Der Gestrandete. Volker KaminskiЧитать онлайн книгу.
es ist so vieles falsch gelaufen“, sagte er. „Hast du dich schon mal gefragt, welche Rolle der eigene Wille im Leben spielt, der freie Wille? – Ich vermute, gar keine, er ist nur dazu da, um dir das Gefühl von Souveränität zu geben. Der Rest ist ein Sturm, der dich irgendwo hintreibt.“
Ich musste unwillkürlich an meinen Tsunami-Text denken, der angefangen im Büro lag.
„Und bei dir?“, fragte er. „Wie ist es bei dir gelaufen, bist du zufrieden mit dem Erreichten? Kannst du vom Schreiben leben?“
Ich fand seine Fragen unangebracht und zu direkt, aber er hatte eine Art sie zu stellen – mit dieser angenehm ruhigen Stimme –, dass sie beinahe harmlos klangen. Ich sagte, dass ich mich nicht beklagen könne, dass ich viel zu tun hätte und mit Eveline und Johanna glücklich sei.
„Du bist Journalist geworden, genau wie du es dir damals gewünscht hast. Beneidenswert. Dein Traum ging in Erfüllung.“
„Na ja, zum Träumen bleibt immer noch genug Raum. Der Journalismus hat viel an Reiz verloren, ist längst kein Traumberuf mehr. Weißt du, welchen Witz man sich heute erzählt? ‚Ach, Sie sind Journalist? Schönes Hobby!‘ Da siehst du, wohin es damit gekommen ist. – Aber sag mal, du hast doch erzählt, du wärst verheiratet und hättest den Namen deiner Frau angenommen? Wo ist sie? Auch in Karlsruhe?“
„Nein“, sagte er abwinkend, „das ist auch schon wieder vorbei ... Nicki und ich haben uns scheiden lassen. Wir blieben nur ein knappes Jahr zusammen. Es hat nicht funktioniert.“
„Warum hast du dann ihren Namen behalten?“
„Ich wollte wohl, dass irgendetwas von ihr bleibt. Ich habe mir so gewünscht, noch mal von vorne anzufangen. Nicki war eine Chance. Ich redete mir ein, das Glück sei endlich zu mir gekommen und ich hätte die Frau meines Lebens gefunden.“
Als wir wenig später aufstanden, um zu gehen, legte er plötzlich beide Arme um meine Schultern und drückte mich fest an sich. Ich wusste nicht, was das bedeutete und wie ich reagieren sollte.
„Danke, Sascha“, hauchte er mir ins Ohr, „das war sehr wichtig.“
Er wirkte gerührt; ich sah, wie es in seinen Augen glänzte. Dann öffnete er mir die Tür.
„Bis bald“, hörte ich ihn hinter mir herrufen.
3
In der Theatergruppe freuten sich alle über Franks engagierte Teilnahme. Eveline sagte, es gehe ein neuer Wind durch die Gruppe, die Arbeit intensiviere sich, durch Franks Beitritt habe sich alles verändert.
Er hatte ihnen ein ungewöhnliches Werk als neues Projekt vorgeschlagen: „Die Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann, ein düsterer, schwer lesbarer Roman aus der Weltliteratur, den er eigenhändig fürs Theater adaptiert hatte und über den sie nun diskutierten.
Ich blieb weiterhin auf Distanz zu ihm und wollte mich nicht mit ihm befassen. Nach seiner Umarmung im Bistro erschien mir seine Person noch zwielichtiger als zuvor. Immer wenn es um Frank ging, wenn Eveline irgendwas von ihm erzählte, schaltete ich ab und hörte weg. Durch die Theatergruppe war er dennoch im Hintergrund präsent. Außerdem war er hartnäckig, was das ‚freundschaftliche Verhältnis‘ zu Eveline und mir betraf, und so war es nicht verwunderlich, dass er bald wieder bei uns auftauchte.
Das erste Mal saß ich gerade im Garten und bekam nicht mit, dass Eveline ihm die Tür geöffnet hatte. Er kam auf die Terrasse heraus, hielt eine Geschenkpackung in der Hand und winkte mir zu. Ich hatte es mir unter unserem Apfelbaum bequem gemacht und schreckte von der Liege auf, als ich ihn sah. Eveline kam ebenfalls auf die Terrasse und er überreichte ihr sein Geschenk – eine Schachtel Mon cherie. Hätte ich wegen dieser Schachtel Pralinen einen Aufstand machen sollen?
