Die Welfen. Barbara BeckЧитать онлайн книгу.
dabei vom Domkapitel gewählt werden. Mit dem katholischen Kirchenrecht war diese Verpflichtung katholischer Domherren, einen Protestanten zum Nachfolger eines katholischen Bischofs zu wählen, allerdings nicht in Einklang zu bringen. Während die Osnabrücker Domherren bei der Wahl der katholischen Bischöfe weiterhin uneingeschränkte Wahlfreiheit genossen, waren sie bei der Wahl der protestantischen Landesherren gehalten, sich für einen Angehörigen der hannoversch-calenbergischen Linie des herzoglichen Hauses Braunschweig-Lüneburg zu entscheiden. Ihre Wahl sollte außerdem möglichst auf einen der jüngeren Prinzen dieses Hauses fallen. Zunächst sollte die Herrschaft über das Hochstift gemäß dem Friedensvertrag wieder an den 1633 von den Schweden vertriebenen katholischen Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg gehen. Sein Nachfolger sollte der protestantische Herzog Ernst August von Braunschweig und Lüneburg werden.
Im Übrigen sollten laut Friedensvertrag die katholischen und protestantischen Einwohner des Fürstbistums rechtlich gleichgestellt sein. In geistlichen Angelegenheiten hatten die Osnabrücker Bischöfe daher keinerlei Befugnis, sich in die Belange der jeweils anderen Konfession einzumischen. Während der Regentschaft eines lutherischen Bischofs übte deshalb der Erzbischof von Köln die kirchlichen Leitungsfunktionen über die katholische Geistlichkeit und Einwohnerschaft des Osnabrücker Hochstifts aus. In ihren weltlichen Herrschaftsrechten unterschieden sich die Fürstbischöfe dagegen nicht. Die Regelung der Einzelheiten wurde in einer immerwährenden Kapitulation getroffen, der »Capitulatio perpetua« vom 28. Juli 1650.
Bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation nahm das Hochstift Osnabrück dank der Einführung der alternativen Sukzession unter den verbliebenen geistlichen Fürstentümern eine Sonderstellung ein. Als einziges Fürstbistum wurde es im Wechsel von einem katholischen und einem evangelischen Landesherrn regiert. Hinzu kamen noch die in der »Immerwährenden Kapitulation« festgesetzten Regelungen zur rechtlichen Gleichstellung der katholischen und der lutherischen Konfession im Hochstift. Trotz der päpstlichen Missbilligung der zeitweiligen Herrschaft evangelischer Bischöfe richteten sich die katholischen Domherren bei den Bischofswahlen sowohl 1716 als auch 1764 nach den Vorschriften des Reichsrechts und der Osnabrücker Stiftsverfassung.
Mit Fürstbischof Ernst August I. begann die Welfenherrschaft im Hochstift. Der jüngste Sohn des Herzogs Georg von Calenberg hatte schon 1648 den Titel eines designierten Nachfolgers zum Bischof und Landesfürsten von Osnabrück erhalten. Da der erste Wechsel von einem katholischen zu einem evangelischen Landesherrn in seiner Person bereits festgelegt war, war nach dem Tod des katholischen Bischofs und Kardinals Franz Wilhelm von Wartenberg 1661 eine Bischofswahl nicht erforderlich. Am 30. September 1662 konnte Ernst August mit großem Gepränge in sein Fürstentum einziehen. Dem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis des Barockzeitalters entsprechend ließ er für sich, seine Gattin Sophie von der Pfalz und die gemeinsamen Kinder ein neues fürstbischöfliches Schloss in Osnabrück errichten. Als er seinen im Dezember 1679 verstorbenen Bruder Johann Friedrich in dessen Fürstentum Calenberg-Göttingen-Grubenhagen beerbte, siedelte er 1680 mit seiner Familie in die dortige Residenzstadt über, nach Hannover. Dem Hochstift Osnabrück brachte seine Herrschaft die Anlage einer Glasfabrik in Iburg, eine Verstärkung der Osnabrücker Befestigungswerke, den Bau der protestantischen Kirche in Iburg und eine neue Münzordnung. Ernst August regierte bis zu seinem Tod am 23. Januar 1698 über das Hochstift.
Als Ernst Augusts Nachfolger, der katholische Bischof Carl von Lothringen, 1715 starb, war das Kurfürstentum Hannover bereits mit dem Königreich Großbritannien in der Person von König Georg I. verknüpft und das Haus Hannover damit zu einem der mächtigsten Fürstenhäuser Europas aufgestiegen. Zum ersten Mal musste jetzt seit Einführung der Wechselfolge im Hochstift Osnabrück ein evangelischer Bischof aus dem Hause der Welfen gewählt werden. Am 2. März 1716 wurde der evangelische Herzog Ernst August, der 1674 als jüngster Sohn des Herzogspaars Ernst August und Sophie in Osnabrück zur Welt gekommen war, unter strenger Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen vom Domkapitel einstimmig zum Bischof gewählt. Im Vorfeld der Wahl hatte sich auch dessen älterer, inzwischen zum katholischen Glauben konvertierter Bruder Maximilian Wilhelm, der vom Papst unterstützt wurde, um das Bischofsamt bemüht. Es waren jedoch weder die Osnabrücker Domherren dafür zu gewinnen, die konfessionelle Wechselfolge zu umgehen und damit die Stiftsverfassung zu verletzen, noch wollte Georg I. seinen Bruder Maximilian Wilhelm, dem er seit dem dramatischen Streit bei der Einführung der Primogenitur, des Erbfolgerechts des Erstgeborenen und seiner Nachkommen, in Hannover misstraute, auf dem Bischofsstuhl sehen. Um sicherzustellen, dass sein jüngster Bruder Ernst August ordnungsgemäß zum Bischof gewählt würde, ließ Georg I. »vorsichtshalber« hannoversche Truppen an die Grenze zum Hochstift Osnabrück verlegen.
