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Ich hätte König sein können. Helmut SorgeЧитать онлайн книгу.

Ich hätte König sein können - Helmut Sorge


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setzte ihm die Bandscheibe zu. Danach setzte er sich auf die Bank im Zentrum. 9 Uhr, täglich. Bis 11. Der Kunstschaffende las weder ein Buch noch eine Zeitung. Stattdessen fütterte er Tauben und Spatzen mit Brot, einem dieser geschnittenen Toastsorten, die nach einem versehentlichen Fall auf den Boden hochschnellen wie ein Basketball.

      Zwei Stunden lang. Sieben Tage pro Woche. Womöglich hörte er aus der Ferne die Stimme Montands, der in seiner Parterrewohnung täglich mit einem Pianisten übte. Vielleicht machte ihn dieser Musiker neidisch.

      Mein Nachbar war ein Greis, 80, 90, vielleicht auch ein frühzeitig zerfallener Sechzigjähriger. Selbst an Regentagen verfolgte er seinen Tages-Wochen-Monats-Jahresplan. An solch düsteren Tagen war er von einem übergroßen Regenmantel umhüllt, grau wie Hose, Haare und Gesicht. Er hockte auf einem gefalteten, grünen Badetuch. Gewitter schreckten ihn nicht. Wenn die Blitze zuckten, flüchteten Tauben und Spatzen, der Pianist blieb auf seiner Bank im Zentrum des Place Dauphine. Allerdings öffnete der enigmatische Entertainer einen übergroßen, karierten Golfschirm, dem einige der Drahtstützen fehlten und der deshalb wie ein zusammengerutschtes Zelt wirkte. Darunter hockte er wie eine Skulptur, eine kopflose. Magritte hätte ihn als Modell nutzen können. Zumindest den Hals, der schwanenähnlich gebogen war.

      Plötzlich sprachen die Nazis französisch

      Dreimal wöchentlich hörte ich seine hohe Stimme, die sich in Kastratennähe bewegte. Eine bezopfte ältere Frau, deren Strickstrümpfe gummibandverstärkt unterhalb der Knie endeten, belieferte den Greis mit Lebensmitteln. Da mein Nebenan keine Klingel oder selbige abgestellt hatte, klopfte die Frau, dreimal wöchentlich, zunächst behutsam nachsichtig, an die Tür. Nach einigen Minuten verlor sie, dreimal wöchentlich, die Geduld und hämmerte mit ihren Fäusten. Vielleicht war der Musiker schwerhörig, was seine klägliche Musik und das ungestimmte Piano forte erklären würde. Oder er litt an Alzheimer, erste Symptome, denn wie anders war es zu deuten, dass er über Jahre die Rendezvous mit seiner einzigen Kontaktperson vergaß? Der Alte, das konnte ich hören, begrüßte seine Lebensmittellieferantin nicht etwa mit einer Entschuldigung, sondern rügte sie: „Sie sind zehn Minuten verspätet.“ Sie reagierte nicht, reichte ihm eine Rechnung. Er zahlte und schlug die Tür zu. Seine Kommunikation des Tages.

      Der Pianist besaß weder ein Radio noch einen Fernseher, wie mir der Concierge verriet; lediglich ein Feldbett, ein verstimmtes Steinway-Piano und die Einsamkeit. Angeblich las er die rechtsextreme Postille „Minute“.

      Der stumme Monsieur hatte sich eben auf seiner Bank niedergelassen und die ersten Tauben besetzten seine Knie, als die Nazis den Place Dauphine stürmten. Hitlers Handlanger. Der Künstler rührte sich nicht, allerdings sah ich von meinem Fenster aus, wie er die nun nachrückenden Panzerspäh- und Kübelwagen, allesamt an den Hakenkreuzen erkennbar, beobachtete, vor allem die Kradfahrer, die Wehrmachtsstahlhelme trugen. Und die Männer in schwarzen Ledermänteln, die Frauen und Männer an eine Wand drängten, unweit des Cafés, in dem Yves Montand Stammgast war.

      Zugegeben, für einige Sekunden war ich irritiert, verwirrt ob dieser Szenen meiner Kindheit. Kriegskind in alle Ewigkeit. An der Zufahrtsstraße zum Pont Neuf machte ich Pariser Polizisten aus, die auf ihren Hochglanz geputzten BMW-Motorrädern saßen und die chaotischen Szenen auf dem Place verfolgten – Dreharbeiten. Hollywood an der Seine. Monsieur X rührte sich nicht. Er fütterte seine Tauben.

      Wusste mein Nachbar, dass dies nicht 1944 war, jener dramatische Pariser August des Widerstandes, sondern ein halbes Jahrhundert später? Nicht der Kampf der Résistance gegen die Besatzer, stattdessen der Versuch, einen Aspekt der Geschichte aufzuarbeiten?

      Ein Mann, der Bootsschuhe ohne Socken trug, eine eng geschnittene Jeans und ein T-Shirt, dazu eine Baseball-Mütze, trat den deutschen Soldaten entgegen und befahl: „Cut!“

      Plötzlich sprachen die Nazis französisch miteinander, und sie genossen die von der Produktion bestellten „Tartines“, Landbrot, belegt mit geräuchertem Schinken, Lachs, Paté oder Käse. Ich hatte vom Fenster aus einen Tribünenplatz und verfolgte, wie die schwergewichtige Besitzerin des Restaurants „Chez Paul“, Nachbarin der Montand-Wohnung, die Filmarbeiten zu einer Vergangenheit beobachtete, die ihr durchaus vertraut war. Kurzfristig war ich also abgelenkt und hätte so den Abgang meines Nachbarn von seiner Spatzen-, Katzen-, Köter-, Taubenkot bedeckten Bühne beinahe nicht gesehen – der war dramatisch. Der Typ, der eben „cut“ gerufen hatte, vermutlich der Regisseur, versuchte einen SS-Offizier vor den Faustschlägen des greisen Pianisten zu schützen. Er, ausgerechnet dieser stumme, in seine eigene Welt versunkene Greis.