Eveline sagte mir später, sie habe ihn nicht eingeladen. Wenn sie gewusst hätte, dass er uns besuchen wolle, hätte sie mich natürlich gefragt und eine Kleinigkeit zum Essen vorbereitet. Aber Kalina war nicht gekommen, um bei uns zu essen. Er wollte nur hallo sagen und fragen, ob wir Lust hätten, am nächsten Sonntag mit ins Kino zu kommen.
Ich stand erst nach einigen Minuten auf und ging zur Terrasse. Inzwischen hatte sich Frank auf einen Stuhl gesetzt und betrachtete das Grundstück voller Bewunderung.
„Ein so schöner Fleck“, sagte er, „es wirkt so natürlich eingewachsen, wie in einem Märchengarten, als wäre alles schon hundert Jahre alt. Wirklich traumhaft schön.“
„Meine Eltern haben den Garten angelegt“, sagte Eveline, die gerade mit Bier und Gläsern herauskam. „Aber natürlich gibt es einen Gärtner, der das Grundstück in Schuss hält. Wir sind beide keine großen Hobby-Gärtner.“
Er schaute immer noch mit großen Augen auf die Birken und den dicken Stamm der Pappel, der von Efeu umrankt war. Sein Blick folgte dem Efeulaub, das sich an der rückwärtigen Mauer entlang zog, und wanderte zu den Steinen, die kreisartig um eine kleine Erhebung angeordnet waren, bis zu den Sträuchern und Rosenbüschen am Rand.
Dann sprachen Eveline und er über die Theaterarbeit; es ging um Details in seinem Hoffmann-Stück, Fragen der Besetzung und dergleichen. Er bemühte sich jedoch, mich ins Gespräch mit einzubeziehen, und bedachte mich die ganze Zeit mit Blicken.
Wir gingen schließlich ins Haus, da die Luft etwas kühl wurde.
Ich weiß nicht, woran es lag, aber ich hatte dauernd das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Wir setzten uns an den Wohnzimmertisch und er rührte sein Bier kaum an, so sehr war er mit dem Gespräch beschäftigt. Er redete zwei Sätze mit Eveline, dann drehte er den Kopf, um die nächsten Sätze in meine Richtung zu sprechen. Er kam mir vor wie ein Zirkusjongleur, der die Tellernummer abzog, bei der es darum ging, keinen Teller von der Stange zu verlieren.
Was wollte er nur von uns?
Das fragte ich mich immer wieder, kam aber auch diesmal nicht weiter.
Beim Gehen leistete er sich eine Peinlichkeit.
Johanna war kurz davor ins Wohnzimmer gekommen, doch als sie Frank sah, machte sie kehrt und verließ den Raum.
Wenig später verabschiedete er sich und sagte, er finde schon allein hinaus. Er ging aber nicht gleich aus dem Haus, sondern bog im Flur nach rechts. Er musste Johanna in der Küche gehört haben, die dort saß und Tee trank. Sie sprachen kurz miteinander, was wir vom Wohnzimmer aus hören konnten. Dann ging die Haustür.
Gleich darauf kam Johanna herein, rollte mit den Augen und blieb einen Moment vor uns stehen.
„Was ist passiert?“, fragte Eveline.
Johanna ging um den Tisch herum und setzte sich. „Ich glaube, der spinnt!“
„Sag schon, was war denn“, sagte Eveline.
Johanna schaute uns mit einem Grinsen an und legte ihre geballte Faust auf den Tisch.
„Das hat er mir gegeben“, sagte sie und öffnete die Hand. Darin lag ein Fünfzig-Euro-Schein.
„Das ist wohl ein Scherz“, sagte ich. „Was will er denn damit bezwecken? Du musst ihm das Geld natürlich zurückgeben.“
„Findest du das auch?“, fragte sie Eveline.
Eveline kräuselte die Lippen.
„Warum hat er es dir gegeben?“
„Er sagte, ich soll nicht mehr böse auf ihn sein, er hätte mich nicht erschrecken wollen, es tut ihm Leid, und so weiter. Ich sagte, ist schon vergessen. Aber er sagte, nein, er hätte noch was gut zu machen. Und dann gab er mir den Schein.“
„Was hat er gesagt, das du damit machen sollst?“
„Eveline“, sagte ich, „es ist doch klar, dass das nicht geht. Johanna lässt sich doch nicht kaufen!“
„Es ist nur ein Geschenk“, sagte Eveline.
„Genau“, sagte Johanna und schloss die Faust, „ein Geschenk.“
„Ein