Über das Priestertum. Johannes ChrysostomusЧитать онлайн книгу.
über das Verhältnis des Johannes Chrysostomus zum Hellenismus zu verdanken haben, faßt sein Urteil in die Worte zusammen: „Die Kraft und Vielseitigkeit seines Geistes, ein Geschenk der echt hellenischen harmonischen Entwicklung der reichen Anlagen des vielgepriesenen Jünglings, befähigten ihn, alle Zweige antiker Kultur zu beherrschen und die Anleihe vom Besten und Edelsten des Hellenismus in den Dienst des Christentums zu stellen, zur Belehrung und Bekehrung, zur Christianisierung wie zur Reformierung der divergierenden Teile der damaligen bürgerlichen und kirchlichen Sozietät”80.
So zeigt sich also unser Kirchenvater in idealstem Maße ausgestattet mit all dem formalen und materiellen Rüstzeug antik-klassischer Geisteskultur, wie sie die hervorragende Schule eines Libanius zu bieten hatte81. Allein schon aus der hier in deutscher Übersetzung vorzulegenden Schrift über das Priestertum läßt sich die Bekanntschaft des Verfassers mit einer recht stattlichen Anzahl von hervorstechenden Vertretern des antiken Kultur- und Geisteslebens erkennen, so mit Homer, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Isokrates, Demosthenes, Thukydides, Vergil und Plato82. Was speziell seine Vertrautheit mit dem zuletzt genannten Plato anbelangt, so ist schon bei einer flüchtigen Durchsicht der Werke unseres klassisch gebildeten Antiocheners leicht zu ersehen, wie in denselben unter den Namen der Geistesheroen des Griechentums kaum ein zweiter so häufig wiederkehrt als gerade der Platons, der ihm als „der Sohn des Ariston"83 bekannt ist. An zahlreichen Stellen84, an denen Chrysostomus die biblische Lehre wider die Aufstellungen der heidnischen Philosophie verteidigt, ist es in der Regel Plato, den er als Kronzeugen aufruft, offenbar als den nach seiner Auffassung gewichtigsten Vertreter der bekämpften gegnerischen Meinung. Diese seine Einschätzung wird auch wiederholt ausdrücklich ausgesprochen, indem er Plato „ὁ κορυφαὶος τῶν φιλοσόφων“85, „τῶν ἄλλων σεμνότερος“86 nennt oder als „πολλῆς ἀπολαύσας τιμῆς“87 bezeichnet. Nicht selten kommt er auch auf einzelne speziellen Lehren des Philosophen zu sprechen88 oder gibt seine Bekanntschaft mit einer und der anderen der platonischen Schriften kund89. So werden z. B. außer der Apologie90 teils ausdrücklich genannt oder zitiert, teils mit einer bloßen Anlehnung bedacht die Dialoge über den Staat91, der Kriton92, Timäus93, Theaitetos94 u. a.
E. Norden hat uns in seinem bekannten, bereits zitierten Werke über „Die antike Kunstprosa“95 umfassend dargelegt, wie Ausdrucksmittel, Stil, rhetorische Prosagesetze, literarische Formen usw. in der christlichen Literatur dieselben oder ähnliche geblieben sind wie in der antik-heidnischen. Speziell unser Chrysostomus hat namentlich in theoretischen Ausführungen des vierten und fünften Buches seiner Schrift „De sacerdotio” über höheren und niederen Stil, Rhythmus, Redefiguren u. dgl. aufs glänzendste gezeigt, wie sehr er mit den Gesetzen der antiken Kunstprosa vertraut war. Daß er neben anderen literarischen Formen auch die platonische Art und Weise kannte, vermittelst Einführung fingierter Personen die Rede bzw. Auseinandersetzung lebendiger zu gestalten, bekundete er durch häufige Anwendung der Kunstgattung der Diatribe. Diese ist, wie Norden96 sie charakterisiert, „nur eine Nebenform des Dialogs“, was leicht, wie er weiter ausführt, sich „aus einigen Stellen der platonischen Dialoge” nachweisen läßt, und „hat sich in der Weise aus dem Dialog entwickelt, daß der sie Vortragende an die Stelle der beiden im Dialog sprechenden Personen sich selbst und eine fingierte Person setzte“. Sie geht „durch alle Stufen hindurch vom bloßen Selbsteinwurf durch das Selbstgespräch bis zum förmlichen Dialog”97 und findet sich nach Jordans altchristlicher Literaturgeschichte98 „ganz besonders ausgebildet bei den griechischen Schriftstellern des vierten und fünften Jahrhunderts" und vor allem, wie Hirzel99 hervorhebt, als ihrem „glänzendsten Repräsentanten, bei Joh. Chrysostomus, mit der charakteristischen Modifikation, daß an die Stelle eines Bion, Krates und Diogenes die Apostel, namentlich Paulus, auch die Propheten, treten“. In der Tat begegnet uns der Gebrauch der Diatribe bei unserem Vater fast auf Schritt und Tritt und zwar nicht bloß in seinen Homilien, sondern auch in nichtrhetorischen Abhandlungen, so, um nur einzelne Beispiele anzuführen, in der dritten Homilie ad populum Antiochenum100, wo eine förmliche Diatribe mit dem Propheten Jonas veranstaltet wird, oder in seiner Schrift vom jungfräulichen Stande101, in welcher er sich selbst oder andere ungenannte Personen gerne in Zwiegespräche mit dem hl. Paulus einläßt, oder in der dritten und vierten Homilie zum Johannesevangelium102, bezüglich deren Norden103 ausdrücklich „auf die ganz platonische Art des fingierten Zwiegesprächs” aufmerksam macht.