      Lunch mit Blick auf das antiquierte Klo

      Tatsächlich müssen die Filmszenen Erinnerungen in dem Musiker befreit haben; aus der Vergangenheit projezierte Bilder, die den Pianisten aus dem mentalen Gleichgewicht trieben und völlig unerwartet versperrte Türen aufrissen. Auf dem Weg zurück zu seiner Wohnung trat der Greis auf den SS-Mann zu und spuckte ihm ins Gesicht, nicht nur einmal. Obendrein trat er dem Uniformierten ins Geschlechtsteil. Immerhin waren die Gebeine meines stummen Nachbarn noch gelenkig. Sodann setzte er dem Schauspieler seine Faust ans Kinn. Mein Nachbar! Der Darsteller traf ihn mit mehreren Kontern am linken Auge und knallte ihm eine Rechte auf die Nase. Die blutete heftig, ein Auge war blutunterlaufen und schwoll an. Der Pianist war gezeichnet, wie der Brite Henry Cooper nach seiner Begegnung mit Cassius Clay (Muhammad Ali) im Juni 1963 in London. Erstmals zeigte das Gesicht des Künstlers in all diesen Jahren unserer stummen Nachbarschaft Farbe. Der schweigsame Eremit akzeptierte die Entschuldigung des Regisseurs für die Konter seines Schauspielers und nahm eine Einladung ins „Chez Paul“ an. Außerdem versprach der SS-Schläger, der übrigens an der Comédie Française unter Vertrag war, dem verstörten Musiker ein neues Hemd, denn das vergilbte war nun blutgefärbt und würde eine Wäscherei nicht überstehen.

      Wegen des Faustkampfes hatte mein Nachbar seine Lebensmittellieferantin versäumt, die ihre Plastiktüten, regelwidrig, vor dessen Tür stellte.

      Nach der Reaktion des Pianisten auf die Naziszenen war ich nicht sicher, ob die Einladung ins „Chez Paul“ wirklich eine gute Idee war. Denn die Wirtin, das hatte sie mir anvertraut, war Nazioffizieren, damals in der düsteren Zeit, als junge Kellnerin, durchaus zugetan: „Das waren Gentlemen. Ja, das waren sie! Meine besten Liebhaber überhaupt.“

      Vielleicht fanden Schauspieler und Wirtin gleichwohl zueinander, denn so mancher der Comédie-Française-Darsteller applaudierte in vergangenen Zeiten ihrem greisen Marschall Pétain, der sich mit den Nazis eingelassen hatte. In frühen Jahren wäre die Französin womöglich von Richard Wagner als Walküre gecastet worden, als Brünhild vielleicht. Sie war vollschlank und vollbusig, blond und blauäugig und nicht abgeneigt, einsame Germanen an ihre Busen zu ziehen. Um die hätte selbst eine Jane Mansfield die Wirtin beneidet.

      Ihre Beichte kam für mich überraschend. In meinen ersten Monaten auf dem Place Dauphine hatte die Walküre, die in den Nachkriegsjahren ihr Gewicht offenbar verdoppelte, mich meist ungnädig abgefertigt, vor allem wenn ich wagte, ohne Vorbestellung um einen Tisch zu bitten. Falls Madame Brünhild gnädig gestimmt war, platzierte sie mich zum Lunch mit Blick auf das antiquierte Klosett, dessen Tür stets einen Spalt offen stand. Bis ihr Sohn, der Chansons komponieren und keine Schnecken in Knoblauch servieren wollte, seiner Mutter verriet, dass ich ein „boche“ sei, ein Deutscher, ein fridolin, frisé, teuton, chleuch oder Fritz. Fortan ließ sie mich an den Tisch mit Seine-Blick führen und mir ein Glas Champagner servieren. Zu Ehren ihrer deutschen Lover.

      Später, viel später, hat sie mir von ihrem Faible erzählt, mir jedoch nie verraten, wie sie nach dem Rückzug der Nazis den hysterischen, französischen Mobs entkommen konnte, die Frauen (selbst wenn sich ihre Beziehung zu den deutschen Besatzern auf das Bett begrenzte) verfolgten, auspeitschten oder ihne die Haare abrasierten – Rache musste sein. Madama Brünhild vom ehrenwerten Place Dauphine sagte kein Wort dazu. Sie erkrankte, bevor ich sie dazu befragen konnte. Wegen ihres Übergewichts gelang es der Krankenwagenbesatzung nicht, sie mit einer Trage durch das enge Treppenhaus zu transportieren. Sie forderten eine hydraulische Hebebühne der Feuerwehr an. Und so sah ich meine späte Gönnerin ein letztes Mal, nur ihren Kopf, der gerötet war; ihre Augen lagen tief im Schädel. Sie lächelte nicht mehr, sondern winkte mir von der Hebebühne mit einem Handtuch zu, weiß.

      Auch


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