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Die Armen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Armen - Heinrich Mann


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eine sei scharf auf ihn, da habe er einen schönen Posten in Aussicht. Dinkl machte Witze, weil es ihn nichts anging. Balrich, den es anging, hatte ein Gefühl in der Brust, wie er es einmal gehabt hatte, als er entlassen worden war. Die Buck hatte ihn behandelt wie ein Tier, — man fürchtet es und nimmt es doch nicht ernst; nicht aber wie einen Mann.

      Nun gingen sie, Dinkl, scharwenzelnd, brachte sie hinaus, da geschah ein Unglück. Aus seinem tiefen Bückling war Dinkl noch nicht wieder aufgekommen, als sie es schon hatten und auf der Treppe lagen, die Heßling verlor den Hut samt der Hälfte ihrer weißen Haare. Über dem Geländer hoch droben wälzten die Dinklschen Kinder sich vor Lachen, — worauf der Vater zu begreifen anfing. Mit geschwungener Faust verjagte er die Kinder und half dann den Damen. Zum Glück nahte von unten der Herbesdörfer, so brachte man sie bald wieder auf die Füße. „Mein Gott, was war denn das!“ riefen sie, auf einmal mit ungezwungenen Stimmen. „Ist hier auf den Stufen nicht Seife?“ Dinkl wollte es leugnen oder unbegreiflich finden, Herbesdörfer erhob seine eingerostete Stimme nur zu einem „Achtung!“ und breitete die starken Arme aus, für alle Fälle. Sie aber baten die beiden Arbeiter, nachzusehen, wie es rückwärts um sie stehe, und als Dinkl durchaus keine Seife an ihnen fand, fanden sie selbst sie.

      „Was jetzt! Wir müssen doch zum Tee in die Stadt. Noch einmal nach Hause und uns umkleiden?“

      Dinkl riet hierzu, sie wieder meinten: „Das kostet eine halbe Stunde, und was sagt die Generalin!“

      Angelegentlich wandten sie sich an Herbesdörfer, um auch seine Ansicht zu erfahren, freilich ohne Erfolg, er machte ein barsches Gesicht. Die Polster kam herzu, schlug die Hände zusammen und erbot sich, von den Kleidern alles abzuwaschen, — worauf eine technische Verhandlung folgte. Sie blieb ohne Ergebnis; so drang Dinkl durch, mit seinem Hinweis auf die besondere Leistungsfähigkeit des Heßlingschen Autos.

      „Das muss wahr sein,“ sagte Frau Generaldirektor Heßling, „es ist ein Charron.“

      Dinkl gab zu bedenken, ob nicht die deutsche Industrie den Vorzug verdiene, selbst wenn sie nicht ganz so leistungsfähig sein sollte. Ernste Meinungsverschiedenheiten erwuchsen hieraus nicht, unter dem Entgegenkommen beider Teile setzte die Unterhaltung sich fort bis vor das Haus. Erst beim Anblick ihres Chauffeurs ging durch die Damen ein sichtbarer Ruck, und als sie gar im Auto saßen, erwiderten sie den Gruß der Arbeiter nur noch aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu rühren.

      Dinkl fand sich damit ab, er stand, als das Auto fort war, und lachte, dass sein Gerüst wackelte. Die Kinder, die nachgeschlichen waren, bekamen vom Vater ihre Ohrfeigen, aber er lachte dabei, und alle mit, die Polster samt den Nachbarinnen.

      Als die Bande wieder hinaufstürmte, würde sie den Karl Balrich überrannt haben. Er stand auf dem Treppenabsatz und schien vertieft in den Seifenfleck. Er machte ihnen Platz, lachte aber nicht wie sie, sondern faltete die Brauen … Sein Schwager klopfte ihn auf die Schulter und nahm ihn mit in die Kantine; der Malli seien sie doch bloß lästig in ihrem Betrieb.

      Die Kantine war voll, von allen Tischen wurden Fragen geschrien wegen des hohen Besuches und der Seife. Der Vorfall mit der Seife beschäftigte alle. Seife war das Stichwort für Witze, die sich alle ähnlich sahen, und jeder erregte das gleiche Gebrüll.

      Zu Balrich, Dinkl und Herbesdörfer setzte sich stumm der alte Malermeister, der seit kurzem im Keller bei Klinkorum wohnte. Er war umhergezogen und hatte sich eben durchgeschlagen, ein unruhiger Taugenichts, bis er es gut fand, seine altgewordenen Knochen an den Ort zu tragen, wo er Heimatsrecht und Verwandte hatte. Er und Balrich sagten nichts, — bis Herbesdörfer sie etwas fragte. Er hatte eine Aussprache wie ein Wilder und äußerte sich so angestrengt, als verlernte er das Sprechen von Tag zu Tag. Er fragte: was den reichen Weibern denn einfalle, dass sie ungebeten eine Arbeiterin in den Wehen zu begaffen kämen, wie eine Kuh. Dinkl stieß ihn heimlich an, und unter dem Tisch zeigte er ihm das Zwanzigmarkstück, das die Besucherinnen dagelassen hatten. Laut sagte er: „Sie haben Langeweile gehabt. Das Teewasser bei der Generalin hat noch nicht gekocht.“

      Balrich inzwischen atmete schneller. Er war im Begriff, sich aufzurichten und zu bekennen, dass auch die Reichen ein Herz haben könnten! Denn vor sich hatte er das schüchterne Lächeln der Emmi Buck, und mitten in dem Qualm hier berührte ihn ihr Veilchengeruch. Da sah der alte Maler ihn an mit seinem Grinsen im Bocksbart und nahm ihm das Wort weg.

