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Flöten und Dolche. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Flöten und Dolche - Heinrich Mann


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Verzweiflung alle auf einmal erniedrigt. Eine entführte Prinzessin Gallipoli — wer war die, vor der ich noch die Lider zu senken brauchte. Ach, ich behielt trotzdem immer die Neigung, zu Boden zu sehen. Jede Frechheit bei Frauen ist mir seither gelungen; aber zu jeder habe ich mich zwingen müssen.

      Man wirft mir Unzartheiten vor, etwas Schlimmeres als Frechheiten. Ein Klubmann hat sich geweigert, sich mit mir zu schlagen, und ein Ehrenrat hat ihm recht gegeben. Die Toren, wie könnten sie ahnen, dass meine Unzartheiten aus meiner Furcht vor der eigenen Zartheit stammen. Ich leide an zu viel Verstehen, zu viel Bedenken, zu viel Voraussicht des Jammers der andern. Ich habe ganz das Zeug, als Besiegter zu enden. Welche Selbstvergewaltigung hat es mich gekostet, die kleine Prinzessin Nora sitzen zu lassen, entehrt, deklassiert. Noch heute, wenn ich ihr in Rom in der hohen Halbwelt begegne — ich spüre etwas wie Angst…

      Hab’ ich nicht oftmals Angst wegen Tina, der großen Tragödin, die an mir leidet?“

      Mario Malvolto warf sich in den Wagen zurück, er spähte erregt nach der Höhe des fernen Berges, wo dem Mondgrau weiter Laubwellen mondgrau ein Schloss entstieg. Ein Licht, ein kleines, bohrendes, schwelendes Licht stak, ähnlich einem Gedanken, hinter einer Baumkrone und verwandelte sie in eine rötliche Wolke.

      „Wo in der Welt wacht sie jetzt? Wie lange schon bin ich ohne Nachricht. Es ist schlimm diesmal, da sie sich geweigert hat, heute Abend die Schöpferin meiner Arachne zu sein. Habe ich ihr einen Schmerz zugefügt, den ich nicht von ihr empfangen hätte? Wer ist so kundig im Leiden und im Leidenmachen als wir beide. Wir wissen, dass wir nirgends so arbeiten, dass wir nie so große Künstler sind, wie beieinander, durcheinander. Und trotz aller Verwünschungen, aller Erschlaffung und allen Hasses stürzen wir immer wieder aufeinander zu. Es gibt in der Welt keine Komödie wie unsere Liebe. Hinter allen unseren Leidenschaften, wilden Gestalten, die von unserm Leben brennen, lauert die Kunst, ein zweifelhaft lächelnder Kulissenmensch, gierig nach Wirkungen für eine neue Rolle.

      Von Zeit zu Zeit ertappt einer den andern darauf, dass er nur Komödie spielt. Und plötzlich bricht bei beiden der Ekel aus, und wir prallen auseinander. Aber vier Monate später erscheinen wir wieder bei der Probe. Das ist Berufsangelegenheit. Von Liebe hat das nichts — nichts von der Liebe, für die man als Jüngling die arbeitsamen Nächte durchwacht, um derentwillen man den Ruhm ersehnt. Denn ich möchte wissen, wozu der Ruhm dient, wenn er nicht Liebe einträgt … Ach, er ist Phantom wie sie. Er entweicht immer weiter, je hastiger man auf ihn zuläuft. Als ich ganz unbekannt war, hatte er Körper; ein König, der den goldenen Kranz schwang. Seit ich ihn Fetzen um Fetzen erkauft habe und genau weiß, wie er hergestellt wird — was kann er mich noch fühlen lassen. Der Ruhm ist ein von mir weithin ausgestreuter, glänzender Irrtum über meine Person. Er gilt einem, der nicht ich bin. Über mich darf die Wahrheit keiner wissen.

      Man muss sagen: Dieser Malvolto behandelt Weiber und Leben mit einer Entschlossenheit — etwas anrüchig ist er. Er ist ein stählerner Daseinskämpfer, das ist auch die Seele seiner Kunst. Die Größe und die Kraft der Rasse ist auferstanden in einem Dichter. Man sieht, auch in einer schmalen Brust können sie sich erheben. Die Renaissance ist, zum Angriff bereit, zurückgekehrt … Das muss man sagen, und darf nichts ahnen von meinen schwarzen Ängsten, von der Demütigung, die mir jede Frau, jedes große Kunstwerk, jeder gesunde Mann zufügt; nichts davon, dass ich für eine meiner Seiten, worin das Leben rauscht mit reichem Blut, halbe Tage seelischen Jammers und hygienischer Übungen bezahle. Ich will nicht, dass man es ahne. Es steht wohl hinter jeder vollendeten Schönheit der Schmerz und hat noch den Meißel in der Hand. Sollte ich nicht stolz sein?

      Ich fühle den melancholischen Stolz auf ein Werk, das nicht die Kraft schuf, sondern nur der Wille zu ihr; auf ein Leben ohne wahre Stärke, das nur sehnsüchtiger Drang in die Höhe reckt, wie eine Niobe ihre Arme. Ich sehne mich am Schlusse von allen, die ich gehabt habe, noch heute nach der Frau. Ich träume noch von ihr wie mit zwanzig Jahren — nur hoffnungsloser. Denn ich habe sie inzwischen erprobt, und dass sie nie die Gefährtin des Komödianten ist. Sie ist mir zu ähnlich, was hätte sie mir zu bieten, oder ich ihr. Sie will selber Applaus. Sie will mit Leidenschaften bezahlt werden: — mir ist sie zu teuer. Ich brauche meine Gefühle, um sie den Leuten vorzuspielen. Ich muss an meiner Seele sparen, damit andere sich mit ihr berauschen können. Je mehr ich Leben austeile, desto ärmer muss mein eigenes werden.

