Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes CassianusЧитать онлайн книгу.
Zorn von Jenem wegwende,“ d. i. damit er nicht beim Anblick deines innern Hochmuthes von der Verfolgung desselben ablasse und du nun von ihm verlassen wieder anfangest, von derselben Leidenschaft beunruhigt zu werden, welche du mit Gottes Gnade vorher überwunden hattest; denn der Prophet hätte nicht im Gebete gesprochen: 219 „Übergib nicht, o Herr, den Wilden Thieren die Seele, welche dich bekennt,“ wenn er nicht gewußt hätte, daß Einige wegen der Überhebung ihres Herzens zur Demüthigung wieder denselben Lastern übergeben werden, die sie schon besiegt hatten. Wir dürfen deßhalb sicher sein, da uns sowohl die Erprobung der Thatsachen als unzählige Zeugnisse der hl. Schriften lehren, daß aus unsern Kräften, wenn wir nicht einzig gestützt würden durch die Hilfe Gottes, wir solche Feinde nicht besiegen könnten, und daß wir also auf ihn jeden Tag unsern ganzen Sieg beziehen müssen. Dazu ermahnt uns auch Gott durch Moses in folgender Weise 220 „Wenn der Herr dein Gott sie vor deinen Augen vernichtet haben wird, so sage nicht in deinem Herzen: Wegen meiner Gerechtigkeit hat mich der Herr hereingeführt, dieses Land zu besitzen, da jene Nationen wegen ihrer Ungerechtigkeit vernichtet worden sind. Denn nicht wegen deiner Gerechtigkeit und der Geradheit deines Herzens wirft du einziehen zum Besitz ihres Landes, sondern weil jene Ruchloses gethan, so sind sie bei deinem Einzüge vernichtet worden.“ Ich frage, wie man noch deutlicher reden könnte gegen unseren verderblichen Dünkel und Hochmuth, in welchem wir all unser Thun dem freien Willen oder unserm Eifer anrechnen wollen. Sage nicht, spricht er, in deinem Herzen, wenn der Herr dein Gott sie vor deinen Augen vernichtet hat: Wegen meiner Gerechtigkeit hat mich der Herr hereingeführt zum Besitze dieses Landes! Sagt er damit nicht Jedem, der offene Geistesaugen hat und Ohren zum Hören, ganz deutlich: Wenn dir die Kämpfe gegen die fleischlichen Laster gut gelungen sind, und du siehst dich von ihrem Schmutz und dem Wandel dieser Welt befreit, so schreibe das nicht im Hochmuth über den Erfolg des Kampfes und Sieges deiner Kraft und Weisheit zu und glaube nicht, daß du durch dein Mühen und Streben und deinen freien Willen über die geistigen Bosheiten und fleischlichen Laster gesiegt habest. Diese hättest du ohne Zweifel in Nichts ganz überwinden können, wenn dich nicht Gottes Hilfe gestützt oder geschützt hätte.
16. Über die Bedeutung der sieben Völker, deren Länder Israel nahm, und warum es bald heißt, daß es sieben, bald daß es viele Völker waren.
Es sind das die sieben Völker, deren Länder Gott den aus Ägypten ausgezogenen Söhnen Israels zu geben versprach. Da nach dem Apostel Jenen Dieß alles zum Vorbilde begegnete, so müssen wir es als eine für uns geschriebene Ermahnung auffassen. Denn so heißt es: 221 „Wenn dich der Herr dein Gott hineingeführt haben wird in das Land, in dessen Besitz du einziehst, und wenn er viele Völker vor deinen Augen vernichtet haben wird, den Hethäer und Gergezäer, den Amorrhäer und Chananäer, den Pherezäer und Eväer und Jebusäer, sieben Völker viel zahlreicher und stärker als du, und wenn der Herr sie dir wird preisgegeben haben, so schlage sie bis zur Vernichtung.“ Daß es nun heißt, sie seien zahlreicher, hat den Grund, daß die Laster zahlreicher sind als die Tugenden. Deßbalb werden im Verzeichniß zwar sieben Nationen aufgezählt, bei der Erwähnung ihrer Besiegung aber stehen sie ohne Nennung einer Zahl, denn es heißt: Und wenn er viele Völker vernichtet haben wird &c. Denn zahlreicher als Israel ist das Volk der fleischlichen Leidenschaften, welches aus diesem siebenfachen Zündstoff und Keim der Laster hervorgeht. Denn daraus entstehen Mord, Streit, Spaltungen, Diebstähle, falsche Zeugnisse, Gotteslästerungen, Schmausereien, Trunkenheit, Verläumdungen, Spielereien, schändliche Reden, Lügen, Meineide, thörichtes Geschwätz, Leichtfertigkeit, Unruhe, Raubsucht, Bitterkeit, Geschrei, Unwille, Verachtung, Murren, Versuchung, Verzweiflung und viele andere, deren Aufzählung zu lange wäre. Da diese von uns für leicht gehalten werden, so hören wir, was der Apostel von ihnen denke, oder was für ein Urtheil er über sie fälle: 222 „Murret nicht“, sagt er, „wie Einige von Jenen murrten und durch den Verderber 223 umkamen;“ und von der Versuchung: 224 „Lasset uns nicht Christum versuchen, wie Einige von ihnen versucht haben und durch Schlangen umkamen;“ von der Verläumdung: „Liebe nicht die Verläumdung, damit du nicht umkommest;“ und von der Verzweiflung: 225 „Die in der Verzweiflung sich der Unzucht ergaben zur Ausübung jeder Verkehrtheit, zur Unreinigkeit.