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Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat - Heinrich Mann


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      Professor Unrat

       Oder das Ende eines Tyrannen

      HEINRICH MANN

      

      

      

       Professor Unrat, H. Mann

       Jazzybee Verlag Jürgen Beck

       86450 Altenmünster, Loschberg 9

       Deutschland

      

       ISBN: 9783849660086

      

       Grundlage dieser Ausgabe ist die Ausgabe des Jahres 1906/1907, die auf GITENBERG (https://github.com/GITenberg/Professor-Unrat-oder-Das-Ende-eines-Tyrannen_35264) zur Verfügung steht. Der Text wurde überarbeitet und in großen Teilen der neuen, deutschen Rechtschreibung angepasst.

      

       www.jazzybee-verlag.de

       [email protected]

      

      

      INHALT:

       I 1

       II 11

       III 21

       IV.. 29

       V.. 45

       VI 52

       VII 68

       VIII 72

       IX.. 77

       X.. 85

       XI 96

       XII 109

       XIII 120

       XIV.. 129

       XV.. 134

       XVI 140

       XVII 145

      I

      Da er Raat hieß, nannte die ganze Schule ihn Unrat. Nichts konnte einfacher und natürlicher sein. Der und jener Professor wechselten zuweilen ihr Pseudonym. Ein neuer Schub Schüler gelangte in die Klasse, legte mordgierig eine vom vorigen Jahrgang noch nicht genug gewürdigte Komik an dem Lehrer bloß und nannte sie schonungslos bei Namen. Unrat aber trug den seinigen seit vielen Generationen, der ganzen Stadt war er geläufig, seine Kollegen benutzten ihn außerhalb des Gymnasiums und auch drinnen, sobald er den Rücken drehte. Die Herren, die in ihrem Hause Schüler verpflegten und sie zur Arbeit anhielten, sprachen vor ihren Pensionären vom Professor Unrat. Der aufgeweckte Kopf, der den Ordinarius der Untersekunda hätte neu beobachten und nochmals abstempeln wollen, wäre nie durchgedrungen; schon darum nicht, weil der gewohnte Ruf auf den alten Lehrer noch so gut seine Wirkung übte wie vor sechsundzwanzig Jahren. Man brauchte nur auf dem Schulhof, sobald er vorbeikam, einander zuzuschreien:

      »Riecht es hier nicht nach Unrat?«

      Oder:

      »Oho! Ich wittere Unrat!«

      Und sofort zuckte der Alte heftig mit der Schulter, immer mit der rechten, zu hohen, und sandte schief aus seinen Brillengläsern einen grünen Blick, den die Schüler falsch nannten, und der scheu und rachsüchtig war: der Blick eines Tyrannen mit schlechtem Gewissen, der in den Falten der Mäntel nach Dolchen späht. Sein hölzernes Kinn mit dem dünnen, graugelben Bärtchen daran klappte herunter und hinauf. Er konnte dem Schüler, der geschrien hatte, »nichts beweisen« und musste weiterschleichen auf seinen magern, eingeknickten Beinen und unter seinem fettigen Maurerhut.

      Zu seiner Jubelfeier im Vorjahr hatte das Gymnasium ihm einen Fackelzug gebracht. Er war auf seinen Balkon getreten und hatte geredet. Während alle Köpfe, in den Nacken gelegt, zu ihm hinaufsahen, war plötzlich eine unschöne Quetschstimme losgegangen:

      »Da ist Unrat in der Luft!«

      Andere hatten wiederholt:

      »Unrat in der Luft! Unrat in der Luft!«

      Der Professor dort oben fing an zu stottern, obwohl er den Zwischenfall vorausgesehen hatte, und sah dabei jedem der Schreier in den geöffneten Mund. Die andern Herren standen in der Nähe; er fühlte, dass er wieder einmal »nichts beweisen« könne; aber er merkte sich alle Namen. Schon tags darauf gab der mit der gequetschten Stimme dadurch, dass er das Heimatsdorf der Jungfrau von Orleans nicht kannte, dem Professor Gelegenheit zu der Versicherung, er werde ihm im Leben noch oftmals hinderlich sein. Richtig war dieser Kieselack zu Ostern nicht versetzt worden. Mit ihm blieben die meisten in der Klasse zurück von denen, die am Jubiläumsabend geschrien hatten, so auch von Ertzum. Lohmann hatte nicht geschrien und blieb dennoch sitzen. Dieser erleichterte die Absicht Unrats durch seine Trägheit und jener durch seine Unbegabtheit. Nächsten Spätherbst nun, an einem Vormittag um elf, in der Pause vor dem Klassenaufsatz über die Jungfrau von Orleans, geschah es, dass von Ertzum, der der Jungfrau immer noch nicht nähergetreten war und eine Katastrophe voraussah, in einem Anfall schwerfälliger Verzweiflung das Fenster aufriss und aufs Geratewohl, mit wüster Stimme in den Nebel hinausbrüllte:

      »Unrat!«

      Es war ihm unbekannt, ob der Professor in der Nähe sei, und es war ihm gleichgültig. Der arme, breite Landjunker war nur von dem Bedürfnis fortgerissen worden, noch einen kurzen Augenblick seinen Organen freies Spiel zu gewähren, bevor er sich für zwei Stunden hinhocken musste vor ein weißes Blatt, das leer war, und es mit Worten bedecken aus seinem Kopf heraus, der auch leer war. Tatsächlich aber ging Unrat grade über den Hof. Als der Ruf aus dem Fenster ihn traf, machte er einen eckigen Sprung. Im Nebel droben unterschied er von Ertzums knorrigen Umriss. Kein Schüler hielt sich drunten auf, keinem konnte von Ertzum das Wort zugerufen haben. »Dieses Mal«, dachte Unrat frohlockend, »hat er mich gemeint. Diesmal kann ich es ihm beweisen!«

      Er nahm die Treppe in fünf Sätzen, riss die Klassentür auf, hastete zwischen den Bänken hindurch, schwang sich, in das Katheder gekrallt, auf die Stufe. Da blieb er bebend stehen und musste Atem schöpfen. Die Sekundaner hatten sich zu seiner Begrüßung erhoben, und äußerster Lärm war jäh in ein Schweigen versunken, das förmlich betäubte. Sie sahen ihrem Ordinarius zu, wie einem gemeingefährlichen Vieh, das man leider nicht totschlagen durfte, und das augenblicklich sogar einen peinlichen Vorteil über sie gewonnen hatte. Unrats Brust arbeitete heftig; schließlich sagte er mit seiner begrabenen Stimme:

      »Es ist mir da vorhin immer mal wieder ein Wort zugerufen worden, eine Bezeichnung – ein Name denn also: ich bin


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