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Münster - Was nicht im Stadtführer steht. Carsten KrystofiakЧитать онлайн книгу.

Münster - Was nicht im Stadtführer steht - Carsten Krystofiak


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kann nicht leugnen, dass das Odeon Mitte der Neunziger langsam von der Zeit überholt wurde und ein bisschen ins Abseits geriet. Zu lange hatte der erste Club am Platz von seiner eigenen Nostalgie gelebt. Auch die heißeste Liebe wird eben irgendwann eine eingefahrene Ehe. Gegen die Vielzahl neuer Mitbewerber und die Trends der Zeit (Club-Hopping, schwindende Bindung an einen einzigen Stammladen, immer späteres Ausgehen) blieben alle Rettungskonzepte machtlos. Axel Seitz hat das Odeon mit einem neuen Profil wieder für ein junges Publikum attraktiv gemacht und fühlt sich dennoch der »Tradition« des Clubs verbunden. Trotzdem fängt er nach dem Umzug an seinem neuen City-Standort auf einem weißen Blatt an – die Geschichte des Odeons zieht nicht mit um, sondern verflüchtigt sich im Baustellenstaub und in der Erinnerung seiner alten Garde. Da verdrückt sich so mancher Ex-Punk jenseits der 30 ein sentimentales Tränchen.

      (Erschienen 2002)

      Anmerkung:

      Das Odeon war mehr als ein Club – es war Münsters Lebensmittelpunkt für alle zwischen 18 und 38. Der Laden war eine Legende, wozu natürlich die Konzerte avantgardistischer Bands beitrugen, die damals vor 300 Münsteranern spielten und heute Hallen und Stadien füllen. Und auch Gäste, die später bekannt wurden, wie z. B. Oliver Kalkofe oder Klaus Fiehe, mussten sich damals vom Tresenchef für unkorrekte Bestellungen anranzen lassen. Für mich persönlich hatte die Schließung des Odeons zwei Aspekte: Einerseits wurde ich wie viele andere plötzlich heimatlos, andererseits hatte sich damit mein Deckel aufgelöst, den ich zuvor schon zwei Jahre lang als Thekenkraft abgearbeitet hatte.

      Der Beatschuppen-König.

      Gronecks Erzählungen: Zu Besuch bei Münsters Disco-Miterfinder.

      Discotheken sind heutzutage landauf, landab ein gewohntes und allgemein akzeptiertes Freizeitvergnügen, und auch Muttis Generation schwingt gerne zu Rock und Samba die Hüften. Das war natürlich nicht immer so. In den Kindertagen der Disco vermuteten die Nachkriegsväter in den »Beatschuppen« finstere Hasch-Höhlen. Der Münsteraner Manfred P. Groneck ist einer der Geburtshelfer der Discoszene in Deutschland. Seine Geschichte ist ebenso abenteuerlich wie erstaunlich, und manchmal scheinen Dichtung und Wahrheit zur Legende zu verschmelzen. Ultimo lauschte fasziniert Gronecks Erzählungen aus der Disco-Steinzeit im schwarzen Münster, das bis dahin nur Glockenklänge gehört hatte.

      1961 errichtet die DDR-Führung im Handstreich eine Mauer durch Berlin. Elvis hat gerade erst seinen Wehrdienst in Deutschland beendet. Zu dieser Zeit eröffnet Manfred P. Groneck in einem alten Eckhaus am Kreuztor die Tanzbar Kontiki. Die dazugehörige Einliegerwohnung vermietete er an einen Typen namens Udo Lindenberg. (Das Haus wurde übrigens später abgerissen, an seiner Stelle ist heute ein Supermarkt). Donnerstag morgens stand Groneck schon vor Ladenöffnung vor Radio Hüffer, um taufrisch die neuesten Beat-Schallplatten aus England und Amerika zu kaufen. Problem: Aus Kostengründen gab es im Kontiki nur einen Plattenspieler. Auch sonst haperte es noch an der Ausstattung: Die »Lichtorgel« funktionierte manuell ... und zwar nur dann, wenn Groneck selbst die Stecker der fünf verschiedenen bunten Glühbirnen ein- und ausstöpselte. Erst später kam – oh Wunder der Technik – ein zweiter Plattenspieler plus ein Mischpult dazu, das erstmals Überblendungen und Ansagen per Mikrofon ermöglichte. Der Eintritt wurde nach der Zeit der Anwesenheit berechnet: pro Minute ein Pfennig. Wer um 22 Uhr kam und um 24 Uhr wieder ging, musste für das Vergnügen 1,20 Mark bezahlen. Gar nicht übel, das System ... Was dann folgte, ist auch heute nicht anders: »Im Kreuzviertel wohnten damals nur alte Leute, die fielen plötzlich vom Hocker, weil der Laden brummte bis zum Gehtnichtmehr. Die beschwerten sich und die Konzession wurde erst von 5.00 auf 3.00, später auf 1.00 Uhr und dann auf 23.00 Uhr zurückgenommen. Deshalb war nach zwei Jahren schon wieder Schluss!«

      Doch Groneck schlug gleich das nächste Kapitel der münsterschen Discogeschichte auf: Das Geld aus dem Kontiki investierte er in den heruntergekommenen »Hof zur Geist« an der Hammer Straße. Dort ist heute noch eine Disco: das »Casablanca«. 1963 nannte Groneck seine neue Goldgrube zeitgemäß exotisch Copa Cabana. Sein alter Untermieter Udo L. kam auch vorbei und erzählte, er könne jetzt Beatmusik machen und hätte da mit ein paar Jungs aus Münster eine töfte Band. Tatsächlich wurden die Langhaarigen bald zu Lokalmatadoren.

