Die Orbit-Organisation. Anne M. SchüllerЧитать онлайн книгу.
kommen darin vor. Vielmehr kreist die Führungsriege rein um sich selbst. Sie konzentriert sich auf Macht und nicht auf den Markt. Solche Organigramme haben übrigens militärische Wurzeln. Sie zementieren Hierarchien und Unterwürfigkeit, Starrheit und Konformität. Im digitalen Sturm haben sie, so wie die Monokulturen in unseren Wäldern bei einem Orkan, nicht den Hauch einer Chance. Ein gesunder »Mischwald« wäre besser geeignet. Kreativität, die Schlüsselressource der Zukunft, wird durch Top-down-Organigramme abgetötet. Indem man Mitarbeitern Macht und Bewegungsfreiheit entzieht, reduziert man ihre Effizienz. Und die Fähigkeit, ihr Bestes zu geben, verkümmert. Wer Menschen nach Vorgaben tanzen lässt, macht sie zu Hampelmännern. Und zwängt man seine Leute in ein Korsett aus Befehl und Gehorsam, fallen sie in Ohnmacht. Soweit die ziemlich erschütternde Erstdiagnose. Schauen wir uns das im Folgenden noch etwas genauer an.
Abb. 4: Ein klassisches Organigramm, wie man es fast überall findet
Old School: Wie klassische Organisationen funktionieren
Klassische Old-School-Organisationen nennen wir in diesem Buch bisweilen tradiert, etabliert, herkömmlich, traditionell, fragmentiert, autokratisch, alteingesessen, pyramidal. Ihre Wurzeln liegen im Industriezeitalter. Sie kommen also aus einer Zeit, in der Entwicklungen linear und Märkte überschaubar waren. Folgende Merkmale gehören in aller Regel zu größeren klassischen Unternehmen:
Wer so aufgestellt ist, kann ganz offensichtlich nur wenig spontane Wandeldynamik entfalten. Hauptaufgabe ist ja der Systemerhalt – und die Verwertung. Steuernd und regelnd geht es der Führung vor allem darum, das Maximum aus der Organisation herauszuholen und zugleich den Status quo abzusichern. Deshalb hat die Finanzseite das Sagen. Sie ist defizitorientiert und die Fixierung auf Kosten ist hoch. Doch Fortschritt lässt sich nicht ersparen, schon gar nicht zulasten der Kunden. Der Rotstift sollte mal besser beim Verwaltungsapparat tanzen. Was der kostet und wie viel Wertschöpfung einem durch seine Pflichtprogramme entgeht, das ist monströs. Und zugleich desaströs.
Querdenken? Muster brechen? Innovieren? In so einer Welt? Wird zwar gefordert, ist aber eigentlich gar nicht erwünscht. Die Menschen in den Unternehmen spüren das intuitiv – und verhalten sich lieber still. Querdenker stören, Musterbrecher destabilisieren das System und Innovationen sind ungewiss. Schwingt sich zudem einer zum Neuerer auf, hat er die Nutznießer des alten Systems zum Feind. Mithin sind Beharrungstendenzen erklärlich. Das klingt dann so: »Unsere Mitarbeiter wollen das nicht!« – »Unsere Führungskräfte ziehen nicht mit!« – »So was funktioniert bei uns eh nicht!«, gern zur Verstärkung ergänzt um ein »Isso!« mit Ausrufezeichen. Ein derart kapitulierendes Denken macht Transformationsversagen sehr, sehr wahrscheinlich.
»Es ist ziemlich sinnlos, die Schuld für Mangel an Veränderung, Innovation, Verbesserung immer abwechselnd ›den Mitarbeitern‹ oder ›den Führungskräften‹ in die Schuhe zu schieben. In Wirklichkeit haben die meisten Unternehmen nicht ein Personalproblem, sondern ein gewaltiges System-Problem: Ihre Organisationsmodelle sind auf Bürokratie, Hierarchie und Fremdkontrolle hin ausgelegt. Da muss man sich nicht wundern, wenn Selbstverantwortung, unternehmerisches Denken und Teamgeist aus der Organisation verschwinden. Man kann eben mit Weisung und Kontrolle kein Unternehmertum erzeugen«, sagt der international renommierte Organisationsexperte Niels Pfläging, der sich selbst Management-Exorzist nennt.12
Abb. 5: Wesentliche Begriffe in Old-School-Unternehmen
Die Auswirkungen veralteter Management-Mindsets
Hierarchiegeprägte Top-down-Organisationen schaffen ein Mindset, also eine Denk- und Handlungslogik, die genau das Verhalten hervorbringt, das zu diesem Mindset passt: Man erzieht sich lauter Mündel, die meinungslos auf Anweisungen warten. Mit anderen Worten: Man macht seine Mitarbeiter führungsbedürftig. Vorgezeichnete Wege hemmen die Fantasie und zerstören damit die Möglichkeit, eigene, andere, bessere Wege zu einer Zielerreichung zu finden. Und das ist verheerend. Denn die Zukunft ist unklarer als jemals zuvor. Der Planungshorizont wird immer enger, die Vorhersagbarkeit geht gegen null. In allen Branchen wird es nun Pioniere geben, die die Digitalisierung für völlig neue, noch nie dagewesene Anwendungen nutzen. Wir wissen nicht, ob sie kommen oder wann sie kommen, doch wenn sie kommen, dann kommen sie schnell.
Veraltete Mindsets machen Mitarbeiter führungsbedürftig.
Der Chef als Leitstern, der alles weiß und alles kann? Tempi passati. Vorbei. Früher war sein Machtwort sicher oft brauchbar. In einem unantizipierbaren Umfeld jedoch wird es schnell zum Irrlicht im Moor. Besser, man schafft einen lebendigen Rahmen, der das Wissen und Können von vielen, möglichst der Besten, rege miteinbezieht. »Früher habe ich versucht, gute Antworten zu geben. Heute versuche ich, gute Fragen zu stellen«, erzählt uns ein Manager. Bingo! Genauso aktiviert man dezentrale Intelligenz.
Als traditionelle Unternehmen entstanden, war die Komplexität niedrig. Insofern war Planung gut machbar. Entscheidungen »von oben« passten zum damaligen Zeitgeist. Top-down-Konstrukte waren eine logische Folge. Doch sie haben auch eine Menge Kollateralschäden erzeugt. Weil Effizienz im Vordergrund stand, ist die Menschlichkeit schnell auf der Strecke geblieben. Managerwichtigkeit wurde in »Kontrollspanne« gemessen. Schlechte Führung? Wurde wissentlich toleriert, solange die Ergebnisse stimmten. Despoten, Menschenschinder, autoritäre Walzen? Keine Seltenheit. Hinter vorgehaltener Hand wurde von »Chefs aus der Hölle« gesprochen.
Ein ganzes Arsenal dirigistischer Managementmoden hielt unhinterfragt Einzug, »weil es alle so machen«.