      „Ich weiß Bescheid, — seit ich ein reiches Luder habe laufen gesehen, weil eine Arbeiterin mit dem Arm in der Maschine hing. Sie hatte vorgesorgt, dass ihr so etwas gleich gemeldet werde.“

      „Das hast du selbst gesehen, Onkel Gellert?“ fragte Balrich drohend. Denn er dachte an die kleinen Mädchen, die der Alte an sich lockte.

      „Ich selbst, — und die Arbeiterin war später meine Frau, deine Großtante.“

      „Ja, dann,“ murmelte Balrich und sah den Tisch an. „Nicht hinsehen, wo Geld ist, das ist das beste.“ Und innerlich bat er es seiner Schwester Leni ab, dass er ihr, fast eine Stunde lang, die Reiche vorgezogen hatte.

      Simon Jauner schlich herbei; was Balrich ganz leise sprach, hatte er doch gehört; und er schlug auf den Tisch, als habe er Wut. Ansehen das Geld, sei zwecklos. Aber so! Und mit krummen Fingern grapste er über den Tisch hin. Balrich, der ihn kannte, sagte gelassen: „Ich esse lieber mein selbstverdientes Brot,“ — und schnitt aus seinem Brot einen Würfel. Da ließ Jauner sich in die Bank gleiten, grade neben Balrich. Nun er Balrich von seinem Platz an der Maschine nicht hatte verdrängen können, fand er es wohl geraten, sich anzunähern. Er fasste sogar treuherzig den Arm des andern und sagte eindringlich:

      „Dein Brot? Heßlingsches Brot, willst du sagen! Denn in seiner Fabrik verdienst du nur gerade so viel, dass du in seiner Kaserne wohnen und in seiner Kantine essen kannst. Was darüber ist, ist vom Übel,“ schloss er hämisch, und zeigte zuerst Balrich, dann den anderen seine gelben Zähne und seine gelben Augen. Sie wussten wohl, sie würden kein Wort sprechen, das der Inspektor nicht erführe; denn er hatte dem Jauner geschadet, wer musste also beflissener gegen ihn sein als Jauner. Dennoch hielten sie nicht an sich. Kantine und Kaserne, zu wahr, brachten dem Heßling mit Zins wieder zurück, was er ihnen zahlte. Der Strom des Geldes rollte endlos unweigerlich in die eine Tasche, sie aber mit ihren Schwielen standen lechzend daneben, sie, ihre Frauen, ihre Kinder. Sie machten ihre Kinder für Heßling, wie sie für Heßling die Ware machten, wie sie für Heßling aßen und tranken. „Prost Hassling!“ rief Dinkl, und an allen Tischen riefen sie mit; denn gut war es, den Hass in ein Wort zu fassen, den Hass einmal deutlich aus den Zähnen zu lassen und bitter im Glas zu schmecken. Man ging mit ihm schlafen und stand auf mit ihm, — nur Gestalt fehlte ihm, Fäuste hatte er nicht. Wir haben jeden Augenblick, jeden von allen, die wir erleben, alles im Bewusstsein: die ungerechte Gewalt, unter der wir stehen, benachteiligt auf Schritt und Tritt, beim Einatmen und beim Ausatmen, missbraucht, verachtet, hinter das Licht geführt. Ihr bildet euch ein, wir vergäßen? Jawohl, ihr denkt, wir riechen unsere schlechte Luft nicht mehr, in den überfüllten Stuben der Kasernen, die ihr uns baut. Arbeiterhäuser A und B, das heißt nicht arbeite und bete, wie der Konsistorialrat Zillich bei der Einweihung erzählt hatte; es heißt Affenbude oder alles be—. Wir riechen, und wir vergessen nicht. Sehr begreiflich, bemerkte Balrich, dass den Damen Heßling und Buck, wie sie eintraten, der Gestank an die Gurgel ging, und komisch bloß, dass sie sich deshalb zu genieren schienen. „Hätten wir sie in der Gewalt, wie sie uns haben, wir würden nicht so viele Umstände machen!“ Dinkl und Jauner erklärten auf das deutlichste, was sie mit den reichen Weibern heute gemacht haben würden, trotz den weißen Haaren der einen. Einen Laut aber, der Schlimmeres verhieß, stieß Herbesdörfer aus. In seinem geröteten Kopf war die Kartoffelnase weiß wie der nackte plumpe Hals, und die Augen hinter den runden Brillengläsern starrten blind, als hätte er Gesichte.

      Dinkl inzwischen war in die Mitte getreten, schob die Daumen in die Achsellöcher seines gelbkarierten Röckchens und machte vor, wie er spazieren gehe. Ein feiner Fatzke begegnete ihm. Den feinen Fatzke musste Jauner machen; er nahm sein steifes Hütchen vom Rechen und drückte die Beulen heraus. Bei ihm angelangt, schleuderte Dinkl ihm die Faust bis nahe unter das Kinn, wobei Jauner übermäßig erschrak. Dinkl aber tat, als habe er nur die Zigarette an den Mund führen wollen. Alle lärmten Beifall. So war es! Jeden Reichen


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