Mit Diplomatie zum Ziel. Stéphane EtrillardЧитать онлайн книгу.
einen Konflikt heraufbeschwören und dem anderen unbeabsichtigt auf die Füße treten. Je nach Gesprächsthema kann die Stimmung mehrfach, mitunter innerhalb von Sekunden, umschlagen. Der Einfühlsame, der weiß oder wenigstens ahnt, was gerade im anderen vorgeht und womit er ihm zu nahe treten könnte, wird in wohl allen Fällen der bessere Gesprächspartner sein. Nur mit ihm ist auch in heiklen Situationen eine reibungslose Verständigung möglich. Ein empathischer Mensch ist im Gegensatz zum weniger feinfühligen in der Lage, sich in die Situation und Gefühlswelt seines Gesprächspartners einzufühlen. Er kann daher seine Argumente gezielter auf den anderen abstimmen, wird ihn besser verstehen und, wenn nötig, leichter überzeugen.
Eines der elementaren Ziele aller Gespräche ist das gegenseitige Verstehen. Wo es an Verständnis mangelt, ist ein lösungsorientiertes Vorgehen nicht möglich. Es wird nicht einmal zu einem befriedigenden Gespräch kommen, wenn sich zwei Gesprächspartner buchstäblich nicht verstehen. Mittels praktizierter Empathie lässt sich jede Verständigung effektiver und reibungsloser gestalten, weil wir viel schneller auf das Wesentliche einer Sache kommen können, ohne uns in Missverständnissen, Fehlinterpretationen und Nebensächlichkeiten zu verlieren. Wer sich in sein Gegenüber hineinversetzt, wird seine Gedanken besser nachvollziehen und die Person selbst (und nicht nur seine Worte) verstehen können.
Ein gutes Einfühlungsvermögen hilft zudem dabei, mit einer grundsätzlichen Schwierigkeit in der Kommunikation umzugehen: Emotionen werden ja selten in Worte gefasst und in den meisten Fällen nonverbal zum Ausdruck gebracht. Wer in der Lage ist, diese Signale zu »lesen«, hat einen großen Vorteil. Der empathische Mensch ist viel eher dazu fähig, auch körpersprachliche Signale – die Körperhaltung, die Mimik, die Gestik und die vielen kleinen Nuancen – richtig zu interpretieren. In wichtigen Gesprächen, beispielsweise in Verhandlungen, kann das entscheidend sein. Was es dafür braucht, ist erhöhte Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, sich auf den Gesprächspartner wirklich einzulassen.
Auf den EQ kommt es an
Der Begriff »emotionale Intelligenz« ist vor allem durch den Psychologen Daniel Goleman bekannt geworden. Gemeint ist damit eine Art Metafähigkeit, deren Ausprägung darüber entscheidet, wie gut ein Mensch seine übrigen Fähigkeiten nutzen kann. Die emotionale Intelligenz umfasst fünf wesentliche Punkte:
1. Selbstwahrnehmung: erkennen können, was man selbst fühlt und denkt
2. Selbstregulierung: mit seinen Gefühlen und Gedanken umgehen und sie gezielt verändern können, sodass sie angemessen sind und uns nicht unkontrolliert überfallen
3. Selbstbeherrschung und Selbstmotivation: mit seinen Gefühlen so umgehen können, dass man Impulse unterdrücken, Belohnungen hinausschieben und sich selbst motivieren kann
4. Empathie: sich in die Emotionen und Beweggründe anderer Menschen einfühlen können
5. Soziale Fähigkeiten: Sie machen es den Menschen möglich, Beziehungen erfolgreich zu handhaben und zu gestalten
Bei allen Beziehungen und dem gesamten sozialen Miteinander spielt die emotionale Intelligenz eine wesentliche Rolle. Es besteht übrigens kein direkter Zusammenhang zwischen der herkömmlichen Intelligenz, dem IQ, und der emotionalen Intelligenz, dem EQ. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Die emotionale Intelligenz ist, anders als der IQ, der nicht oder kaum mehr verändert werden kann, durchaus ausbaufähig. Über den Grad unserer emotionalen Intelligenz entscheiden wir also selbst.
Wie du mir, so ich dir …
Einem Menschen unvoreingenommen und vorurteilsfrei gegenüberzutreten ist keine ganz leichte Aufgabe und wird in einer angespannten Situation noch schwieriger sein. Es ist ohnehin kaum möglich, einen völlig objektiven, neutralen Standpunkt einzunehmen: Gewohnheiten, Verhaltensmuster, mangelnde Toleranz, Vorurteile und vorgefasste Meinungen, von denen sich niemand völlig freisprechen kann, hindern uns daran. Hinzu kommt ein fest in uns verankerter Verhaltenskodex, der sich indirekt aus der verbreiteten Redensart Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem andern zu ableitet. Weltweit ist dieser Grundsatz als Golden Rule verbreitet. Diese auf Toleranz und Nächstenliebe abzielende goldene Regel findet sich in ähnlichen Formulierungen sowohl bei Kant als auch in der Bibel und etlichen anderen Quellen. Sie ist zu einer Grundlage des menschlichen Miteinanders geworden, hat allerdings auch eine Schattenseite: Einen Schritt weiter gedacht ergibt sich daraus: Wie du mir, so ich dir. Und tatsächlich handeln wir im Rahmen unserer beruflichen und privaten Beziehungen durchaus häufig auf dieser Grundlage.