Es steht also fest, es geht aus der angedeuteten häufigen Benützung der mit dem platonischen Dialoge innerlich verwandten, aus ihm entwickelten Diatribe hervor, daß sich Chrysostomus des hervorstechendsten Charakteristikums dieser Literaturgattung als einer rein literarischen Einkleidung ganz wohl bewußt war. Gewinnt da der Gedanke nicht wieder mehr an Wahrscheinlichkeit, Chrysostomus habe dieselbe literarische Form eines „fingierten Zwiegesprächs" unter Beiziehung einer fingierten Person —des Basilius — auch in seinem Dialoge „Über das Priestertum" betreffs kräftigerer und nachhaltigerer Erreichung seines Hauptzweckes, Verherrlichung des Priesteramtes, zur Anwendung bringen wollen?
Doch wollte man bei der Geltendmachung einer derartigen Anlage und Einrichtung seines Dialogs ungerechtfertigterweise etwa von einer direkten Abhängigkeit des früheren Libaniusschülers von Plato, dem eigentlichen literarischen Vater und Meister dieser Dialogform, absehen, so kann schließlich noch darauf hingewiesen werden, wie die fragliche Dialogform als rein literarische Einkleidung, als schriftstellerische Fiktion, ohne die Wiedergabe einer konkreten Situation, eines wirklich gehaltenen Gespräches sein zu wollen, seit Plato und den übrigen Sokratikern zum Gemeingut, man kann sagen, der Gesamtliteratur bis in die neueste Zeit geworden ist, daß speziell auch der christlichen Literatur vor Chrysostomus und zu seiner Zeit diese literarische Art wohl bekannt war, ja in ihr eine hervorragende Rolle spielte. Mehr als hinlängliche Beweise hierfür bieten die schon wiederholt zitierten zwei Bände von R. Hirzel, der eine umfassende Geschichte des Dialogs von seinem Ursprünge bis auf unsere Tage geschrieben und darin auch „den Dialog in der altchristlichen Literatur"104 eingehend behandelt hat. Ausschließlich das entsprechende Material aus altchristlicher Zeit hat in dankenswerter Weise erschöpfend zusammengetragen H. Jordan, der es unternommen, eine Darstellung der altchristlichen Literatur von rein literarischen Gesichtspunkten aus zu bieten und dementsprechend auch dem Dialog ein eigenes Kapitel (VI)105 widmete.
Es erübrigt sich infolgedessen, auf die weit verbreitete Benützung der Dialogform in altchristlicher Zeit hier näher einzugehen. Es sei nur daran erinnert, wie der Dialog in „glänzenden“106 Exemplaren sogar schon im alttestamentlichen Schrifttum Eingang gefunden hatte, wie das Buch Hiob und das Hohe Lied bezeugen, und daß der aus der Dialogform hervorgegangene Diatribenstil bereits den neutestamentlichen Schriftstellern geläufig war und in den Briefen des hl. Apostels Paulus107 und im Jakobusbrief108 zur Anwendung, gelangte109 — Beweis genug, wie diese untereinander verwandten Literaturformen allüberall Gemeingut der literarischen Kreise geworden waren. Bei der weiteren Verfolgung der altchristlichen Literaturentwicklung macht Hirzel110 darauf aufmerksam, wie all das, „was irgend in das Leben des jungen Christentums tiefer eingriff, jedes bedeutende Neue, das besprochen und leidenschaftlich hin und her erörtert wurde, sich eben hierdurch zu dialogischer Behandlung darbot”. Betreffs des U r s p r u n g s des christlichen Dialogs hält es Jordan111 für ausgeschlossen, zu dessen Erklärung etwa direkte Einwirkungen heranzuziehen, die von den obengenannten alttestamentlichen Dialogen oder von jüdischen Schulgesprächen des ersten Jahrhunderts ausgegangen wären. „Der Dialog christlichen Inhalts muß entwicklungsgeschichtlich vielmehr aufgefaßt werden als ein Gewächs auf dem Boden der griechischen und lateinischen Literatur, in seinen Arten, Formen, seinem Stile usw. von dorther völlig bestimmt…. Griechen, die in der Schule der Rhetoren gebildet waren oder doch wenigstens unter einigem Einfluß von dorther standen, haben diese Form dem Christentum zugeführt.“
Das zeigt sich ohne weiteres bei dem ältesten uns völlig erhaltenen Dialog des für Plato begeisterten Apologeten Justin mit dem Juden Tryphon aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Es läßt sich leicht nachweisen, wie der Verfasser