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Die kleine Stadt. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die kleine Stadt - Heinrich Mann


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Plötzlich sah er auf, mit schwarzen Runzeln über die Hornränder seines Klemmers hinweg.

      „Von wem haben denn Sie einen solchen Ring, junger Mann?“

      Nello errötete tief, zog den Finger zurück und machte sich mit einem Gemurmel davon.

      „Ich bin ihrer unwürdig! Noch trage ich den Ring von der Frau des Juweliers!“

      Und er suchte Dunkel auf.

      Aber es blieb nicht dunkel. Aus dem Corso, über den Platz und zum Tor stürmte ein Haufen Jungen mit Kerzen in Papierdüten. Alle schrien:

      „Sie kommen! Es kommen noch mehr!“

      Sogleich klappten ringsum Fensterläden an die Mauern, und Licht fiel herab. Die Häuser begannen sich wieder zu leeren von Neugierigen, die noch die Münder wischten. Alle sammelten sich am Ausgange des Platzes, reckten die Arme nach dem Tor und lärmten mit. Denn immer lauter ward dort hinten das Gewirr von Lachen und Gekreisch, das Trommeln auf Holz, das Singen . . . Und mit Rasseln, Knallen und Gebell und umtollt von den Windlichtern der Jungen, brach, voll weiblicher Schreistimmen, ein ganz bunter Wagen herein — niemand begriff etwas vor Buntheit — fuhr mitten auf den Platz und war da. Schon standen, rückwärts gebogen, junge Leute darum her und breiteten Arme aus, lauter Arme, die sich wiegten; — und auf allen Seiten des hohen Stellwagens blähten bunte Röcke und Blusen sich auf, wie die Mädchen hinab in die Arme sprangen, mit geschlossenen Augen darauf los, als sei ringsum Wasser. Dann kletterten die Männer herab.

      „Die Choristen sind gekommen!“ rief man den Häusern hinan; und die noch droben waren, stiegen auf den Platz. Im Café ward es ganz hell. Der Konditor Serafini im Corso musste seinen Laden wieder aufgemacht haben, denn der Karren mit dem Gefrorenen klingelte durchs Gedränge. Der Advokat Belotti wand sich hindurch, er keuchte.

      „Wir haben Wohnungen, meine Damen, wir sind das Komitee.“

      „Wir sind das Komitee“, heulten die Jungen ihm nach.

      Der Advokat schwenkte immer krampfhafter seine Liste über den Köpfen. Der Schneider Chiaralunzi und der junge Savezzo riefen ihren Freunden zu, die Musikinstrumente zu holen.

      „Gott! Hilf noch dies eine Mal!“ schrie eine Alte, die erdrückt ward; und die Frau des Kirchendieners Pipistrelli:

      „Die Welt geht unter: er hat recht, Don Taddeo. O wir Sünder!“

      Im Café „zum Fortschritt“ stand man Fuß an Fuß.

      „Gevatter Achille! Einen schwarzen Punsch!“ riefen die vordersten; aber der Wirt war hinter seinem Schenktisch eingesperrt und durfte nicht einmal seinen Bauch darüber wegstrecken. Die gefüllten Gläser, die er hinhielt, reichte einer dem andern. Er kam ins Feuer und verkündete dröhnend:

      „Für drei Konsumationen eine umsonst!“

      Draußen ließ sein Sohn, der schöne Alfò, sich vom Gewühl umherwerfen und konnte nicht mehr zurück. Er lächelte töricht, sooft ihm eine Frau begegnete; aber wie er der kleinen Rina, der Magd des Tabakhändlers Polli, einen Kuss zuwarf, ward er von hinten grob angelassen. Er hatte jemand getreten, den Tenor Nello Gennari, der an der Mauer lehnte, schon im Gässchen der Hühnerlucia, und im Dunkeln auf seine Lippe biß. Der schöne Alfò entschuldigte sich freundlich.

      „Das kommt von all den Mädchen, die hier sind, mein Herr. Man hat so viel zu tun, wenn man schön ist.“

      Der Tenor sah ihn an.

      „Es muss ein gutes Leben sein,“ sagte er auflachend, „wenn man schön ist.“

      „Nicht immer, mein Herr. Denn alle wollen einen heiraten, und ich werde doch nur die Schönste heiraten: Alba Nardini, die schöne Alba.“

      „Wie heißt sie, die Schönste?“

      Da brach die Musik los, als börsten alle Hörner.

      „Sie heißt Alba? Reden Sie doch!“

      Der schöne Alfò nickte nur noch. Eine Volkswelle trug ihn weiter. Alles stürzte vor. Um die Musik her begann ein Drehen: die Stadt tanzte. Sie lärmte in der Nacht, war bunt und tanzte. Nello Gennari ging, den Kopf im Nacken, mit von sich gestreckten und gerungenen Händen, ganz langsam in die Gasse der Hühnerlucia hinein.

      „Sie heißt Alba!“

      Plötzlich fiel er mit Brust und Gesicht gegen die feuchte schwarze Mauer und weinte über das Wunder.

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