Das heißt natürlich nicht, dass Meinungsverschiedenheiten schnell in rohe Gewalt umschlagen müssen. Vielmehr hat sich der Gedanke der Gegenseitigkeit in uns verankert. »Wenn ich dir einen Gefallen erweise, erwarte ich, dass du mir auch einen Gefallen erweist.« Oder eben: »Wenn du mir in den Rücken fällst, werde ich dir auch in den Rücken fallen.« Die ursprüngliche goldene Regel wird also (leider) weniger direkt angewendet, die negativere Variante nach dem alttestamentarischen Prinzip »Auge um Auge« umso mehr. Und die Sache hat auch noch einen entscheidenden Haken: Ob sich ein anderer Mensch uns gegenüber gut oder schlecht verhält, ist zu großen Teilen Interpretationssache. Legen wir das Handeln eines Menschen negativ aus, folgt daraus ein feindseliges Verhalten unsererseits. Unser Verhalten wird von unserem Gegenüber wiederum interpretiert und entsprechend beantwortet – auf diese Weise entsteht leicht eine Negativspirale, die sich immer schneller weiterdreht. Das ist dann besonders bedauerlich, wenn es sich bei den Interpretationen um Fehlschlüsse handelt.
Beziehungen brauchen gegenseitige Toleranz.
Neben mangelnder Empathie ist vor allem fehlende Toleranz eine wesentliche Ursache für Fehlurteile. Das aus dem Lateinischen stammende Wort tolerare heißt in der genauen Übersetzung erdulden. Toleranz ist demnach das Dulden, Hinnehmen und Respektieren anderer Meinungen und der unterschiedlichsten Formen der Andersartigkeit. Wird von Toleranz gesprochen, geht es meist um ethische Fragen von einiger Tragweite. Oft vergessen wir, dass Toleranz bereits im Kleinen beginnt und das Zusammenleben von Menschen überhaupt erst möglich macht: Wer eine eigene Meinung hat, muss auch eine abweichende Meinung erdulden, sie also tolerieren können. Oft ist es ja ein Mensch aus unserem näheren Umfeld, der diese andere Meinung vertritt. Ohne das Tolerieren der Meinungen anderer wären die meisten Beziehungen überaus kurzlebig. Toleranz ist also zwingend erforderlich, weil die Menschen, mit denen wir in Beziehung treten, (glücklicherweise) nicht all unsere Überzeugungen mit uns teilen, sondern die Dinge mitunter ganz anders sehen.
Die Toleranzfähigkeit eines Menschen sagt viel über sein Selbstbewusstsein aus. Ist sie gut ausgeprägt, spricht das für ein gesundes Selbstwertgefühl und ganz generell für eine souveräne Persönlichkeit. Intolerante Menschen haben dagegen genau an diesen Punkten Defizite. Allerdings ist es auch nicht einfach, die Interessen und Positionen anderer in allen Fällen zu akzeptieren, sie zu erdulden. Doch darum geht es letztlich auch nicht. Das Ziel besteht lediglich darin, sich nicht schon prinzipiell zu verschließen. Toleranz bedeutet deshalb auch ausdrücklich nicht, jede beliebige Position zu übernehmen. Wenn wir eine Handlung oder Meinung akzeptieren, heißt das noch lange nicht, dass wir sie auch billigen (wir selbst können weiterhin eine abweichende Meinung haben und dafür eintreten) – das jedoch nicht aus Prinzip, sondern aufgrund einer tatsächlichen inneren Überzeugung.
Vorurteile und Klischees
Wir alle haben Vorurteile. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein.
Das Denken der Menschen ist selten völlig frei von Vorurteilen, den Vor-Verurteilungen. Viele Meinungen sind, oft unbewusst, klischeebehaftet und an Stereotypen ausgerichtet. Unser Denken und Handeln wird teilweise von versteckten Vorurteilen bestimmt. Sie zeigen sich oft dann, wenn wir persönlich betroffen sind. Wir glauben, durchweg tolerant zu sein, sind es dann aber plötzlich nicht mehr, wenn wir selbst mit einer bestimmten Situation, die echte Toleranz erfordern würde, konfrontiert werden. Sobald etwas nicht mehr den eigenen (Wunsch-)Vorstellungen entspricht, ist die Realität mitunter ernüchternd. Auch wenn wir es nicht gern hören: Unsere Wahrnehmung ist überaus stark von Vorurteilen beeinflusst.