“ Daß aber Zankgeschrei, wie Zorn, Unwille und Gotteslästerung verdammt werde, lehrt uns ganz klar derselbe Apostel, da er so befiehlt: 226 „Jede Bitterkeit, Zorn und Unwille, Zankgeschrei und Gotteslästerung werde entfernt von euch wie alle Bosheit.“ Und dergleichen mehr. Obwohl nun die Laster viel zahlreicher sind als die Tugenden, so werden doch nach Besiegung jener acht hauptsächlichsten, aus deren Natur sie, wie sicher ist, hervorgehen, sogleich alle ruhig und werden zugleich mit diesen in ewiger Vernichtung ausgerottet. Denn von der Gastrimargie entstehen Schmausereien und Trunkenheit; von der Unzucht: Schandreden und Possen, Spielerei und thörichtes Geschwätz; von der Geldsucht: Lüge, Betrug, Diebstahl, Meineid, Verlangen nach schmutzigem Gewinn, falsche Zeugnisse, Gewalt, Unmenschlichkeit und Raubsucht. Vom Zorn entstehen: Mord, Polterei, Erbitterung; von der Traurigkeit: Herbheit, Kleinmuth, Bitterkeit, Verzweiflung; von der Acedie: Trägheit, Schläfrigkeit, Unaufgelegtheit, Unruhe, Herumschweifen, Unstätigkeit des Geistes und Körpers, Geschwätzigkeit, Neugier; von der Ehrsucht: Streit, Spaltung, Prahlerei und anmaßende Neuerungssucht; vom Hochmuth: Verachtung, Neid, Ungehorsam, Gotteslästerung, Murren, Verläumdung. Daß aber diese Pestkrankheiten auch stärker sind, fühlen wir deutlich bei der Anfechtung in unserer Natur selbst. Denn kräftiger kämpft in unsern Gliedern die Lust der fleischlichen Leidenschaften oder Laster, als das Streben nach den Tugenden, die nur durch die größte Anstrengung des Herzens und des Körpers erlangt werden. Schauen wir nun noch mit unsern geistigen Augen auf jene unzählbaren Schaaren von Feinden, die der Apostel anführt mit den Worten: 227 „Wir haben nicht einen Kampf gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Herrschaften und Mächte, gegen die Weltherrscher dieser Finsterniß, gegen die Geister der Bosheit in den Himmelsräumen.“ Davon handelt auch jene Stelle über den Gerechten, die im neunzigsten Psalme steht: „Es werden fallen dir zur Seite Tausend und Zehntausend zu deiner Rechten.“ Nun wirst du klar einsehen, daß sie viel größer sind an Zahl und Kraft als wir, die wir fleischlich sind und irdisch, während jenen eine geistige und luftähnliche Substanz verliehen ist.
17. Frage über die Vergleichung der sieben Stämme und acht Sünden.
Germanus: Woher sind es nun acht Sünden, die uns anfechten, während von Moses sieben Volksstämme aufgezählt werden, die gegen das Volk Israel streiten, oder in wie fern ist es für uns ein Vortheil, die Länder der Sünden zu besitzen?
18. Antwort, wie nach den acht Sünden die Zahl der acht Stämme sich ergänze.
Serapion: Daß es acht Hauptsünden seien, die den Mönch antasten, ist die feststehende Lehre Aller. Da diese nun vorbildlich unter den Völkernamen bezeichnet sind, werden sie deßhalb jetzt nicht alle genannt, weil Moses oder durch ihn der Herr im Deuteronomium ja zu denen spricht, die schon aus Ägypten ausgezogen und also von einem sehr starken Volke, nämlich den Ägyptern, schon befreit sind. Das Vorbild kann nun, wie man sieht, für uns ganz gut so stehen bleiben, da ja auch wir als Solche erkannt werden, die aus den Fesseln der Welt befreit sind und so das Laster der Gastrimargie, d. i. des Bauches oder des Gaumens nicht mehr haben. Nun haben wir aber gegen die übrigen sieben Völker in ähnlicher Weise zu kämpfen, da wir das erste, das schon besiegt ist, gar nicht mehr zählen. Dessen Land wird auch den Israeliten nicht zum Besitze gegeben, sondern es wird durch Gottes Gebot festgesetzt, daß sie dasselbe für ewig verlassen und davon ausziehen. Deßhalb ist auch das Fasten so zu mäßigen, daß man nicht nöthig hat wegen Übertreibung der Enthaltung, deren Schuld in der Erschöpfung des Körpers oder Krankheit sich zeigt, wieder nach Ägypten zurückzukehren, d. i. zu der frühern Begierde des Gaumens und Fleisches, die wir bei der Weltentsagung von uns warfen. Das haben dem Vorbilde gemäß Jene erfahren, die ausgezogen in die Wüste der Tugenden wieder nach den Fleischtöpfen verlangten, an denen sie in Ägypten saßen.
19. Warum nur das Volk Ägyptens verlassen, die übrigen