machte Unrat. »Aber ich denke an den Besuch ausgezeichneter, unter den Menschen hervorragender Persönlichkeiten.«

      »Da denk’ ich auch an, Herr Professer, und da denkt auch die Gemeihende an und versammelet uns Brüder am morgigen Abende zum Gebet mit einem berühmten Missionar. Ja o jah.«

      Unrat fand es schwierig, zur Künstlerin Fröhlich zu gelangen. Er suchte eine Weile, und als er keinen Umweg mehr fand, ging er gradaus.

      »Auch in der Gesellschaft für Gemeinsinn zeigt sich uns nächstens – immer mal wieder – eine Berühmtheit. Eine Künstlerin – Sie werden ja, so gut wie jedermann, von ihr gehört haben, Meister.«

      Rindfleisch schwieg, und Unrat wartete mit Leidenschaft. Er war überzeugt, was er brauchte, steckte in dem Menschen zu seinen Füßen, und es liege nur an ihm, es herauszuziehen. Die Künstlerin Fröhlich hatte in der Zeitung gestanden, war im Lehrerzimmer besprochen worden, hing im Fenster bei Kellner. Die ganze Stadt wußte Bescheid über sie, außer Unrat. Jeder andere hatte mehr Weltläufigkeit und Personenkenntnis als Unrat: er lebte, ohne daß er’s selber wußte, tief in dieser Vorstellung; und er wandte sich mit vollem Vertrauen an einen Herrnhutischen Schuster um Auskunft über eine Tänzerin.

      »Sie tanzt, Meister. In der Gesellschaft für Gemeinsinn tanzt sie. Ei, da werden nun die Leute hinlaufen.«

      Rindfleisch nickte.

      »Die


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