      Die seltenere Frau aber und die wahre — sie, die sich einfach hingibt, in unbedachter Leidenschaft; die an nichts zweifelt, nichts verlangt, keinen Beifall, kein Martyrium; die all ihr Leben zusammenrafft, um es ohne ein Zaudern, ohne ein Besinnen auf Welt, Ruf, Zukunft in meines zu werfen, mich reich zu machen, durch mich zu atmen und mit mir unterzugehen: natürlich gibt es sie für mich nicht. Träte sie auch leibhaftig in meine Tür, das Wunder wäre unvollständig. Denn in mir, in meinen Tagen, hätte sie nicht Raum: nicht sie selbst, die zu groß, zu stark wäre; nur die Sehnsucht nach ihr!

      Hab’ ich sie heute Abend wieder begehrt, auf der Bühne, durch das Loch im Vorhang, hinter dem mein Platz ist! Hab’ ich sie alle begehrt!“

      Mario Malvolto legte den Kopf in den Nacken, stöhnte und schaute tief in den bleichen Fluss der Sterne.

      „Ich kannte fast alle. Ein paar hatte ich besessen, einige andere könnte ich haben. Wozu. Soll ich sie zu meiner sentimentalen Erziehung und zu meinem gesellschaftlichen Fortkommen benutzen, wie die kleine Prinzessin Nora, oder zum Studium von zwanzig verschiedenen Rollen, wie Tina, die Tragödin? Oder sollen sie arme leere Gliederpuppen sein wie Mimi, und ich behänge sie im Traum mit Leidenschaften, die weder sie erleben werden noch ich? Sollen sie zum Schluss dahinterkommen, wer ich bin, und mich beleidigt und voll Verachtung wegschicken? … Man wird müde, die Sterne dort oben mit den Augen zu pflücken, einen nach dem andern, und am Ende nichts in den Händen zu halten…

      So glänzten sie auf den Rängen heute Abend.“

      Er betrachtete einen großen, reifen Stern.

      „Die Linozzo. Ägyptisch platte, lange Nase, lange Augen eng beieinander. Die Brauen dicht unter der fettschwarzen Haarwelle. Weiter weicher Mund, feucht, tief gefärbt, beweglich. Sie ist am begehrenswertesten, wenn sie einen hellglitzernden Fächer an den Mundwinkel hält, oder wenn sie über die Schulter weg, den Kopf zurückgelegt, aus den Ecken ihrer Augen lächelt … Solange ich in der Loge der Königin war, hat sie immerfort hingesehen. Sie ist ehrgeizig, ich könnte sie haben.“

      Seine Augen hängten sich an andere Gestirne.

      „Die Borgosinale. Ein fettes Profil mit hängendem Kinn, wildäugig aus einem heftigen Wulst braunroter Haare hervor, über einem mächtigen Hermelinkragen. Das war eine der ersten, die mich hinauf gehisst haben. Auf ihrem zerstörten Gesicht treffe ich meine Erinnerungen an so viele erlogene Aufregungen. Sie aber war vielleicht ehrlich?

      Eine Unmögliche: die Lancredoni. Magere Prinzessin von bräunlicher Haut. Ein steiler Hals trägt den kleinen, starren Kopf, mit der entweichenden Linie von Nase und Stirn. Der Spitzenärmel entfaltet sich sehr tief unter der nackten Schulter, die abfällt, zerbrechlich, rein. Unter den kalten Blitzen ihres Diadems gähnt die Prinzessin … Und heute Abend, hinter meinem Vorhang, hab’ ich sie vergewaltigt! Ich habe zu ihr hinauf triumphiert, wissend, dass ich mehr von ihr schmecke als der, der sie jede Nacht in den Armen hielte! Was bleibt davon übrig. Vielleicht ein paar Zeilen, die ich drucken lasse. Aber für mich, in der Seele?…

      Die jungen Mädchen! Da saßen sie, ganz nah, und lugten helläugig aus einer Welt hervor, in die kein Weg führt. Die Cantoggi traf einmal mein Auge, im Loch des Vorhangs. Ich erschrak tief über diesen Blick, den sie aussandte, ohne zu ahnen wohin.

      Welche von ihnen kommt und nimmt mich bei der Hand und führt mich heimwärts in ihr Land, wo man stark und mit Unschuld empfindet!

      Keine. Denn sie haben selbst nichts Eiligeres zu tun, als die Komödie zu erlernen. Gemma Cantoggi, das Kind, frisch vom Lande, heiratet den Lanti, einen Viveur auf dem Abmarsch. Sauber ist das.

      Verlangt man von einer, sie solle machen, dass man sich selbst vergisst — wahrscheinlich darf man auch von ihr nichts wissen? Im Parkett saß eine Fremde, ein schönes, starkes Profil unter der Samtschleife des großen Hutes. Eine wehende Krawatte hüllte sie bis an den Mund in rosige Gaze…“


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