Am 9. Juni 1716 hielt Fürstbischof Ernst August II. seinen Einzug in Osnabrück, der auf seinen Wunsch hin in aller Stille erfolgte. Wenig später verlieh ihm sein älterer Bruder Georg I. den Titel eines Herzogs von York und Albany. Ernst August II. residierte in dem von seinem Vater erbauten bischöflichen Schloss in Osnabrück und erwies sich als fürsorglicher Landesvater, der unnötigen Aufwand nicht schätzte und die einheimische Industrie und den Handel förderte. Es gelang ihm allerdings während seiner gesamten Regierungszeit nicht, die ausgedehnte Gerichtsbarkeit des Domkapitels wieder auf kirchliche Belange zu beschränken. Am 14. August 1728 verstarb Ernst August II. in Osnabrück.
Zwischen 1728 und 1761 regierte der Wittelsbacher Clemens August als katholischer Bischof über Osnabrück. Nach dessen Tod, der in die Zeit des Siebenjährigen Krieges fiel, verzögerte das Welfenhaus die notwendig gewordene Wahl eines neuen Bischofs, weil es sich von dem für ihn inzwischen günstigen Kriegsverlauf die Möglichkeit zur Abschaffung der alternativen Sukzession und damit die Säkularisierung des Hochstifts sowie dessen Eingliederung in das Kurfürstentum Hannover versprach. Der englische König Georg III. zwang das Domkapitel daher, einen Revers zu unterschreiben, ohne seine Zustimmung in der Bischofswahl nichts zu unternehmen. Das Domkapitel hatte selbst zuvor auch mit der Abschaffung der alternativen Sukzession, einer Katholisierung des Hochstifts und einer Beseitigung aller Herrschaftsansprüche des Hauses Hannover geliebäugelt, als die Kriegsereignisse noch einen für Großbritannien-Hannover unguten Verlauf genommen hatten. Im Friedensschluss von 1763 wurde indes festgelegt, dass sämtliche Bestimmungen des Westfälischen Friedens auch in Zukunft unverändert gelten sollten. Als am 16. August 1763 der zweite Sohn des englischen Königs, Friedrich, geboren wurde, änderte Georg III. seine bisherige Osnabrück-Politik, die kaum mehr Chancen auf eine Realisierung besaß. Er drängte jetzt darauf, dass sein neugeborener Sohn zum Bischof gewählt wurde. Das Domkapitel sah sich genötigt, den erst wenige Monate alten Herzog von York am 27. Februar 1764 feierlich zum Bischof zu wählen. Gemäß den Bestimmungen der Capitulatio perpetua hätte für einen unmündigen evangelischen Bischof eine domkapitularische Minderjährigkeitsregierung eingesetzt werden müssen. Georg III. ging darüber jedoch hinweg und installierte stattdessen eine eigene Vormundschaftsregierung, die tatsächlich bis zur Volljährigkeit Friedrichs von York im August 1783 die Geschäfte des Stifts führte. Osnabrück wurde quasi auf diesem Weg zu einem Nebenland Großbritannien-Hannovers. Zwar war das Domkapitel mit dieser Entwicklung keineswegs einverstanden, doch 1770 einigten sich beide Seiten darauf, ihre Streitigkeiten über die Regierungsführung beizulegen.
Fürstbischof Friedrich von York stattete seinem Hochstift erstmals im September 1784 einen Besuch ab. Zur großen Enttäuschung seiner Untertanen machte er Osnabrück nicht zu seiner ständigen Residenz. Er beschränkte sich auf gelegentliche Besuche und überließ die Führung der Regierungsgeschäfte im Wesentlichen dem bedeutenden Juristen Justus Möser, der für diese bereits seit 1763 verantwortlich gewesen war. Friedrich von York widmete sich bevorzugt seiner militärischen Karriere. 1791 heiratete er Prinzessin Friederike, eine Tochter des Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen. Als im Zuge der gewaltigen Umwälzungen nach der Französischen Revolution die Unabhängigkeit des reichsunmittelbaren Hochstifts Osnabrück endete, legte Bischof Friedrich am 29. Oktober 1802 seine Herrschaft über Osnabrück nieder. Sechs Tage später wurde das einstige Fürstbistum als erbliches Fürstentum offiziell in das Kurfürstentum Hannover einverleibt. Diese Entwicklung bestätigte nochmals der Reichsdeputationshauptschluss vom Februar 1803. In den kommenden Jahren wechselte das ehemalige Hochstift mehrmals seine landesherrliche Zugehörigkeit, bevor es auf dem Wiener Kongress 1815 weitgehend dem neugeschaffenen Königreich Hannover zugeschlagen wurde. Der letzte Osnabrücker Fürstbischof