Nathan der Weise. Gotthold Ephraim LessingЧитать онлайн книгу.
wie eine Stadt zu stürmen und
Zu schirmen; könne — sagt der Patriarch —
Die Stärk’ und Schwäche der von Saladin
Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer
Am besten schätzen, sie am deutlichsten
Den Streitern Gottes — sagt der Patriarch —
Beschreiben.
Tempelherr. Guter Bruder, wenn ich doch
Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüßte.
Klosterbruder. Ja den — den weiß ich nun wohl nicht so recht.
Das Briefchen aber ist an König Philipp. —
Der Patriarch . . . Ich hab’ mich oft gewundert,
Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz
Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet
Von Dingen dieser Welt zu sein herab
Sich lassen kann. Es muß ihm sauer werden.
Tempelherr. Nun denn? Der Patriarch? —
Klosterbruder. Weiß ganz genau,
Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark,
Von welcher Seite Saladin, im Fall
Es völlig wieder los geht, seinen Feldzug
Eröffnen wird.
Tempelherr. Das weiß er?
Klosterbruder. Ja, und möchteʼ
Es gern den König Philipp wissen lassen:
Damit er ungefähr ermessen könne,
Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um
Mit Saladin den Waffenstillstand,
Den Euer Orden schon so brav gebrochen,
Es koste, was es wolle, wieder her
Zu stellen.
Tempelherr. Welch ein Patriarch! — Ja so!
Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem
Gemeinen Boten; will mich — zum Spion. —
Sagt Eurem Patriarchen, guter Bruder,
So viel Ihr mich ergründen können, wär’
Das meine Sache nicht. — Ich müsse mich
Noch als Gefangenen betrachten; und
Der Tempelherren einziger Beruf
Sei, mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht
Kundschafterei zu treiben.
Klosterbruder. Dacht’ ich’s doch! —
Will’s auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln.
Zwar kommt das Beste noch. — Der Patriarch
Hiernächst hat ausgegattert, wie die Feste
Sich nennt und wo auf Libanon sie liegt,
In der die ungeheuren Summen stecken,
Mit welchen Saladins vorsicht’ger Vater
Das Heer besoldet, und die Zurüstungen
Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt
Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen
Nach dieser Feste sich, nur kaum begleitet. —
Ihr merkt doch?
Tempelherr. Nimmermehr!
Klosterbruder. Was wäre da
Wohl leichter, als des Saladins sich zu
Bemächtigen? Den Garaus ihm zu machen? —
Ihr schaudert? — O, es haben schon ein paar
Gott’sfürcht’ge Maroniten sich erboten,
Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle,
Das Stück zu wagen.
Tempelherr. Und der Patriarch
Hätt’ auch zu diesem wackern Manne mich
Ersehn?
Klosterbruder. Er glaubt, daß König Philipp
Von Ptolemais aus die Hand hierzu [wohl
Am besten bieten könne.
Tempelherr. Mir? Mir, Bruder?
Mir? Habt Ihr nicht gehört? Nur erst gehört,
Was für Verbindlichkeit dem Saladin
Ich habe?
Klosterbruder. Wohl hab’ ich’s gehört.
Tempelherr. Und doch?
Klosterbruder. Ja — meint der Patriarch — das wär’ schon gut:
Gott aber und der Orden . . .
Tempelherr. Ändern nichts!
Gebieten mir kein Bubenstück!
Klosterbruder. Gewiß nicht!
Nur — meint der Patriarch — sei Bubenstück
Vor Menschen nicht auch Bubenstück vor Gott.
Tempelherr. Ich wär’ dem Saladin mein Leben schuldig:
Und raubt’ ihm seines?
Klosterbruder. Pfui! — Doch bliebe — meint
Der Patriarch — noch immer Saladin
Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund
Zu sein, kein Recht erwerben könne.
Tempelherr. Freund?
An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden,
Zum undankbaren Schurken?
Klosterbruder. Allerdings! —
Zwar — meint der Patriarch — des Dankes sei
Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns
Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen.
Und da verlauten wolle — meint der Patriarch —
Daß Euch nur darum Saladin begnadet,
Weil ihm in Eurer Mien’, in Eurem Wesen
So was von seinem Bruder eingeleuchtet . . .
Tempelherr. Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? —
Ah! Wäre das gewiß! Ah, Saladin! —
Wie? Die Natur hätt’ auch nur einen Zug
Von mir in deines Bruders Form gebildet:
Und dem entspräche nichts in meiner Seele?
Was dem entspräche, könnt’ ich unterdrücken,
Um einem Patriarchen zu gefallen? —
Natur, so lügst du nicht! So widerspricht
Sich Gott in seinen Werken nicht! — Geht, Bruder!
Erregt mir meine Galle nicht! — Geht! Geht!
Klosterbruder. Ich geh’, und geh’ vergnügter, als ich kam.
Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute
Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.
SECHSTER AUFTRITT