      Groneck hatte jedoch noch mehr zu bieten: »Wir begannen, mit dem Starclub in Hamburg zusammenzuarbeiten. Die englischen Bands, die dort spielten, kamen anschließend noch für eine paar Termine zu uns. So kamen wir damals schon an richtig populäre Bands, wie die Rattles – und das in Münster!« Der Spaß war schnell wieder vorbei, als das Arbeitsamt von Groneck Arbeitspapiere für die ausländischen Musiker sehen wollte. Doch aus Schaden wird man klug: »Wir haben die Jungs dann richtig über die holländische Grenze geschmuggelt: Die Musiker kamen einzeln als Touristen und der Wagen mit den Instrumenten hinterher. Alles streng konspirativ. Wenn das Arbeitsamt was muckerte, war die Band schon wieder weg.« Einigen englischen Musikern gefiel Münster allerdings so gut, dass sie gleich hierblieben, wie etwa der Saxophonist David Hendsley.

      Das Copa Cabana lief und lief und lief. Die Band von Gronecks Untermieter stellte sogar den westfälischen »Weltrekord im Dauerbeat« auf – ein gewisser Steffi Stephan und Kumpels spielten 248 Stunden ohne Pause! Selbst das TV-Magazin »Drehscheibe« berichtete live vor Ort. Doch dem Ordnungsamt wurde das Treiben der »Gammler« vor den Toren Hiltrups zu bunt – Groneck verlor abermals seine Konzession und war pleite. Zwei Jahre jobbte er in einer damals völlig neuen Technologie: Elektronische Datenverarbeitung mit Lochkartonsystemen. 1967 wird Ultimos Chefreporter geboren. Im Jahr darauf eröffnet Groneck als Geschäftsführer wieder eine neue Disco in Münster: das Tabu am Alten Steinweg. Groneck: »Das war der Laden in der Stadt! Ein paar mit Schottenmuster bezogene Melkschemel, Schottenstoff an der Wand, und schon ging die Post ab! Wir spielten die heißesten Soulscheiben und holten uns von den Amis aus Handorf ein paar Schwarze, die den Leuten zeigten, wie man dazu tanzte.« Mit Erfolg: »Nebenan war eine bayerische Kneipe, das »Edelweiß«. Die mietete ich dazu und machte noch eine Disco auf, den Black Horse Saloon.« Nach handfesten Streitigkeiten mit dem Inhaber, einem Kölner Halbwelt-Zaren, kündigt Groneck jedoch nach drei Jahren.

      Inzwischen ist das Jahrzehnt der Schlaghosen und Föhnwellen angebrochen. Während die RAF Deutschland in Atem hält und Muhammad Ali Boxweltmeister wird, eröffnet Manfred Groneck nun im Berliner Europacenter das »Joy«. »Hier sollte es jetzt so richtig zur Sache gehen!«, erzählt der alte Disco-Haudegen im Büro seiner Hiltruper Handelsfirma. »Wir hatten schon eine echte VIP-Ecke, die war immer für die Leute von der ZDF-Hitparade reserviert. Die ließen sich Jack Daniels im 10-Liter-Glasfass für 1.800 Mark bringen und waren sauer, weil sie die Cola noch extra bezahlen sollten, haha.« Eines Tages stellte sich ein neuer DJ bei Groneck vor. »Der Junge hatte es richtig drauf, war aber leider ständig besoffen. Dann klaute er dauernd Inventar, das ich tags drauf wieder aus seiner Bude in der Katharinenstraße rausholen musste.« Sein Name: Gunther Gabriel. Nachdem Groneck in diesen wilden Zeiten sogar mal mit der Abendkasse unterm Arm durchs Klofenster vor finsteren Luden flüchten musste, kündigte er allerdings auch diesen Job wieder. Das Joy bekam später ein kleines Drogenkonsumentenproblem – und ging den Bach runter.

      Derweil hatten Punkbands wie die Sex Pistols Disco den Krieg erklärt, und Groneck wechselte die Thekenseite. Er wollte höher hinaus: Jetzt verkaufte er sein konzeptionelles Knowhow an andere Discobesitzer. Nebenbei begann er mit gebrauchtem Casino-Inventar aus Las Vegas zu dealen. Zurück in Münster, veranstaltete Groneck 1979 die erste deutsche Discotheken-Fachmesse in der Halle Münsterland. Groneck: »Nena und Modern Talking sind da als ›Nachwuchskünstler‹ aufgetreten – die kannte damals kein Schwein. Schon die dritte Messe wurde die größte Discoausstellung der Welt!« Groneck war auf dem Gipfel seines Erfolges. Er stampfte die Fachzeitschrift Discoforum aus dem Boden, gründete 1981 den offiziellen »Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe e.V.« (Geschäftsstelle Hafenweg 26b, Münster) und den anerkannten »Berufsverband Discjockey«. Gronecks Discoverband ist heute eine selbständige Fachgruppe im deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Wegen der redaktionellen Inhalte im Discoforum bekam Groneck prompt Ärger mit der Plattenindustrie: »Die CBS wollte, dass ich meinen freien Kritiker feuere, weil der öfter freche Verrisse über CBS-Produktionen schrieb. Ich sagte, mach’ ich nicht, der Junge schreibt super und bleibt!« Der umstrittene


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