Die Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruders Medardus eines Kapuziners. E. T. A. HoffmannЧитать онлайн книгу.
schaute Leonardus mich an, ich konnte seinen Blick nicht ertragen, schluchzend stürzte ich nieder in den Staub, mich bewusst des bösen Vorhabens. »Ich verstehe dich«, fuhr Leonardus fort, »und glaube selbst, dass besser als die Einsamkeit des Klosters die Welt, wenn du sie in Frömmigkeit durchziehst, dich von deiner Verirrung heilen wird. Eine Angelegenheit unseres Klosters erfordert die Sendung eines Bruders nach Rom. Ich habe dich dazu gewählt, und schon morgen kannst du, mit den nötigen Vollmachten und Instruktionen versehen, deine Reise antreten. Umso mehr eignest du dich zur Ausführung dieses Auftrages, als du noch jung, rüstig, gewandt in Geschäften und der italienischen Sprache vollkommen mächtig bist. – Begib dich jetzt in deine Zelle; bete mit Inbrunst, um das Heil deiner Seele, ich will ein Gleiches tun, doch unterlasse alle Kasteiungen, die dich nur schwächen und zur Reise untauglich machen würden. Mit dem Anbruch des Tages erwarte ich dich hier im Zimmer.«
Wie ein Strahl des Himmels erleuchteten mich die Worte des ehrwürdigen Leonardus; ich hatte ihn gehasst, aber jetzt durchdrang mich wie ein wonnevoller Schmerz die Liebe, welche mich sonst an ihn gefesselt hatte. Ich vergoss heiße Tränen, ich drückte seine Hände an die Lippen. Er umarmte mich, und es war mir, als wisse er nun meine geheimsten Gedanken und erteile mir die Freiheit, dem Verhängnis nachzugeben, das, über mich waltend, nach minutenlanger Seligkeit mich vielleicht in ewiges Verderben stürzen konnte.
Nun war die Flucht unnötig geworden, ich konnte das Kloster verlassen und ihr, ihr, ohne die nun keine Ruhe, kein Heil für mich hienieden zu finden, rastlos folgen, bis [61]ich sie gefunden. Die Reise nach Rom, die Aufträge dahin schienen mir nur von Leonardus ersonnen, um mich auf schickliche Weise aus dem Kloster zu entlassen.
Die Nacht brachte ich betend und mich bereitend zur Reise zu, den Rest des geheimnisvollen Weins füllte ich in eine Korbflasche, um ihn als bewährtes Wirkungsmittel zu gebrauchen, und setzte die Flasche, welche sonst das Elixier enthielt, wieder in die Kiste.
Nicht wenig verwundert war ich, als ich aus den weitläuftigen Instruktionen des Priors wahrnahm, dass es mit meiner Sendung nach Rom nun wohl seine Richtigkeit hatte und dass die Angelegenheit, welche dort die Gegenwart eines bevollmächtigten Bruders verlangte, gar viel bedeutete und in sich trug. Es fiel mir schwer aufs Herz, dass ich gesonnen, mit dem ersten Schritt aus dem Kloster ohne alle Rücksicht mich meiner Freiheit zu überlassen; doch der Gedanke an sie ermutigte mich, und ich beschloss, meinem Plane treu zu bleiben.
Die Brüder versammelten sich, und der Abschied von ihnen, vorzüglich von dem Vater Leonardus, erfüllte mich mit der tiefsten Wehmut. – Endlich schloss sich die Klosterpforte hinter mir, und ich war gerüstet zur weiten Reise im Freien.
[62]Zweiter Abschnitt
Der Eintritt in die Welt
In blauen Duft gehüllt lag das Kloster unter mir im Tale; der frische Morgenwind rührte sich und trug, die Lüfte durchstreichend, die frommen Gesänge der Brüder zu mir herauf. Unwillkürlich stimmte ich ein. Die Sonne trat in flammender Glut hinter der Stadt hervor, ihr funkelndes Gold erglänzte in den Bäumen, und in freudigem Rauschen fielen die Tautropfen wie glühende Diamanten herab auf tausend bunte Insektlein, die sich schwirrend und sumsend erhoben. Die Vögel erwachten und flatterten, singend und jubilierend und sich in froher Lust liebkosend, durch den Wald! – Ein Zug von Bauerburschen und festlich geschmückter Dirnen kam den Berg herauf. »Gelobt sei Jesus Christus!« riefen sie, bei mir vorüberwandelnd. »In Ewigkeit!« antwortete ich, und es war mir, als trete ein neues Leben voll Lust und Freiheit mit tausend holdseligen Erscheinungen auf mich ein! – Nie war mir so zumute gewesen, ich schien mir selbst ein andrer und, wie von neuerweckter Kraft beseelt und begeistert, schritt ich rasch fort durch den Wald, den Berg herab. Den Bauer, der mir jetzt in den Weg kam, frug ich nach dem Orte, den meine Reiseroute als den ersten bezeichnete, wo ich übernachten sollte; und er beschrieb mir genau einen nähern, von der Heerstraße abweichenden Richtsteig mitten durchs Gebürge. Schon war ich eine ziemliche Strecke einsam fortgewandelt, als mir erst der Gedanke an die Unbekannte und an den phantastischen Plan, sie aufzusuchen, wieder kam. Aber ihr Bild war wie von fremder, unbekannter Macht verwischt, so dass ich [63]nur mit Mühe die bleichen, entstellten Züge wiedererkennen konnte; je