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Ein herrliches Vergessen. Petra HäußerЧитать онлайн книгу.

Ein herrliches Vergessen - Petra Häußer


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hinter sich hätte aufbauen müssen, genauso unsichtbar und zudem ohne Hoffnung, diese Drohung wahr machen zu können, was sie ja nicht wussten. Aber der Vater wäre wohl der Letzte gewesen, der sich in die Händel seines Sohnes hätte einmischen wollen. Es kam eben vor allem darauf an, es ihnen glaubhaft darzustellen. Das war Willi gelungen. Ohne jeglichen Kratzer hatte er sich den Respekt dieser Schlägertypen verschafft, nun ging er ihnen aus dem Weg. Amir aber, der ein bisschen schlauer war als die anderen und ein gutes Herz hatte, hatte sich verbündet mit ihm, war sein Kumpel geworden und jetzt waren sie Freunde.

      Die besondere Freiheit hinter dem Rücken der vielbeschäftigten Eltern koppelte Willi weitgehend ab vom Geschehen im Hotel. Er hielt die Stunden der Mahlzeiten ein, er kam zur rechten Zeit heim, nie hatte bisher der Vater oder die Mutter einen Besuch beim Lehrer machen müssen, denn es gab keinerlei Beanstandung über sein schulisches Verhalten oder seine Leistungen, alles lief wie geschmiert. Seine Ausflüge in die Aurelia-Lichtspiele mit Herrn von Majakowski waren erlaubt. Inzwischen ging er jedoch auch ohne seinen alten Freund und Herr Beck nahm ihn mit in den Vorführraum, erklärte ihm die Maschinen, ließ ihn einige Male überblenden, stand neben ihm, das nächste Mal brauchte Willi Herrn Beck nicht mehr. Die großen Rollen zu stemmen, sie sorgfältig einzulegen, den rechten Zeitpunkt abzupassen, die Überblendung nicht zu früh, nicht zu spät anzustoßen, all das hatte Willi so viele Male schon beobachtet, dass er nichts mehr falsch machen konnte, es konnte nicht schiefgehen, das wusste er, er war sich ganz sicher.

      „Mein Assistent“ nannte ihn Herr Beck inzwischen.

      „Was für ein Glück, dass Herr von Majakovsky mir so einen fähigen Mann geschickt hat.“ Wenn Herr Beck ein bisschen was getrunken hatte, dann wurden seine Augen glasig, dann wurden seine Worte pathetisch.

      „Jetzt ist Schluss, du musst nach Hause, Bürschchen. Wie alt bist du eigentlich? Marsch jetzt, sonst kommen wir in Teufels Küche!“

      Der Pianist hatte selber einen Sohn in Willis Alter, er sorgte dafür, dass er sich nach der letzten Überblendung der Abendvorstellung verdrückte. Wirklich! Ein Bub von zwölf Jahren!

      Er schlenderte nach Hause. Längst hatte er keine Angst mehr, im Haus allein zu sein. Er wusste, die Eltern kämen erst um Mitternacht. Meist war er dann noch wach, hatte noch in der Filmillustrierten vom Vormonat gelesen, die er mitnahm, wenn die neue Ausgabe eintraf, oder sich mit seinen Markenbüchern beschäftigt, sein Geld gezählt. Er löschte sofort das Licht, wenn er die Tür ins Schloss fallen hörte, legte sich unter die schwere Daunendecke, drehte den Kopf zur Wand und gab sich Mühe, in ruhigen tiefen Zügen zu atmen, denn die Mutter kam immer in sein Zimmer und trat an sein Bett, stand einige Sekunden da und betrachtete ihn, das spürte er, obwohl er es nicht sah. Danach schlief er sofort ein.

      Wenn er sich im Hotel aufhielt, hörte er ab und zu, dass die Erwachsenen lauter miteinander redeten als üblicherweise, dass die Mutter manchmal eine Tür heftig zuschlug und dabei die bunten Glasscheiben in ihren Bleifassungen erzitterten, sah Onkel Albert in einer Ecke stehen, die Arme über der Brust verschränkt und wie der Vater an ihm vorbeiging und ihn wie einen Garderobenständer behandelte, nämlich nicht wahrnahm, gar nicht!

      Aber das ging Willi nichts an, kümmerte ihn nicht, er hatte gerade mehrere alte Kochlöffel aus dem Müll geborgen und überlegte sich, wie sie zu gebrauchen wären beim Hüttenbau, oder er stand schon in den Startlöchern für seinen Dauerlauf zum Aurelia, zwanzig Minuten vor der ersten Vorstellung.

      Dass sich in seinem Leben eine umfassende Veränderung vorbereitete, lange schon, erfuhr er erst auf Umwegen und viel zu spät, um sich ein Ausweichmanöver zu überlegen.

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