mehr ich trachtete, die Erscheinung im Geiste festzuhalten, desto mehr zerrann sie in Nebel. Nur mein ausgelassenes Betragen im Kloster nach jener geheimnisvollen Begebenheit stand mir noch klar vor Augen. Es war mir jetzt selbst unbegreiflich, mit welcher Langmut der Prior das alles ertragen und mich statt der wohlverdienten Strafe in die Welt geschickt hatte. Bald war ich überzeugt, dass jene Erscheinung des unbekannten Weibes nur eine Vision gewesen, die Folge gar zu großer Anstrengung, und statt, wie ich sonst getan haben würde, das verführerische, verderbliche Trugbild der steten Verfolgung des Widersachers zuzuschreiben, rechnete ich es nur der Täuschung der eignen aufgeregten Sinne zu, da der Umstand, dass die Fremde ganz wie die heilige Rosalia gekleidet gewesen, mir zu beweisen schien, dass das lebhafte Bild jener Heiligen, welches ich wirklich, wiewohl in beträchtlicher Ferne und in schiefer Richtung aus dem Beichtstuhl sehen konnte, großen Anteil daran gehabt habe. Tief bewunderte ich die Weisheit des Priors, der das richtige Mittel zu meiner Heilung wählte, denn, in den Klostermauern eingeschlossen, immer von denselben Gegenständen umgeben, immer brütend und hineinzehrend in das Innere, hätte mich jene Vision, der die Einsamkeit glühendere, keckere Farben lieh, zum Wahnsinn gebracht. Immer vertrauter werdend mit der Idee, nur geträumt zu haben, konnte ich mich kaum des Lachens über mich selbst erwehren, ja mit einer Frivolität, die mir sonst nicht eigen, scherzte ich im Innern über den Gedanken, eine Heilige in mich verliebt zu wähnen, wobei ich zugleich daran dachte, dass ich ja selbst schon einmal der heilige Antonius gewesen.
[64]Schon mehrere Tage war ich durch das Gebürge gewandelt, zwischen kühn emporgetürmten, schauerlichen Felsenmassen, über schmale Stege, unter denen reißende Waldbäche brausten; immer öder, immer beschwerlicher wurde der Weg. Es war hoher Mittag, die Sonne brannte auf mein unbedecktes Haupt, ich lechzte vor Durst, aber keine Quelle war in der Nähe, und noch immer konnte ich nicht das Dorf erreichen, auf das ich stoßen sollte. Ganz entkräftet setzte ich mich auf ein Felsstück und konnte nicht widerstehen, einen Zug aus der Korbflasche zu tun, unerachtet ich das seltsame Getränk so viel nur möglich aufsparen wollte. Neue Kraft durchglühte meine Adern, und erfrischt und gestärkt schritt ich weiter, um mein Ziel, das nicht mehr fern sein konnte, zu erreichen. Immer dichter und dichter wurde der Tannenwald, im tiefsten Dickicht rauschte es, und bald darauf wieherte laut ein Pferd, das dort angebunden. Ich trat einige Schritte weiter und erstarrte beinahe vor Schreck, als ich dicht an einem jähen, entsetzlichen Abgrund stand, in den sich zwischen schroffen, spitzen Felsen ein Waldbach zischend und brausend hinabstürzte, dessen donnerndes Getöse ich schon in der Ferne vernommen. Dicht, dicht an dem Sturz saß auf einem über die Tiefe hervorragenden Felsenstück ein junger Mann in Uniform, der Hut mit dem hohen Federbusch, der Degen, ein Portefeuille lagen neben ihm. Mit dem ganzen Körper über den Abgrund hängend, schien er eingeschlafen und immer mehr und mehr herüberzusinken. – Sein Sturz war unvermeidlich. Ich wagte mich heran; indem ich ihn mit der Hand ergreifen und zurückhalten wollte, schrie ich laut: »Um Jesus willen! Herr! – erwacht! – Um Jesus willen!« – Sowie ich ihn berührte, fuhr er aus [65]tiefem Schlafe, aber in demselben Augenblick stürzte er, das Gleichgewicht verlierend, hinab in den Abgrund, dass, von Felsenspitze zu Felsenspitze geworfen, die zerschmetterten Glieder zusammenkrachten; sein schneidendes Jammergeschrei verhallte in der unermesslichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauftönte, das endlich auch erstarb. Leblos vor Schreck und Entsetzen stand ich da, endlich ergriff ich den Hut, den Degen, das Portefeuille und wollte mich schnell von dem Unglücksorte entfernen, da trat mir ein junger Mensch aus dem Tannenwalde entgegen, wie ein Jäger gekleidet, schaute mir erst starr ins Gesicht und fing dann an, ganz übermäßig zu lachen, so dass ein eiskalter Schauer mich durchbebte.
»Nun, gnädiger Herr Graf«, sprach endlich der junge Mensch, »die Maskerade ist in der Tat vollständig und herrlich, und wäre die gnädige Frau nicht schon vorher davon unterrichtet, wahrhaftig, sie würde den Herzensgeliebten nicht wiedererkennen. Wo haben Sie aber die Uniform hingetan, gnädiger Herr?« – »Die schleuderte ich hinab in den Abgrund«, antwortete es aus mir hohl und dumpf, denn ich war es nicht, der diese Worte sprach, unwillkürlich entflohen sie meinen Lippen. In mich gekehrt, immer in den Abgrund